Die Presse

Fabulierer auf der Bühne

- Von Antonia Barboric Wer traf wen? Das Lied? Die Veranstalt­ung? Das Vorbild? Der Schwindel?

Der Mann kann nicht singen.“So simpel, aber umso brutaler klang das Urteil der Frau, als sie und ihr Sohn gemeinsam das erste Mal das gesuchte Lied hörten. Der konnte freilich nicht anders, er musste seiner Mutter, die sonst dem Rock ’n’ Roll gar nicht so abgeneigt war, widersprec­hen – aber er tat es nur innerlich. In der Gewissheit, dass sie falschlag, schüttelte er wild den Kopf, denn er hatte noch nie zuvor eine solche Stimme gehört, eine dünne Stimme, die so jung und doch so erwachsen klang, die ihn begeistert­e und zugleich erschreckt­e. Der Sänger war Mitte 20, der junge Zuhörer ein Teenager, dessen Welt während dieser wenigen Minuten verändert worden war.

Diese Anekdote erzählte der nun fast 40-jährige Mann auf einer wichtigen musikalisc­hen Veranstalt­ung – angespornt durch sein Vorbild, hatte er inzwischen selbst eine große Karriere hingelegt.

Der an diesem Tag Geehrte hatte ähnliche erste musikalisc­he Erfahrunge­n gesammelt wie sein Laudator: Bereits als Kind hatte er sich mitreißen lassen von diversen musikalisc­hen Stilrichtu­ngen wie Blues, Country, R ’n’ B, dann auch Rock ’n’ Roll und Pop. Eigenen Angaben zufolge war die Gegend, in der er aufwuchs, stark prägend für seine spätere Musik: die raue Landschaft mit Wäldern und Flüssen, die endlose Weite, lange, harte Winter. Er verfolgte seine Karriere hartnäckig, sein Studium hatte er bald geschmisse­n. Die heimatlich­en Gefilde verließ er, um sich in jenen Gegenden niederzula­ssen, in denen der Folk beheimatet war. Letztlich landete er im New York der wilden 1960er-Jahre.

Mindestens ein musikalisc­hes Vorbild teilten die zwei Männer – und noch etwas anderes: Sie erzählen bis heute gern Geschichte­n. Der ältere ließ schon früh Legenden um seine Herkunft entstehen, und dazu gehörte seine Namensände­rung. Wann immer er davon erzählte, gab er eine andere Version zum Besten.

Der jüngere Sänger schwindelt­e zwar nicht direkt, gestand aber bald, dass er jene Erfahrunge­n, von denen er gerne sang (und noch immer singt), nicht selbst gemacht hatte. Aber das war wohl nicht so tragisch – und klingt von Musik untermalt nur allzu gut.

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