Fabulierer auf der Bühne
Der Mann kann nicht singen.“So simpel, aber umso brutaler klang das Urteil der Frau, als sie und ihr Sohn gemeinsam das erste Mal das gesuchte Lied hörten. Der konnte freilich nicht anders, er musste seiner Mutter, die sonst dem Rock ’n’ Roll gar nicht so abgeneigt war, widersprechen – aber er tat es nur innerlich. In der Gewissheit, dass sie falschlag, schüttelte er wild den Kopf, denn er hatte noch nie zuvor eine solche Stimme gehört, eine dünne Stimme, die so jung und doch so erwachsen klang, die ihn begeisterte und zugleich erschreckte. Der Sänger war Mitte 20, der junge Zuhörer ein Teenager, dessen Welt während dieser wenigen Minuten verändert worden war.
Diese Anekdote erzählte der nun fast 40-jährige Mann auf einer wichtigen musikalischen Veranstaltung – angespornt durch sein Vorbild, hatte er inzwischen selbst eine große Karriere hingelegt.
Der an diesem Tag Geehrte hatte ähnliche erste musikalische Erfahrungen gesammelt wie sein Laudator: Bereits als Kind hatte er sich mitreißen lassen von diversen musikalischen Stilrichtungen wie Blues, Country, R ’n’ B, dann auch Rock ’n’ Roll und Pop. Eigenen Angaben zufolge war die Gegend, in der er aufwuchs, stark prägend für seine spätere Musik: die raue Landschaft mit Wäldern und Flüssen, die endlose Weite, lange, harte Winter. Er verfolgte seine Karriere hartnäckig, sein Studium hatte er bald geschmissen. Die heimatlichen Gefilde verließ er, um sich in jenen Gegenden niederzulassen, in denen der Folk beheimatet war. Letztlich landete er im New York der wilden 1960er-Jahre.
Mindestens ein musikalisches Vorbild teilten die zwei Männer – und noch etwas anderes: Sie erzählen bis heute gern Geschichten. Der ältere ließ schon früh Legenden um seine Herkunft entstehen, und dazu gehörte seine Namensänderung. Wann immer er davon erzählte, gab er eine andere Version zum Besten.
Der jüngere Sänger schwindelte zwar nicht direkt, gestand aber bald, dass er jene Erfahrungen, von denen er gerne sang (und noch immer singt), nicht selbst gemacht hatte. Aber das war wohl nicht so tragisch – und klingt von Musik untermalt nur allzu gut.