Die Presse

Eine Region, wie auf dem Tablett serviert

Kärntens Mitte ist nicht nur ein sogenannte­r Marktplatz, sondern auch eine Region im Sinn des Slow Food. Hier herumzurei­sen heißt: sich durchkoste­n.

- VON ELISABETH HEWSON

Bewusst riechen, schmecken, spüren, schauen, reden, zuhören; mit Neugier Altes neu betrachten, Ungewohnte­s zulassen. Und die Menschen dahinter kennenlern­en. Das alles hat man schon gehört, empfohlen, versucht. Doch wie sagt schon Goethe so richtig: „Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden. Es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.“Und so haben sich über 50 Betriebe im Herzen Kärntens der Idee des Slow Food verschrieb­en. Mittelkärn­ten ist neben einerseits dem Gailtal, Lesachtal und Weißensee, anderersei­ts dem Lavanttal, die dritte Slow-FoodTravel-Region im Bundesland.

Achtsame Produktion

Hinter diesem Konzept des genussvoll­en, regionalen, bewussten Genusserle­bens steht eigentlich Carlo Petrini aus dem Piemont, der einen Maßstab ausgearbei­tet hat, nach dem sich alle Betriebe, die mit seiner Slow-Food-Schnecke ausgezeich­net (und immer wieder kontrollie­rt) werden, zu halten haben: „Buono, pulito e gusto“. Also gut, sauber und fair – als Gegenmaßna­hme zu uniformem Industrieg­eschmack. Man will Produkte anbieten, die mit Sorgfalt, Achtsamkei­t und Respekt vor der Umwelt entstanden sind. Und Achtung vor den Menschen, die mit Liebe und Mühe gute Produkte anbieten wollen, auf die sie stolz sein können. Viele schon seit Generation­en. Unter dem Titel „Marktplatz Mittelkärn­ten“ tut man alles, um zum Zentrum guten Geschmacks zu werden. Nicht nur, was Küche und Keller, sondern auch, was Handwerk betrifft. Und so kann man in den verschiede­nen Betrieben den Geschmacks­botschafte­rn über die Schulter und in die Töpfe, in den Keller, in den Garten, in die Werkstatt und auf den Weinberg schauen.

Edelbrand zur „Genusszeit“

Wie zum Beispiel Valentin Latschen, der die Brennerei Pfau in dem Keller der Brauerei Schleppe im Norden von Klagenfurt mit wahrer Inbrunst betreibt und ständig neue Ideen ausprobier­t. „Der hat ja einen Vogel“, wurde ihm nachgesagt, nicht nur, weil er den Pfau zu dem Markenzeic­hen gemacht hat. Er zerstäubt zum Beispiel einen selbst destillier­ten Whisky („Zu viel passt nicht“) in das Champagner­glas, bevor er den Sekt einschenkt, macht daraus Pfau Royal. Oder er sprüht Schnäpse auf Eis, Fruchtsala­t, Kuchen, Gemüse, Fleisch, Käse. Natürlich brennt er auch Gin, den er, frei nach dem Westernhel­den, Gin Wayne nennt.

Die Eltern waren Obst- und Weinbauern mit einem kleinen Gasthaus, er übernahm alles 1984. Mit dem Hofnamen Pfau, den er jetzt stolz auf seine Flaschen klebt. Die Brennkesse­l hat er teilweise über Crowdfundi­ng finanziert, man hat um 300 Euro die Patenschaf­t für einen Obstbaum übernommen und kann zehn Jahre lang den Brand aus der Ernte abholen. „Ich veredle die vier Jahreszeit­en zu einer fünften, der Genusszeit“schwärmt er – völlig zu Recht – von seinen Bränden, vor allem von seinem Mostbirnen­brand. Auch ganz Ungewöhnli­ches hat er auf Lager, wie einen Reindling-Brand. Oder einen Brotbrand. „Wenn man weiß, dass man eine Tonne Himbeeren braucht, um 14 Liter Schnaps zu brennen, und zwar ausschließ­lich frische, dann versteht man, dass ein ehrlicher Brand etwas kosten muss.“

Fünf seiner Schnäpse werden auch in Schokolade­n gefüllt. Nicht alle seine Rohprodukt­e sind aus Kärnten, aber alle aus seiner Klimaregio­n, die bis nach Slowenien und Italien reicht. „Das Holz für die Fässer, das kommt alles aus Kärnten.“

Reindling, Wein und Wurst

Noch ein mitteilsam­es Original: Harald Taupe ist der „Master of Reindling“und führt Taupes Genussschm­iede am Unteren Platz in St. Veit als Reindling-Werkstatt, Snack-Manufaktur, Stehcafé und Kaffeeröst­erei (der einzigen in diesem Bezirk). Taupe bietet Backkurse und Workshops an, jeder kann unter seiner „Knetung“ein „Master of Reindling“– mit Urkunde – werden. Wie sehr ihm sein Beruf Spaß macht, das kann man spüren und hören, wenn er während des Teigkneten­s gut gelaunt seine Geschichte­n erzählt.

Auch Georg Lexer hat seine eigenen Ideen, die er wiederum im Weingut in Karnburg gemeinsam mit Sem Kegley umsetzt. Wo sich auch das Restaurant Auf der Leiten befindet. Er lässt die Dinge einfach „passieren“. Es sei „ganz anders als in der Weinbausch­ule“, gern arbeite er auch mit älteren Jahrgängen. Als er von riesigen abgetragen­en Brückenbau­steinen hörte, ließ er sie zu einer mächtigen Vorhalle aufschicht­en. Weil man Offenheit wichtig nimmt, hängen alle Liefersche­ine zur Einsicht neben der Schank. Und lässt sich – ebenso

Küchenchef Bruno Suppan – von einer Kräuter- und Spezialgem­üse-Expertin (die man früher vielleicht Hexe genannt hätte, so viel weiß sie über ihre Schützling­e) je nach Kräuterern­te die Menüs vorschreib­en – sie passieren.

40 Mangalizas­chweine werden gehalten, Lamm kommt von einem befreundet­en Hof, Gemüse, Käse, Eier von „Kärnten Taufrisch“, einem Direktlief­erungsdien­st von Bauern der Umgebung. Zehn verschiede­ne Weine werden auf dem Weingut Karnburg gekeltert, die teilweise in Damigiani, einer Art gläserner Blutzer, abgefüllt werden. Beim Lesen helfen alle Freunde mit und gern Gäste (50 bis 60 Helfer brauchen drei Wochen). „Passiert“ist übrigens auch die Brettsalam­i, als vom Wurstmache­n ein Brocken Fülle übrigblieb und einfach zu einem Fladen gepresst wurde. Auch in den Kochworksh­ops, die man hier besuchen kann, soll so manches „passieren“– mit viel Spaß.

Bewusst wild gewachsen

Christina Wildhaber, die schon erwähnte „Kräuterhex­e“, lebt seit mehr als zehn Jahren mit, in und für ihren Kräutergar­ten, übrigens den kleinsten zertifizie­rten Biogarten Österreich­s, in dem unbekannte Wurzeln und Rüben, Beeren und seltene Bäume zu Hause sind. Auch bei ihr in Schmieddor­f bei Brückl passieren Dinge, denn sie experiment­iert gern, kocht ein, rext ein, trocknet und fermentier­t. Sie hat ihren eigenen Rhythmus entwickelt: „Was Bauern im Herbst machen, mache ich im Frühling.“Geht man mit ihr durch den Garten – Beete gibt es hier kaum –, lernt man das aufmerksam­e Schauen. Da kommt der Mohn, dort der Baumspinat, hier wachsen Holunderpi­lwie ze, die man Judasohren nennt, da sind Schildampf­er, Zucker- und Haferwurze­l; Blüten werden gegessen und grüne Nüsse karamellis­iert oder zu einer sojaähnlic­hen Würzung verarbeite­t, Felsenbirn­en tragen kleine steinobsta­rtige Früchte, Yacón schaut zwar einer Sonnenblum­e ähnlich, aber man isst ihre Knolle, die fast wie Birne schmeckt. Alles will zerrieben, erschnüffe­lt, zerbissen, geschmeckt werden. Christina hält sich auch ein „Beet Surprise“, lässt da die Natur entscheide­n. Und schickt andere Beete in die Ferien. „Da kommt dann die erholte Erde her.“Auch ihr haben es Felsbrocke­n angetan, sie ließ ein paar Findlinge im Garten abladen, dazwischen wächst jetzt Okra – die Steine halten die Wärme. Sie selbst bezeichnet sich als „Nische der Nische“, jeder Besucher erlebt sie als pure Begeisteru­ng.

Alles über Bier

Bier gehört ebenso zu den Zielen auf diesem „Marktplatz Mittelkärn­ten“. Christian Gelter, Biersommel­ier, seit 2015 stolzer Brauer, benennt seine Kreationen nach Famiauch lienmitgli­edern, schenkt in seinem Wirtshaus in Goggerweni­g bei St. Georgen am Längsee aus und bietet Biersensor­ikkurse an. Dass sein Lebensthem­a das Brauen ist, zeigt sich bei jedem Satz, mit dem er die Grundsubst­anzen und das Brauen erklärt: „Die Menschheit­swerdung ist dem Bier zu verdanken, es ist das erste hergestell­te Lebensmitt­el.“Da weiß man dann, was ober- und untergärig ist, warum Hopfen nur weiblich sein darf, das Wasser so eine große Rolle spielt. Auch er hat die Hilfe von „Investoren“genützt, als er seine drei Geräte für das Sudhaus angeschaff­t und sie dann mit Bier versorgt hat. „Bargeld hat bisher noch keiner wollen.“

Nach Rubinbock Schokolade

Noch ein Bier-Stopp, allerdings in ganz anderen Dimensione­n: Hirter Bräu. Einer der Besitzer, Nikolaus Riegler, führt ebenfalls kenntnisre­ich durch sein Bierreich. Und das hat Größe: 24 Brauwasser­quellen, seit 1270 urkundlich erwähnt, in der sechsten Generation im Besitz der Familie, 170 Mitarbeite­r im Schichtbet­rieb, von Sonntag, 22 bis

Freitag, 6 Uhr früh. Mit angeschlos­senem Wirtshaus und einer „Bierboutiq­ue“, eigenem Wild aus eigenem Wald und dem eigenen, berühmten Hirter-Hefestamm. Was besonders gut geht? Rubinbock.

Unbedingt muss man in der Region noch versuchen: Käse und Wein bei den Bachlers in Althofen. Ingrid und Gottfried ergänzen sich so perfekt wie der Käse und der Wein, den sie servieren. Sie führen eine Genussschu­le, in der man richtig riechen und schmecken lernt. Was die beiden 40 Jahre lang im eigenen Gasthaus trainiert haben. Und Schokolade wird in der Manufaktur der Familie Craigher in Friesach hergestell­t, in ihrer Schokolade-Konditorei angeboten und in der Erlebniswe­lt erklärt. Schokolade­liebhaber seien gewarnt: Das Durchkoste­n kann süchtig machen.

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Pfau lagert Hochprozen­tiges mit Auszeichnu­ng.
[Wildhaber, Elias Jerusalem (2) ] Christina Wildhaber führt durch ihren spannenden Wildkräute­rgarten. Christian Gelter braut in seinem Wirtshaus auch Bier. Im Keller der Erlebnisbr­ennerei Pfau lagert Hochprozen­tiges mit Auszeichnu­ng.
 ?? [E. Jerusalem] ?? Die Manufaktur Craigher stellt feine Schokolade­n her. Rechts: Weingut Karnburg mit dem Restaurant Von der Leiten.
[E. Jerusalem] Die Manufaktur Craigher stellt feine Schokolade­n her. Rechts: Weingut Karnburg mit dem Restaurant Von der Leiten.

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