Eine Region, wie auf dem Tablett serviert
Kärntens Mitte ist nicht nur ein sogenannter Marktplatz, sondern auch eine Region im Sinn des Slow Food. Hier herumzureisen heißt: sich durchkosten.
Bewusst riechen, schmecken, spüren, schauen, reden, zuhören; mit Neugier Altes neu betrachten, Ungewohntes zulassen. Und die Menschen dahinter kennenlernen. Das alles hat man schon gehört, empfohlen, versucht. Doch wie sagt schon Goethe so richtig: „Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden. Es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.“Und so haben sich über 50 Betriebe im Herzen Kärntens der Idee des Slow Food verschrieben. Mittelkärnten ist neben einerseits dem Gailtal, Lesachtal und Weißensee, andererseits dem Lavanttal, die dritte Slow-FoodTravel-Region im Bundesland.
Achtsame Produktion
Hinter diesem Konzept des genussvollen, regionalen, bewussten Genusserlebens steht eigentlich Carlo Petrini aus dem Piemont, der einen Maßstab ausgearbeitet hat, nach dem sich alle Betriebe, die mit seiner Slow-Food-Schnecke ausgezeichnet (und immer wieder kontrolliert) werden, zu halten haben: „Buono, pulito e gusto“. Also gut, sauber und fair – als Gegenmaßnahme zu uniformem Industriegeschmack. Man will Produkte anbieten, die mit Sorgfalt, Achtsamkeit und Respekt vor der Umwelt entstanden sind. Und Achtung vor den Menschen, die mit Liebe und Mühe gute Produkte anbieten wollen, auf die sie stolz sein können. Viele schon seit Generationen. Unter dem Titel „Marktplatz Mittelkärnten“ tut man alles, um zum Zentrum guten Geschmacks zu werden. Nicht nur, was Küche und Keller, sondern auch, was Handwerk betrifft. Und so kann man in den verschiedenen Betrieben den Geschmacksbotschaftern über die Schulter und in die Töpfe, in den Keller, in den Garten, in die Werkstatt und auf den Weinberg schauen.
Edelbrand zur „Genusszeit“
Wie zum Beispiel Valentin Latschen, der die Brennerei Pfau in dem Keller der Brauerei Schleppe im Norden von Klagenfurt mit wahrer Inbrunst betreibt und ständig neue Ideen ausprobiert. „Der hat ja einen Vogel“, wurde ihm nachgesagt, nicht nur, weil er den Pfau zu dem Markenzeichen gemacht hat. Er zerstäubt zum Beispiel einen selbst destillierten Whisky („Zu viel passt nicht“) in das Champagnerglas, bevor er den Sekt einschenkt, macht daraus Pfau Royal. Oder er sprüht Schnäpse auf Eis, Fruchtsalat, Kuchen, Gemüse, Fleisch, Käse. Natürlich brennt er auch Gin, den er, frei nach dem Westernhelden, Gin Wayne nennt.
Die Eltern waren Obst- und Weinbauern mit einem kleinen Gasthaus, er übernahm alles 1984. Mit dem Hofnamen Pfau, den er jetzt stolz auf seine Flaschen klebt. Die Brennkessel hat er teilweise über Crowdfunding finanziert, man hat um 300 Euro die Patenschaft für einen Obstbaum übernommen und kann zehn Jahre lang den Brand aus der Ernte abholen. „Ich veredle die vier Jahreszeiten zu einer fünften, der Genusszeit“schwärmt er – völlig zu Recht – von seinen Bränden, vor allem von seinem Mostbirnenbrand. Auch ganz Ungewöhnliches hat er auf Lager, wie einen Reindling-Brand. Oder einen Brotbrand. „Wenn man weiß, dass man eine Tonne Himbeeren braucht, um 14 Liter Schnaps zu brennen, und zwar ausschließlich frische, dann versteht man, dass ein ehrlicher Brand etwas kosten muss.“
Fünf seiner Schnäpse werden auch in Schokoladen gefüllt. Nicht alle seine Rohprodukte sind aus Kärnten, aber alle aus seiner Klimaregion, die bis nach Slowenien und Italien reicht. „Das Holz für die Fässer, das kommt alles aus Kärnten.“
Reindling, Wein und Wurst
Noch ein mitteilsames Original: Harald Taupe ist der „Master of Reindling“und führt Taupes Genussschmiede am Unteren Platz in St. Veit als Reindling-Werkstatt, Snack-Manufaktur, Stehcafé und Kaffeerösterei (der einzigen in diesem Bezirk). Taupe bietet Backkurse und Workshops an, jeder kann unter seiner „Knetung“ein „Master of Reindling“– mit Urkunde – werden. Wie sehr ihm sein Beruf Spaß macht, das kann man spüren und hören, wenn er während des Teigknetens gut gelaunt seine Geschichten erzählt.
Auch Georg Lexer hat seine eigenen Ideen, die er wiederum im Weingut in Karnburg gemeinsam mit Sem Kegley umsetzt. Wo sich auch das Restaurant Auf der Leiten befindet. Er lässt die Dinge einfach „passieren“. Es sei „ganz anders als in der Weinbauschule“, gern arbeite er auch mit älteren Jahrgängen. Als er von riesigen abgetragenen Brückenbausteinen hörte, ließ er sie zu einer mächtigen Vorhalle aufschichten. Weil man Offenheit wichtig nimmt, hängen alle Lieferscheine zur Einsicht neben der Schank. Und lässt sich – ebenso
Küchenchef Bruno Suppan – von einer Kräuter- und Spezialgemüse-Expertin (die man früher vielleicht Hexe genannt hätte, so viel weiß sie über ihre Schützlinge) je nach Kräuterernte die Menüs vorschreiben – sie passieren.
40 Mangalizaschweine werden gehalten, Lamm kommt von einem befreundeten Hof, Gemüse, Käse, Eier von „Kärnten Taufrisch“, einem Direktlieferungsdienst von Bauern der Umgebung. Zehn verschiedene Weine werden auf dem Weingut Karnburg gekeltert, die teilweise in Damigiani, einer Art gläserner Blutzer, abgefüllt werden. Beim Lesen helfen alle Freunde mit und gern Gäste (50 bis 60 Helfer brauchen drei Wochen). „Passiert“ist übrigens auch die Brettsalami, als vom Wurstmachen ein Brocken Fülle übrigblieb und einfach zu einem Fladen gepresst wurde. Auch in den Kochworkshops, die man hier besuchen kann, soll so manches „passieren“– mit viel Spaß.
Bewusst wild gewachsen
Christina Wildhaber, die schon erwähnte „Kräuterhexe“, lebt seit mehr als zehn Jahren mit, in und für ihren Kräutergarten, übrigens den kleinsten zertifizierten Biogarten Österreichs, in dem unbekannte Wurzeln und Rüben, Beeren und seltene Bäume zu Hause sind. Auch bei ihr in Schmieddorf bei Brückl passieren Dinge, denn sie experimentiert gern, kocht ein, rext ein, trocknet und fermentiert. Sie hat ihren eigenen Rhythmus entwickelt: „Was Bauern im Herbst machen, mache ich im Frühling.“Geht man mit ihr durch den Garten – Beete gibt es hier kaum –, lernt man das aufmerksame Schauen. Da kommt der Mohn, dort der Baumspinat, hier wachsen Holunderpilwie ze, die man Judasohren nennt, da sind Schildampfer, Zucker- und Haferwurzel; Blüten werden gegessen und grüne Nüsse karamellisiert oder zu einer sojaähnlichen Würzung verarbeitet, Felsenbirnen tragen kleine steinobstartige Früchte, Yacón schaut zwar einer Sonnenblume ähnlich, aber man isst ihre Knolle, die fast wie Birne schmeckt. Alles will zerrieben, erschnüffelt, zerbissen, geschmeckt werden. Christina hält sich auch ein „Beet Surprise“, lässt da die Natur entscheiden. Und schickt andere Beete in die Ferien. „Da kommt dann die erholte Erde her.“Auch ihr haben es Felsbrocken angetan, sie ließ ein paar Findlinge im Garten abladen, dazwischen wächst jetzt Okra – die Steine halten die Wärme. Sie selbst bezeichnet sich als „Nische der Nische“, jeder Besucher erlebt sie als pure Begeisterung.
Alles über Bier
Bier gehört ebenso zu den Zielen auf diesem „Marktplatz Mittelkärnten“. Christian Gelter, Biersommelier, seit 2015 stolzer Brauer, benennt seine Kreationen nach Famiauch lienmitgliedern, schenkt in seinem Wirtshaus in Goggerwenig bei St. Georgen am Längsee aus und bietet Biersensorikkurse an. Dass sein Lebensthema das Brauen ist, zeigt sich bei jedem Satz, mit dem er die Grundsubstanzen und das Brauen erklärt: „Die Menschheitswerdung ist dem Bier zu verdanken, es ist das erste hergestellte Lebensmittel.“Da weiß man dann, was ober- und untergärig ist, warum Hopfen nur weiblich sein darf, das Wasser so eine große Rolle spielt. Auch er hat die Hilfe von „Investoren“genützt, als er seine drei Geräte für das Sudhaus angeschafft und sie dann mit Bier versorgt hat. „Bargeld hat bisher noch keiner wollen.“
Nach Rubinbock Schokolade
Noch ein Bier-Stopp, allerdings in ganz anderen Dimensionen: Hirter Bräu. Einer der Besitzer, Nikolaus Riegler, führt ebenfalls kenntnisreich durch sein Bierreich. Und das hat Größe: 24 Brauwasserquellen, seit 1270 urkundlich erwähnt, in der sechsten Generation im Besitz der Familie, 170 Mitarbeiter im Schichtbetrieb, von Sonntag, 22 bis
Freitag, 6 Uhr früh. Mit angeschlossenem Wirtshaus und einer „Bierboutique“, eigenem Wild aus eigenem Wald und dem eigenen, berühmten Hirter-Hefestamm. Was besonders gut geht? Rubinbock.
Unbedingt muss man in der Region noch versuchen: Käse und Wein bei den Bachlers in Althofen. Ingrid und Gottfried ergänzen sich so perfekt wie der Käse und der Wein, den sie servieren. Sie führen eine Genussschule, in der man richtig riechen und schmecken lernt. Was die beiden 40 Jahre lang im eigenen Gasthaus trainiert haben. Und Schokolade wird in der Manufaktur der Familie Craigher in Friesach hergestellt, in ihrer Schokolade-Konditorei angeboten und in der Erlebniswelt erklärt. Schokoladeliebhaber seien gewarnt: Das Durchkosten kann süchtig machen.