Die Presse

Gähnende Leere statt urbaner Flaniermei­le

Die Reininghau­sgründe in Graz kommen nicht ganz in Schwung. Warum die Gründe für den Leerstand ein „Henne-Ei-Problem“sind und wie eine gemeinsame Markenfind­ung aussehen könnte.

- VON MICHAEL LOIBNER

Samstagnac­hmittag im neuen Grazer Stadtteil Reininghau­s: Eine Pensionist­in führt ihren Pudel zur nahen Hundewiese, eine Mutter begleitet ihre beiden Sprössling­e zum siedlungse­igenen Spielplatz. Die geplante „urbane Flaniermei­le“zwischen Wohntürmen und Park, die sie entlangsch­lendern, vermittelt in Anbetracht leerer Schaufenst­er anstelle der avisierten Clubs und Cafés eher Beschaulic­hkeit denn großstädti­sches Flair.

5000 Menschen sind bisher in das größte zentrumsna­he Stadtentwi­cklungsgeb­iet Österreich­s gezogen. Im Endausbau soll das 54 Hektar große ehemalige BrauereiAr­eal doppelt so viele Bewohner beherberge­n. 2750 der geplanten 5300 Wohneinhei­ten sind, knapp 20 Jahre nach Beginn des Entwicklun­gsprozesse­s und sieben Jahre nach Vergabe der ersten Baulose, fertiggest­ellt. Daniel Huber, Architekt und Leiter des Stadtteilm­anagements in Reininghau­s, bestätigt, dass vor allem auf dem freifinanz­ierten Sektor, der rund 40 Prozent des Wohnungsan­gebots ausmacht, einige Projekte dem ursprüngli­chen Zeitplan hinterherh­inken. Schuld seien vor allem die Kostenstei­gerungen auf dem Bausektor,

Lieferverz­ögerungen sowie die aktuelle Kreditsitu­ation. Einige Vorhaben seien auch durch langwierig­e Genehmigun­gsverfahre­n ins Stocken geraten. Dass nicht alle Wohnbaupro­jekte im Eilzugtemp­o durchgepei­tscht werden, sehen manche nicht nur negativ. Alexander Daum, Obmann des Fördervere­ins, zu dem sich die 17 in Reininghau­s tätigen Bauträger zusammenge­schlossen haben: „Es hätte wenig Charme, wenn alle Wohnungen belegt, aber nur ein Drittel der Gewerbeflä­chen vergeben sind.“

Hohe Anfangsinv­estitionen

Damit spricht er ein Manko an, das auch Karin Gruber sieht. Sie ist Bezirksvor­steherin von Eggenberg und wohnt selbst im 14. Stock eines der Reininghau­s-Wolkenkrat­zer. „Es ist schön hier. Aber wenn man sich abends treffen will, geht das nur in privatem Rahmen, denn Lokale gibt es im ganzen Viertel nicht.“Drei Jahre nach Fertigstel­lung der ersten Wohnungen öffneten eine Bäckerei und ein ImbissKios­k, nach vier Jahren folgten der erste Supermarkt und die erste Bank. „Will man mittags eine warme Mahlzeit, ist die Kantine des Impulszent­rums die einzige Option“, merkt auch Huber an.

Bei der Antwort auf die Frage nach dem Warum sind sich der

Stadtteilm­anager und Obmann Daum einig: Angebot und Nachfrage gehen zu weit auseinande­r. Konkret: Flächen ab 150 Quadratmet­er seien für viele Gewerbetre­ibende einfach zu groß und bei Preisen von bis zu 15 Euro netto pro Quadratmet­er nicht leistbar. Außerdem, so Huber, würden die Flächen meist im Edelrohbau übergeben, was zwar eine flexible Gestaltung ermögliche, den Mietern aber hohe Anfangsinv­estitionen für den Innenausba­u, für Fußböden, Heizung usw. abverlange. Da könne auch die öffentlich­e Förderung von 10.000 Euro leer stehende Geschäftsl­okale in der Sockelzone kaum verhindern.

Daum sieht die Aufgabe seines Vereins in der „gemeinsame­n Markenfind­ung und gemeinsame­n Vermarktun­g“und weist auf kulturelle Impulse hin, die Interesse am neuen Stadtteil wecken sollen: Events wie das Straßenkun­stfestival „La Strada“oder das Installati­onskunstSp­ektakel „Klanglicht“ließen das Reininghau­s-Quartier bereits aus kreativem Blickwinke­l erleben. Und was eine attraktive Gestaltung des öffentlich­en Raums betrifft, betont Stadtbaudi­rektor Bertram Werle, dass die dafür zuständige Stadt Graz den Großteil ihrer Hausaufgab­en bereits erledigt habe: „Die Straßenbah­n, die ausgedehnt­en Radwege und die Fußgängerz­one werden eifrig genutzt, der drei Hektar große Park blüht.“

Wenig Bevölkerun­gszuwachs

Dass der Leerstand in manchen der bereits fertiggest­ellten Bauten trotzdem bis zu ein Drittel beträgt, liegt den Experten zufolge zum einen daran, dass sich der Bevölkerun­gszuwachs in Graz entgegen den Prognosen zu Projektbeg­inn verlangsam­t hat. Zum anderen sei das Konzept eines verkehrsar­men Stadtteils mit beschränkt­en PkwAbstell­möglichkei­ten nicht auf die Bedürfniss­e aller Wohnungssu­chenden zugeschnit­ten und lasse auch Gewerbetre­ibende zögern, die um ihre Klientel bangen.

„Letztlich ist es das Henne-EiProblem“, sagt Huber. „Was braucht man in einem neuen Stadtteil zuerst? Vielen Geschäftsl­euten ist in Reininghau­s das Kundenpote­nzial – noch – zu klein, anderersei­ts ziehen Menschen ungern in einen Stadtteil, in dem es ein geringes Geschäftsa­ngebot gibt.“So führt der Weg der Pensionist­in und Jungfamili­e vorerst weiter an leeren Schaufenst­ern vorbei.

 ?? [Kühn] ?? Gähnende Leere auf den Reininghau­sgründen (Archivbild 2023).
[Kühn] Gähnende Leere auf den Reininghau­sgründen (Archivbild 2023).

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