Die Presse

Ein Hauch von Deutschem Herbst in Berlin

Nach der Festnahme eines Ex-RAF-Mitglieds tritt eine Szene wieder ins Rampenlich­t, um die es ruhig geworden war: Linksextre­me.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Er trägt einen Palästinen­serschal vor Mund und Nase, schwarze Kappe, schwarzer Pullover. In der linken eine rote Fahne, darauf Hammer und Sichel. In der rechten ein selbst gebastelte­s Schild, um das sich die Fotografen drängen.

„Freiheit für Daniela – Terroristi­sch ist das System“, steht darauf. Dazu ein Fahndungsf­oto von Daniela Klette. Jener Frau, die bei der Terrorgrup­pe Rote Armee Fraktion (RAF) war, der mehrere Überfälle vorgeworfe­n werden und die seit Kurzem in Untersuchu­ngshaft sitzt.

Es ist Samstagabe­nd, Mariannenp­latz, Berliner Szenebezir­k Kreuzberg. Nicht weit von hier wurde Klette in einer kleinen Wohnung festgenomm­en, in der die heute 65Jährige unter falschem Namen lebte. Ein Kiez, in dem sie sich sicher gefühlt haben dürfte, sogar Tanzkurse besuchte. Nun haben sich ein paar Hundert Menschen versammelt, um für sie zu demonstrie­ren.

Hier soll der Kern der linksextre­men Szene Berlins stehen. Die meisten tragen schwarz und waren noch nicht volljährig, als sich Klette in den Achtzigerj­ahren an Bombenansc­hlägen der RAF beteiligt haben soll. Ein Mittdreißi­ger verkauft ein trotzkisti­sches Blatt. Deutsche Journalist­en versuchen, mit den Demo-Teilnehmer­n ins Gespräch zu kommen. Die gehen dann plötzlich los, rufen Parolen wie „Wir sind nicht alle – es fehlen die Gefangenen!“. Oder: „Ganz Berlin hasst die Polizei!“Und: „RAF – PKK – Autonome Antifa!“

Die Szene „wird reanimiert“

Lang setzte die Berliner Polizei gegenüber der linksextre­men Szene auf eine Strategie der Deeskalati­on. Nun gibt es Bilder, die an den Deutschen Herbst der Siebzigerj­ahre erinnern: Panzerwage­n in Kreuzberg, Straßenspe­rren, Hubschraub­er, Kampfmontu­r. Das martialisc­he Auftreten kommt in Berlin selbst bei Polizisten nicht gut an.

Der Hintergrun­d: Weil dem RAF-Trio in Niedersach­sen mehrere Überfälle vorgeworfe­n werden, führen niedersäch­sische Beamte die Ermittlung­en. „Wie die Russen in Prag“würden sich diese in der Hauptstadt aufführen, sagte ein Berliner Polizist dem „Tagesspieg­el“. Die linksextre­me Szene „war in Berlin fast tot, jetzt wird sie von den Niedersach­sen reanimiert“. Fest steht aber: Neben Klette konnte sich ein zweites Ex-RAF-Mitglieder viele Jahre in Berlin verstecken.

Der 55-jährige Burkhard Garweg lebte in einem Bauwagen im für seine Clubs bekannten Friedrichs­hain. Nun rätselt die deutsche Öffentlich­keit, wie das möglich war und ob die Hauptstadt ein Problem mit Linksextre­mismus habe. Ausgerechn­et in diese Stimmung hinein brannte die linksextre­me „Vulkangrup­pe“einen Strommast nieder und legte so die Produktion eine Riesenfabr­ik des US-Autobauers Tesla nahe Berlin für Tage lahm. „Das vom Linksextre­mismus ausgehende Gefährdung­spotenzial ist nach wie vor hoch“, sagte die deutsche Innenminis­terin, Nancy Faeser (SPD), nach der Brandstift­ung.

Die Demo am Samstagabe­nd blieb friedlich: 450 Polizisten eskortiert­en weniger als 300 Menschen durch Kreuzberg. Ein paar Feuerwerke wurden gezündet, einmal rauchte ein bengalisch­es Feuer. Aus den schicken Kreuzberge­r Bars und Restaurant­s starrten Touristen und Partygeher auf den von Blaulichte­rn umgebenen Umzug.

Es gab Zeiten, da wurden in Berlin teure Autos angezündet. Es flogen Steine und Flaschen. Ob die Aufregung um die Jagd auf die RAFFlüchti­gen nun eine längst geschwächt geglaubte Szene wiederbele­bt, wird sich wohl bei den Aufmärsche­n am 1. Mai zeigen.

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[Reuters/Christian Mang] Am Samstag wurde im Berliner Bezirk Kreuzberg auch für das Ex-RAF-Mitglied Daniela Klette demonstrie­rt.

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