Ein Hauch von Deutschem Herbst in Berlin
Nach der Festnahme eines Ex-RAF-Mitglieds tritt eine Szene wieder ins Rampenlicht, um die es ruhig geworden war: Linksextreme.
Er trägt einen Palästinenserschal vor Mund und Nase, schwarze Kappe, schwarzer Pullover. In der linken eine rote Fahne, darauf Hammer und Sichel. In der rechten ein selbst gebasteltes Schild, um das sich die Fotografen drängen.
„Freiheit für Daniela – Terroristisch ist das System“, steht darauf. Dazu ein Fahndungsfoto von Daniela Klette. Jener Frau, die bei der Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) war, der mehrere Überfälle vorgeworfen werden und die seit Kurzem in Untersuchungshaft sitzt.
Es ist Samstagabend, Mariannenplatz, Berliner Szenebezirk Kreuzberg. Nicht weit von hier wurde Klette in einer kleinen Wohnung festgenommen, in der die heute 65Jährige unter falschem Namen lebte. Ein Kiez, in dem sie sich sicher gefühlt haben dürfte, sogar Tanzkurse besuchte. Nun haben sich ein paar Hundert Menschen versammelt, um für sie zu demonstrieren.
Hier soll der Kern der linksextremen Szene Berlins stehen. Die meisten tragen schwarz und waren noch nicht volljährig, als sich Klette in den Achtzigerjahren an Bombenanschlägen der RAF beteiligt haben soll. Ein Mittdreißiger verkauft ein trotzkistisches Blatt. Deutsche Journalisten versuchen, mit den Demo-Teilnehmern ins Gespräch zu kommen. Die gehen dann plötzlich los, rufen Parolen wie „Wir sind nicht alle – es fehlen die Gefangenen!“. Oder: „Ganz Berlin hasst die Polizei!“Und: „RAF – PKK – Autonome Antifa!“
Die Szene „wird reanimiert“
Lang setzte die Berliner Polizei gegenüber der linksextremen Szene auf eine Strategie der Deeskalation. Nun gibt es Bilder, die an den Deutschen Herbst der Siebzigerjahre erinnern: Panzerwagen in Kreuzberg, Straßensperren, Hubschrauber, Kampfmontur. Das martialische Auftreten kommt in Berlin selbst bei Polizisten nicht gut an.
Der Hintergrund: Weil dem RAF-Trio in Niedersachsen mehrere Überfälle vorgeworfen werden, führen niedersächsische Beamte die Ermittlungen. „Wie die Russen in Prag“würden sich diese in der Hauptstadt aufführen, sagte ein Berliner Polizist dem „Tagesspiegel“. Die linksextreme Szene „war in Berlin fast tot, jetzt wird sie von den Niedersachsen reanimiert“. Fest steht aber: Neben Klette konnte sich ein zweites Ex-RAF-Mitglieder viele Jahre in Berlin verstecken.
Der 55-jährige Burkhard Garweg lebte in einem Bauwagen im für seine Clubs bekannten Friedrichshain. Nun rätselt die deutsche Öffentlichkeit, wie das möglich war und ob die Hauptstadt ein Problem mit Linksextremismus habe. Ausgerechnet in diese Stimmung hinein brannte die linksextreme „Vulkangruppe“einen Strommast nieder und legte so die Produktion eine Riesenfabrik des US-Autobauers Tesla nahe Berlin für Tage lahm. „Das vom Linksextremismus ausgehende Gefährdungspotenzial ist nach wie vor hoch“, sagte die deutsche Innenministerin, Nancy Faeser (SPD), nach der Brandstiftung.
Die Demo am Samstagabend blieb friedlich: 450 Polizisten eskortierten weniger als 300 Menschen durch Kreuzberg. Ein paar Feuerwerke wurden gezündet, einmal rauchte ein bengalisches Feuer. Aus den schicken Kreuzberger Bars und Restaurants starrten Touristen und Partygeher auf den von Blaulichtern umgebenen Umzug.
Es gab Zeiten, da wurden in Berlin teure Autos angezündet. Es flogen Steine und Flaschen. Ob die Aufregung um die Jagd auf die RAFFlüchtigen nun eine längst geschwächt geglaubte Szene wiederbelebt, wird sich wohl bei den Aufmärschen am 1. Mai zeigen.