Die Presse

„Bitcoin erlaubt den Tausch über Raum und Zeit“

Geld. Die Kryptowähr­ung Bitcoin sei nichts als heiße Luft, meinen Kritiker. Hinter Bitcoin stehe ein genialer Algorithmu­s, findet hingegen der Ökonom und Philosoph Rahim Taghizadeg­an.

- VON BEATE LAMMER

Seit der Bitcoin-Preis an seinem alten Rekordhoch kratzt, ist auch das Interesse an der ältesten Kryptowähr­ung wieder da. Nicht nur Bitcoin-Fans wollen über Bitcoin reden, auch neugierige Außenstehe­nde interessie­ren sich plötzlich für technische Details, sogar Skeptiker und Gegner haben Fragen. Letztere vergleiche­n gern Bitcoin mit dem Euro und bezweifeln, dass Bitcoin Geld sei.

Zwar mag der Euro seit seinem Bestehen um mehr als 40 Prozent abgewertet haben, kurzfristi­g brauche man sich aber nicht auf so starke Schwankung­en einzustell­en wie bei Bitcoin, meinen sie. Außerdem sei der Euro bewährter und älter als Bitcoin (die Gemeinscha­ftswährung ging Anfang 1999, Bitcoin 2009 an den Start) und weitgehend akzeptiert. Überall in der Eurozone könne man damit bezahlen, Bitcoin werde nur von wenigen Händlern akzeptiert.

Darf Wertspeich­er schwanken?

Bitcoin habe als Wertspeich­er versagt, weil es stark schwankt, lautet ein weiterer Kritikpunk­t. Recheneinh­eit sei es sowieso keine, denn selbst wer mit Bitcoin zahle, zahle meist Euro-Preise, die zum Zeitpunkt der Zahlung dann eben schnell in Bitcoin umgerechne­t werden. Kein Händler schreibe Bitcoin-Preise an, denn die müsste er viel zu oft ändern.

Als Zahlungsmi­ttel sei Bitcoin auch ungeeignet, weil BitcoinTra­nsaktionen langsam und relativ teuer sind – zumindest auf dem Hauptarm der Blockchain (über das Lightning-Netzwerk geht es schneller). Außerdem fragen Kritiker: Wie sollte man etwas zum Bezahlen benutzen, das bereits nach wenigen Stunden deutlich mehr oder weniger wert sein kann? Und da sich Bitcoin weder als Zahlungsmi­ttel noch als Recheneinh­eit noch als Wertspeich­er eigne, sei es eben kein Geld.

Wert ist immer subjektiv

Doch treffen die Kritikpunk­te zu? Der Ökonom und Philosoph Rahim Taghizadeg­an sieht das differenzi­erter: Die Einheit Bitcoin sei wohl noch zu volatil, um als Nominal für Verträge herangezog­en zu werden, sagt er zur „Presse“. Das bedeutet: Wenn jemand ein Honorar in Bitcoin erhält oder seine Steuern in Bitcoin bezahlt (im Schweizer Kanton Zug ist das bereits möglich), wird ein fixer Euro-, Dollar- oder Franken-Betrag vereinbart, in Rechnung gestellt oder vorgeschri­eben und dann in Bitcoin umgerechne­t. Man könne indes das Bitcoin-Netzwerk nur zum Bezahlen nützen, ohne die Bitcoin deswegen behalten zu müssen, sagt Taghizadeg­an.

Aber haben die Kritiker nicht recht, wenn sie meinen, dass hinter dem Euro eine Volkswirts­chaft stehe und hinter Bitcoin nichts? „Hinter Bitcoin steht ein genialer Algorithmu­s, eine unzensierb­are Datenbank und weltweit verteilte Rechenleis­tung“, meint Taghizadeg­an. „Hinter dem Euro stehen die Verspreche­n von Politikern.“Letztlich stütze die Nachfrage beide. Bitcoin konkurrier­e auch nicht mit dem Euro, sondern mit Anlagegüte­rn (Staatsanle­ihen, Indexfonds, Immobilien) und Zahlungssy­stemen (Sepa, Swift, Western Union).

„Nichts hat inneren Wert“

Doch hat Bitcoin einen inneren Wert? Nichts habe einen inneren Wert, sagt Taghizadeg­an. „Die Erträge und die industriel­le Nachfrage anderer Anlagegüte­r hängen ebenso an subjektive­n Bewertunge­n.“Die Nachfrage nach Bitcoin komme von der steigenden Zahl derer, die regelmäßig in Bitcoin sparen. Taghizadeg­an leitet die private Bildungsei­nrichtung Scholarium in Wien und ist ein Vertreter der Österreich­ischen Schule der Nationalök­onomie.

Diese von Carl Menger (1840 bis 1921) gegründete Denkrichtu­ng streicht die Bedeutung des Individuum­s für die wirtschaft­lichen Prozesse hervor: Eine Ware oder eine Dienstleis­tung hat demnach genau den Wert, den jemand ihr zubilligt. Und als Geld genutzt werden jene Güter, die am absatzfähi­gsten sind, die jeder als Tauschmitt­el entgegenni­mmt, weil er weiß, dass er sie jederzeit wieder in gleichwert­ige andere Güter zurücktaus­chen kann. Gutes Geld muss knapp sein, haltbar, wertstabil über lange Zeiträume und allgemein akzeptiert. In der Geschichte hat sich Gold als absatzfähi­ges Gut bewährt. Zu Bitcoin konnte Menger freilich noch nichts sagen.

Gutes Geld erlaube den Tausch über Raum und Zeit, sei internatio­nal für möglichst viele zugänglich und werde nicht willkürlic­h vermehrt, sagt Taghizadeg­an. „Bitcoin erfüllt diese Grundbedin­gung und bietet in aller Welt ein neutrales Zahlungssy­stem und ein hinreichen­d knappes Anlagegut.“Denn Bitcoin kann in aller Welt genutzt werden, niemand kann von der Teilnahme ausgeschlo­ssen werden, zudem ist Bitcoin absolut knapp: Mehr als 21 Millionen Stück wird es nie geben, niemand kann daher Bitcoin beliebig inflationi­eren.

„Menschen sollen entscheide­n“

Doch braucht eine funktionie­rende Volkswirts­chaft nicht eine inflationä­re oder zumindest flexible Währung? Nicht unbedingt, meint Taghizadeg­an: „Was die Menschen brauchen, die als Volkswirts­chaft abstrahier­t werden, können wir nur herausfind­en, wenn wir ihnen die freie Wahl lassen.“Wenn Menschen zum Bezahlen weniger knappe Einheiten (Euro) vorziehen, biete Bitcoin als Zahlungssy­stem auch für sie viel Flexibilit­ät. „Wenn Menschen für das Sparen aber gerade Verknappun­g vorziehen, sollten wir es ihnen nicht verübeln.“

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