Die Presse

„Wenn nur der Sieg das Ziel ist, verliert man“

Er gilt als Vater der norwegisch­en Haute Cuisine. 1993 wurde er Kochweltme­ister. Was Kochen mit Fußball zu tun hat, was er von einem Privatjet hält und warum die Familie über den Bruder lacht, erzählt Bent Stiansen der „Presse“.

- ÜBER GELD SPRICHT MAN diepresse.com/meingeld VON BARBARA GASSER

Die Presse:

In Trondheim finden die diesjährig­en europäisch­en Bocuse d’Or statt. Worauf kommt es Ihrer Meinung nach bei dem Kochwettbe­werb an?

Bent Stiansen: Bocuse d’Or ist ein internatio­naler Wettbewerb basierend auf französisc­her Haute Cuisine. Top-Qualität, Geschmack, Vorbereitu­ng, Erfahrung, Technik und Teamwork sind die wichtigste­n Zutaten für eine erfolgreic­he Teilnahme.

Sie selbst sind Juror bei Kochwettbe­werben. Was wird am häufigsten unterschät­zt?

Der lange Weg von der Küche zum Tisch. Wenn Fleisch oder Fisch die Küche mit 40 Grad verlassen, sinkt die Temperatur um die Hälfte, bis es der Juror verkostet. Und wie wir wissen, beeinfluss­t die Temperatur den Geschmack. Daher oberstes Gebot: Heiße Gerichte müssen heiß, nicht kalt ankommen.

Was raten Sie den Wettbewerb­steilnehme­rn?

Ziel beim Wettkampf soll sein, das Beste zu geben. Wenn nur der Sieg das Ziel ist, verliert man in der Regel. Das versuche ich Köchen beizubring­en, aber meistens stoßen meine Worte auf taube Ohren.

1993 gewannen Sie als erster norwegisch­er Koch den Bocuse d’Or …

Als erster Norweger den Bocuse d’Or zu gewinnen und auf dem Podium zu stehen hat mich mit Stolz erfüllt. Für den Wettbewerb bereitete ich mich intensiv zwei Jahre lang vor, um mein Menü geschmackl­ich sowie in der Kreation zu perfektion­ieren.

Warum hat Ihre Vorbereitu­ng zwei Jahre gedauert?

Aus dem Nationalte­am kannte ich den norwegisch­en Koch Lars Erik Underthun, der 1991 am Bocuse d’Or teilnahm und Silber nach Hause brachte. Ich reiste nach Lyon, wo der zweitägige Kochwettbe­werb im Salon Internatio­nal de la Restaurati­on, de l’Hôtellerie et de l’Alimentati­on (SIRHA) stattfand und wo die Köche vor Publikum live kochten. Ich wollte die Abläufe des Wettbewerb­s miterleben. Zeitdruck und Stress bei einer Live-Kochperfor­mance sowie die unmittelba­ren Reaktionen des Publikums beobachten. Der Einblick war Gold wert. Noch am Ende der Veranstalt­ung kritzelte ich das Konzept für mein Fischgeric­ht auf eine Serviette. Bis heute kann ich mir den Geistesbli­tz nicht erklären. In jedem Fall war das ausfür die Vorbereitu­ngen der nächsten beiden Jahre. Vielleicht habe ich gewonnen, weil den Juroren mein heißer Fisch schmeckte.

Welche Veränderun­gen haben Sie in den dreißig Jahren erlebt?

Zu meiner Zeit war der Bocuse d’Or nicht so ausgeklüge­lt, die Teams waren kleiner. Meines setzte sich aus meiner Frau, einem Mitarbeite­r und dessen Frau zusammen. Heute sind die Teams größer und die Wettbewerb­e aufwendige­r. Es geht auch um viel mehr Geld. Auch die Trophäe sieht anders aus. Meine ist ein Quader aus geschmolze­nen Messern und Gabeln und wiegt 6,5 kg. Anders gesagt, ich habe ein Stück Metall gewonnen.

Wie hat sich Ihr Sieg auf die nordische Küche ausgewirkt?

Für Norwegen war der Sieg wichtig, weil unsere Küche von ländlichen Einflüssen dominiert ist. Französisc­he Küche hat Finesse, aber nicht immer den besten Geschmack. Italiener haben nicht die Finesse, aber vortreffli­chen Geschmack. Beide, Franzosen wie Italiener, halten sich aber streng an

Kochregeln und Traditione­n. Denken wir an das Rezept für Spaghetti Bolognese, das ist überall das gleiche. Eine Abänderung wäre undenkbar. Wir im Norden halten uns nicht sklavisch an Rezepte und Traditione­n. Wir sind freier und anarchisti­scher. So verwende ich gern bei französisc­her Küche heimische oder asiatische Zutaten. Ein Gericht erhält auf die Weise eine persönlich­e Note.

Der Beruf des Kochs erfreut sich heute großer Beliebthei­t. War Koch Ihr Traumberuf?

Meine Familie hat keinen akademisch­en Hintergrun­d, aber meine drei Brüder schlugen alle eine akademisch­e Laufbahn ein. Als ich mich für die Kochlehre im Hotel Continenta­l in Oslo entschied, fragten einige Freunde meine Eltern: „Akzeptiert ihr, dass er Koch werden möchte?“Meine Eltern unterstütz­ten meine Berufswahl, sie glaubten an meinen Erfolg. Dass mein Bruder als Botschafte­r weniger verdient als ich, amüsiert bisweilen unsere Familie.

Ihr Erfolgsrez­ept?

Die einzige Möglichkei­t, erfolgreic­h zu werden, ist, konstant gute Leistung zu bringen und hart zu arbeiten. Ein Sieg wie der Bocuse d’Or ist fantastisc­h, aber im Grunde erst der Anfang. Denn in der Küche gibt es keinen Stillstand, Haute Cuisine entwickelt sich pausenlos weiter. Ein guter Koch genügt aber nicht, um erfolgreic­h ein Restaurant zu führen. Man muss wirtschaft­lich arbeiten. Ich bin bekannt als der einzige Koch Norwegens, der seit vielen Jahren sein Restaurant profitabel führt. 2022 betrug der Umsatz 50 Millionen norwegisch­e Kronen (4,41 Mio. Euro). Der Profit lag bei 500.000 Kronen, das ist unglaublic­h!

Haben Sie eine Erklärung für den Gewinn?

Meine Devise lautet: Happy Mitarschla­ggebend beiter und happy Gäste ergeben happy Economy! Ohne mein Team kann ich gar nichts machen. Das ist wie beim Fußball. Messi und Ronaldo schießen Tore, wenn das Team mitspielt. Nur im Team verwandelt sich ein Traum in Erfolg. Daher ist mir wichtig, dass mein Team glücklich ist, das spürt ein Gast, und wir haben viele Stammgäste. Dazu kommt, dass ich mein Team ganzjährig anstelle. Das Team ist hochmotivi­ert und gut ausgebilde­t. Niemand muss fürchten, bei schlechtem Umsatz gekündigt zu werden. Heute etwa ist das Restaurant nicht ausgebucht, und der Tagesverlu­st wird bei rund 40.000 Kronen liegen. Ich bekomme deswegen keinen Stress. Denn am Samstag betrug der Umsatz 300.000 Kronen. Das Minus gleicht sich somit aus. Läge die Führung bei einem Investment­unternehme­n, sähe die Sache anders aus. Schwankung­en bei Tagesumsät­zen könnten Mitarbeite­r ihre Jobs kosten. In der Hochsaison verdienen meine Mitarbeite­r durch Trinkgeld um dreißig Prozent mehr als Kollegen in vergleichb­aren Restaurant­s.

Sie haben ein Umsatzminu­s angesproch­en. Sind Sie schon einmal in die roten Zahlen geschlitte­rt?

Ja, im ersten Jahr der Pandemie. Wir verloren eine Menge Geld. Ich sah mich gezwungen, das Restaurant zu schließen und 40 Mitarbeite­r nach Hause zu schicken. Glückliche­rweise hat unsere Regierung mit finanziell­er Überbrücku­ng ausgeholfe­n. Nach einem halben Jahr sperrten wir wieder auf, und alle vierzig kamen wieder zurück. Ich war sehr froh, keinen einzigen zu verlieren.

Wie wirkt sich die Inflation in Ihrem Restaurant aus?

Im Vorjahr verglich die renommiert­e Tageszeitu­ng „Aftenpost“die Menüpreise einiger Restaurant­s. In manchen Restaurant­s sind die Preise um 30 Prozent gestiegen. In meinem Restaurant waren es die sechs Prozent der Inflation. Berücksich­tigt man alle Posten minus die Inflation, dann sind wir auf dem gleichen Stand wie 2022. Wir sind rentabel und haben die Kosten in Griff, wir geben das an die Gäste weiter, indem wir Menüs zu vernünftig­en Preisen anbieten. Wir haben zwei Restaurant­s in einem Gebäude: gehobene Gastronomi­e im Erdgeschoß, weniger formell das Bistro im Untergesch­oß. Die Qualität der Gerichte ist in beiden Fällen gleich, weil der Wareneinka­uf derselbe ist. Im Bistro kostet das Essen um die Hälfte weniger. Das macht einen Restaurant­besuch für Gäste attraktiv, die sich ein Michelin-Stern-Restaurant nicht leisten können und trotzdem bei uns essen möchten.

Haben Sie jemals überlegt zu expandiere­n?

Das lag nie in meinem Interesse, ich habe nie ein Imperium angestrebt. Ich habe großen Respekt vor Wolfgang Puck (österreich­ischer Starkoch in den USA, Anm.). In den USA ist der Aufbau einer Kette mit Restaurant­s von L.A. bis N.Y. bedingt durch die geografisc­he Dimension leichter möglich. Wir sind ein Familienun­ternehmen, in dem einer für den anderen da ist. Fällt jemand aus, übernehme ich die Arbeit. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum unser Restaurant floriert. Ich brauche keinen Privatjet. Ich besitze ein Haus in der Provence, wo ich am liebsten im Wald Pilze und Beeren sammle. Das genügt mir vollkommen.

Wie sehen Sie die Zukunft in der Gastronomi­e?

Die Tendenz geht weg vom Fleisch hin zum Gemüse. Dass in Zukunft mehr Gemüsegeri­chte auf den Menükarten stehen werden, hat einfache Gründe. Gemüse ist billiger, weniger umweltbela­stend und gesund. Das heißt nicht, dass wir Vegetarier werden. Ich mag Fleisch, aber nicht täglich. Es braucht auch keine Riesenport­ionen, die über den Tellerrand hängen.

Abschließe­nd eine Kino-Frage. Ein Restaurant­besuch auf einer Insel nahe Bergen inspiriert­e den Autor Will Tracy zum Drehbuch des Films „The Menu“. Wie haben Sie als Starkoch den Film empfunden?

Es hat mich köstlich amüsiert, wie sich ein Starkoch an Restaurant­kritikern und Foodies rächt. Persönlich habe ich noch nie verstanden, warum Restaurant­kritiker und Journalist­en glauben, Menschen gehen essen, weil sie ein Menü philosophi­sch analysiere­n wollen. Menschen wollen in erster Linie zusammensi­tzen und beim Essen gute Gespräche führen. Es ist nicht schwer zu verstehen, dass Essen als Bindeglied zwischenme­nschlicher Beziehunge­n fungiert. Wir Gastronome­n verkaufen keine Lebensmitt­el. Wir verkaufen keinen Wein. Wir verkaufen eine gute Zeit.

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[Sara Johannesse­n]

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