Transparenz geht in Datenmengen unter
Die auf EU-Ebene mit Remit II novellierten Transparenzpflichten lassen einen Fokus auf das Relevante vermissen. Das Zuviel an Information schadet dem Ziel. – Ein Gastkommentar über eine vergebene Chance.
Wien. Seit der Finanzkrise 2008 hat nicht nur die Anzahl der regulatorischen Vorschriften erheblich zugenommen, auch wurden Bereiche der Wirtschaft erfasst, die zuvor nicht reguliert waren. Zwar sind die Zielsetzungen begrüßenswert, bei der Umsetzung gehen jedoch Anspruch und Realität oft auseinander. Mir ist auch kein Fall bekannt, bei dem gesetzliche Vorgaben nach deren Einführung wieder reduziert bzw. fokussiert wurden, etwa weil erkannt worden wäre, dass die ursprünglichen Regelungen ineffizient und fernab der Praxis aufgesetzt wurden. Aktueller Anlass ist die Novellierung der Remit-Verordnung, die im 2. Quartal 2024 in Kraft treten soll.
Remit steht für „Regulation on wholesale Energy Market Integrity and Transparency“und soll die Integrität und Transparenz des europäischen Energiegroßhandelsmarktes gewährleisten. Der Fokus liegt auf der Erzeugung und dem Handel von Gas und Strom. Mit der Novellierung wurden insbesondere die Ermittlungsbefugnisse der europäischen Regulierungsbehörde Acer erweitert und die Strafen mit bis zu 15 % des Umsatzes signifikant erhöht. Die Chance, jene Themen zu korrigieren, die auf Unternehmensseite Probleme aufwerfen, wurde allerdings vergeben.
Remit enthält zwei wesentliche Verpflichtungen. Die Veröffentlichung von Insider-Informationen, sogenannte Urgent Market Messages „UMMs“, und die laufende Meldung von Transaktionsdaten (im Wesentlichen tägliche Handelsgeschäfte für Strom und Gas, einschließlich der Handelsaufträge). Im Vergleich zu den Insider-Informationen, die auf den Kapitalmärkten veröffentlicht werden – wie M&A-Transaktionen –, gibt es erhebliche Unterschiede im Zusammenhang mit Remit: Die Zahl der EU-weit zur Veröffentlichung verpflichteten Marktteilnehmer ist mit mehr als 17.500 sehr hoch. Dies deshalb, weil nicht nur Erzeuger von Strom und Erdgas sowie Energiehandelsunternehmen erfasst werden, sondern auch Stadtwerke und größere Endkunden.
Zentrale Plattform für Meldungen fehlt
Mangels konkreter Schwellenwerte für die Veröffentlichung und um nicht dem Vorwurf eines Meldeverstoßes ausgesetzt zu sein, veröffentlichen sehr viele Marktteilnehmer laufend UMMs. Allein auf der deutschen Transparenzplattform EEX werden täglich mehrere Hundert UMMs publiziert. Ob sämtliche UMMs tatsächlich als Insider-Information qualifizieren, erscheint zweifelhaft. Noch problematischer ist, dass es 14 verschiedene Veröffentlichungsplattformen gibt und jeder Marktteilnehmer auf einer davon veröffentlichen kann. Damit besteht keine Marktübersicht, weil ein Zusammenführen von UMMs mit Marktgebietsdaten nahezu unmöglich ist. Im Ergebnis verhindern die Vielzahl und die unübersichtliche Streuung von UMMs die intendierte Markttransparenz. Warum nicht spätestens mit der Novellierung von Remit eine zentrale Plattform etabliert wurde, ist unklar.
Zudem ist die Erweiterung der Veröffentlichungspflicht von Insider-Informationen im Hinblick auf sogenannte Zwischenschritte praxisfern. Deren Bestimmung bereitet schon im kapitalmarktrechtlichen Bereich bei langgestreckten Sachverhalten Probleme, etwa bei der Exploration von größeren Gasvorkommen (was Jahre dauern kann) oder bei der Beurteilung der Auswirkungen kriegerischer Auseinandersetzungen. Dass dabei die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Auswirkung auf den Aktienkurs seriös beurteilt werden kann, kann auch nur Personen glaubhaft gemacht werden, die noch nie mit diesen Themen in der Praxis befasst waren.
Allerdings betrifft die Verpflichtung bisher nur vergleichsweise wenige kapitalmarktorientierte Unternehmen, die Erfahrung mit Ad-hoc-Mitteilungen haben. Wie diese komplexen Anforderungen zukünftig von den Marktteilnehmern, insbesondere den Stadtwerken und Endverbrauchern, umgesetzt werden sollen, bleibt ebenfalls unklar. Im Übrigen wäre es mit Blick auf den Entwurf des EU Listing Acts konsistent, von dieser Veröffentlichungspflicht abzusehen. Der Entwurf sieht nämlich vor, dass kleine und mittlere Unternehmen keine Zwischenschritte veröffentlichen müssen.
Die Menge der an Acer übermittelten Transaktionsdaten ist aufgrund des algorithmischen Handels enorm. Allein im ersten Quartal 2023 wurden 1,75 Milliarden Datensätze an Acer gemeldet, und dieser Trend nimmt zu. Allerdings werden rund 96 % der Daten von nur ca. 4 % der Marktteilnehmer berichtet. Eine einschränkende Definition der Marktteilnehmer wäre sinnvoll, um nur jene Unternehmen mit Reporting- und Adhoc-Meldepflichten zu belasten, die tatsächlich marktrelevant sind.
Ein offenes Geheimnis in der Branche ist die mangelnde Qualität der Daten, insbesondere beim Reporting von Handelsverträgen in all ihrer Komplexität. Bei bis zu 45 Datenfeldern, die pro Vertrag manuell ausgefüllt werden müssen, ergeben sich durch die individuelle Vertragsgestaltung Inkonsistenzen in den Berichtsdaten.
Rechnungshof kritisiert Datenqualität
Die mangelnde Datenqualität und die generelle Unzulänglichkeit der Marktüberwachung wurden auch vom EU-Rechnungshof in seinem Sonderbericht aus 2023 zur Integration des Elektrizitätsbinnenmarkts deutlich kritisiert. Der Bericht bemängelt beispielsweise, dass die von Acer durchgeführte Überwachung der Übertragungsnetzbetreiber zu keinen bedeutenden Fortschritten bei der Verbindung der Strominfrastruktur geführt hat. Weiters wurde festgestellt, dass die Datenerhebung nicht umfassend ist, nicht auf die wichtigsten Risikobereiche eingeht und die Markttransparenz kaum erhöht. Brisant ist die Tatsache, dass das Überwachungssystem von Acer aufgrund der enormen Datenmengen nach nur zweieinhalb Jahren Marktüberwachungstätigkeit zusammengebrochen ist und von Juli 2020 bis März 2021 keine Daten verfügbar waren.
Im Zuge der Gaskrise wurde zudem offensichtlich, dass trotz bestehender umfassender Berichtspflichten für nicht standardisierte Verträge keine vergleichbaren Daten für LNG-Transaktionen (Liquefied Natural Gas) zur Verfügung standen. Mit den bestehenden Transaktionsdaten konnte daher kein europäischer Durchschnittspreis für LNG ermittelt werden (sogenannter LNGBenchmark). Als Reaktion darauf wurde parallel ein umfassendes LNG-Reporting auf Ebene der Remit-Verordnung eingeführt. Es wäre nach Ansicht vieler Marktteilnehmer sinnvoll gewesen, die Datenanforderungen für nicht standardisierte Verträge auf wesentliche Punkte zu reduzieren, damit vergleichbarer zu machen und zudem das LNG-Reporting in das vereinfachte Format zu integrieren.
Es bleibt nur zu hoffen, dass die angesprochenen Kritikpunkte zumindest in den kommenden Durchführungsverordnungen berücksichtigt werden.