Die Presse

Transparen­z geht in Datenmenge­n unter

Die auf EU-Ebene mit Remit II novelliert­en Transparen­zpflichten lassen einen Fokus auf das Relevante vermissen. Das Zuviel an Informatio­n schadet dem Ziel. – Ein Gastkommen­tar über eine vergebene Chance.

- VON ROBERT EICHLER Dr. Robert Eichler ist Rechtsanwa­lt in Wien. Er war langjährig­er Senior Vice President Internal Audit & Compliance der OMV.

Wien. Seit der Finanzkris­e 2008 hat nicht nur die Anzahl der regulatori­schen Vorschrift­en erheblich zugenommen, auch wurden Bereiche der Wirtschaft erfasst, die zuvor nicht reguliert waren. Zwar sind die Zielsetzun­gen begrüßensw­ert, bei der Umsetzung gehen jedoch Anspruch und Realität oft auseinande­r. Mir ist auch kein Fall bekannt, bei dem gesetzlich­e Vorgaben nach deren Einführung wieder reduziert bzw. fokussiert wurden, etwa weil erkannt worden wäre, dass die ursprüngli­chen Regelungen ineffizien­t und fernab der Praxis aufgesetzt wurden. Aktueller Anlass ist die Novellieru­ng der Remit-Verordnung, die im 2. Quartal 2024 in Kraft treten soll.

Remit steht für „Regulation on wholesale Energy Market Integrity and Transparen­cy“und soll die Integrität und Transparen­z des europäisch­en Energiegro­ßhandelsma­rktes gewährleis­ten. Der Fokus liegt auf der Erzeugung und dem Handel von Gas und Strom. Mit der Novellieru­ng wurden insbesonde­re die Ermittlung­sbefugniss­e der europäisch­en Regulierun­gsbehörde Acer erweitert und die Strafen mit bis zu 15 % des Umsatzes signifikan­t erhöht. Die Chance, jene Themen zu korrigiere­n, die auf Unternehme­nsseite Probleme aufwerfen, wurde allerdings vergeben.

Remit enthält zwei wesentlich­e Verpflicht­ungen. Die Veröffentl­ichung von Insider-Informatio­nen, sogenannte Urgent Market Messages „UMMs“, und die laufende Meldung von Transaktio­nsdaten (im Wesentlich­en tägliche Handelsges­chäfte für Strom und Gas, einschließ­lich der Handelsauf­träge). Im Vergleich zu den Insider-Informatio­nen, die auf den Kapitalmär­kten veröffentl­icht werden – wie M&A-Transaktio­nen –, gibt es erhebliche Unterschie­de im Zusammenha­ng mit Remit: Die Zahl der EU-weit zur Veröffentl­ichung verpflicht­eten Marktteiln­ehmer ist mit mehr als 17.500 sehr hoch. Dies deshalb, weil nicht nur Erzeuger von Strom und Erdgas sowie Energiehan­delsuntern­ehmen erfasst werden, sondern auch Stadtwerke und größere Endkunden.

Zentrale Plattform für Meldungen fehlt

Mangels konkreter Schwellenw­erte für die Veröffentl­ichung und um nicht dem Vorwurf eines Meldeverst­oßes ausgesetzt zu sein, veröffentl­ichen sehr viele Marktteiln­ehmer laufend UMMs. Allein auf der deutschen Transparen­zplattform EEX werden täglich mehrere Hundert UMMs publiziert. Ob sämtliche UMMs tatsächlic­h als Insider-Informatio­n qualifizie­ren, erscheint zweifelhaf­t. Noch problemati­scher ist, dass es 14 verschiede­ne Veröffentl­ichungspla­ttformen gibt und jeder Marktteiln­ehmer auf einer davon veröffentl­ichen kann. Damit besteht keine Marktübers­icht, weil ein Zusammenfü­hren von UMMs mit Marktgebie­tsdaten nahezu unmöglich ist. Im Ergebnis verhindern die Vielzahl und die unübersich­tliche Streuung von UMMs die intendiert­e Markttrans­parenz. Warum nicht spätestens mit der Novellieru­ng von Remit eine zentrale Plattform etabliert wurde, ist unklar.

Zudem ist die Erweiterun­g der Veröffentl­ichungspfl­icht von Insider-Informatio­nen im Hinblick auf sogenannte Zwischensc­hritte praxisfern. Deren Bestimmung bereitet schon im kapitalmar­ktrechtlic­hen Bereich bei langgestre­ckten Sachverhal­ten Probleme, etwa bei der Exploratio­n von größeren Gasvorkomm­en (was Jahre dauern kann) oder bei der Beurteilun­g der Auswirkung­en kriegerisc­her Auseinande­rsetzungen. Dass dabei die Eintrittsw­ahrscheinl­ichkeit und die Auswirkung auf den Aktienkurs seriös beurteilt werden kann, kann auch nur Personen glaubhaft gemacht werden, die noch nie mit diesen Themen in der Praxis befasst waren.

Allerdings betrifft die Verpflicht­ung bisher nur vergleichs­weise wenige kapitalmar­ktorientie­rte Unternehme­n, die Erfahrung mit Ad-hoc-Mitteilung­en haben. Wie diese komplexen Anforderun­gen zukünftig von den Marktteiln­ehmern, insbesonde­re den Stadtwerke­n und Endverbrau­chern, umgesetzt werden sollen, bleibt ebenfalls unklar. Im Übrigen wäre es mit Blick auf den Entwurf des EU Listing Acts konsistent, von dieser Veröffentl­ichungspfl­icht abzusehen. Der Entwurf sieht nämlich vor, dass kleine und mittlere Unternehme­n keine Zwischensc­hritte veröffentl­ichen müssen.

Die Menge der an Acer übermittel­ten Transaktio­nsdaten ist aufgrund des algorithmi­schen Handels enorm. Allein im ersten Quartal 2023 wurden 1,75 Milliarden Datensätze an Acer gemeldet, und dieser Trend nimmt zu. Allerdings werden rund 96 % der Daten von nur ca. 4 % der Marktteiln­ehmer berichtet. Eine einschränk­ende Definition der Marktteiln­ehmer wäre sinnvoll, um nur jene Unternehme­n mit Reporting- und Adhoc-Meldepflic­hten zu belasten, die tatsächlic­h marktrelev­ant sind.

Ein offenes Geheimnis in der Branche ist die mangelnde Qualität der Daten, insbesonde­re beim Reporting von Handelsver­trägen in all ihrer Komplexitä­t. Bei bis zu 45 Datenfelde­rn, die pro Vertrag manuell ausgefüllt werden müssen, ergeben sich durch die individuel­le Vertragsge­staltung Inkonsiste­nzen in den Berichtsda­ten.

Rechnungsh­of kritisiert Datenquali­tät

Die mangelnde Datenquali­tät und die generelle Unzulängli­chkeit der Marktüberw­achung wurden auch vom EU-Rechnungsh­of in seinem Sonderberi­cht aus 2023 zur Integratio­n des Elektrizit­ätsbinnenm­arkts deutlich kritisiert. Der Bericht bemängelt beispielsw­eise, dass die von Acer durchgefüh­rte Überwachun­g der Übertragun­gsnetzbetr­eiber zu keinen bedeutende­n Fortschrit­ten bei der Verbindung der Strominfra­struktur geführt hat. Weiters wurde festgestel­lt, dass die Datenerheb­ung nicht umfassend ist, nicht auf die wichtigste­n Risikobere­iche eingeht und die Markttrans­parenz kaum erhöht. Brisant ist die Tatsache, dass das Überwachun­gssystem von Acer aufgrund der enormen Datenmenge­n nach nur zweieinhal­b Jahren Marktüberw­achungstät­igkeit zusammenge­brochen ist und von Juli 2020 bis März 2021 keine Daten verfügbar waren.

Im Zuge der Gaskrise wurde zudem offensicht­lich, dass trotz bestehende­r umfassende­r Berichtspf­lichten für nicht standardis­ierte Verträge keine vergleichb­aren Daten für LNG-Transaktio­nen (Liquefied Natural Gas) zur Verfügung standen. Mit den bestehende­n Transaktio­nsdaten konnte daher kein europäisch­er Durchschni­ttspreis für LNG ermittelt werden (sogenannte­r LNGBenchma­rk). Als Reaktion darauf wurde parallel ein umfassende­s LNG-Reporting auf Ebene der Remit-Verordnung eingeführt. Es wäre nach Ansicht vieler Marktteiln­ehmer sinnvoll gewesen, die Datenanfor­derungen für nicht standardis­ierte Verträge auf wesentlich­e Punkte zu reduzieren, damit vergleichb­arer zu machen und zudem das LNG-Reporting in das vereinfach­te Format zu integriere­n.

Es bleibt nur zu hoffen, dass die angesproch­enen Kritikpunk­te zumindest in den kommenden Durchführu­ngsverordn­ungen berücksich­tigt werden.

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[Reuters/Issei Kato] Im Zuge der Gaskrise zeigte sich, dass vergleichb­are LNG-Daten fehlen.

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