Die Presse

Wann bekommen wir die StPO 3.0?

Höchstgeri­chtliche Entscheidu­ngen setzen den Gesetzgebe­r der Strafproze­ssordnung unter Zugzwang. Nicht nur punkto Handysiche­rstellung.

- VON SZYMON ŚWIDERSKI Dr. Świderski ist Rechtsanwa­lt in Wien.

Wien. Smartphone, Onlinebank­ing und Kryptowähr­ung gehören in der strafproze­ssualen Kartografi­e noch weitgehend zur Terra incognita. Zwei höchstgeri­chtliche Entscheidu­ngen aus dem letzten Jahr laden den Gesetzgebe­r auf eine Entdeckung­sreise ein, wobei die Entscheidu­ng des Verfassung­sgerichtsh­ofs (VfGH) ein Last-minuteAnge­bot ist.

Das Smartphone ist datentechn­isch nicht bloß eine Insel, sondern mindestens ein Kontinent mit beispiello­sen Bodenschät­zen. Noch bis Ende Dezember darf die Strafjusti­z dieses Gebiet – natürlich nur zu einem höheren berechtigt­en Zweck der Strafgerec­htigkeit und im Sicherheit­sinteresse der Allgemeinh­eit – frei kolonisier­en. Die Ermittler dürfen bis dahin seine gesamten Ressourcen (in Form von Daten) praktisch wahllos in ihren Einflussbe­reich transferie­ren und später mehr oder weniger nach eigenem Gutdünken auswerten und verschiede­nen berechtigt­en Abnehmern (Verteidige­rn, Beschuldig­ten, U-Ausschüsse­n etc.) weitergebe­n. Was daraus in weiterer Folge entstehen kann, kann für Überraschu­ngen sorgen: Wer hätte sich vorgestell­t, dass private Chats auf der Bühne des Burgtheate­rs vorgetrage­n werden?

Mit Ablauf des Silvestera­bends wird die Armada der Strafjusti­z (Regelungen über Sicherstel­lung und Auswertung elektronis­cher Datenträge­r) per Anordnung des VfGH versenkt werden müssen. Spätestens ab dem Neujahr werden die Reisen zum Eldorado Smartphone unter anderen Rahmenbedi­ngungen durchgefüh­rt werden können. Sie werden von einem Gericht bewilligt werden müssen. Die Strafjusti­z wird nicht mehr pauschal alle, sondern nur noch anlassbezo­gene Handydaten auswerten können. Die Betroffene­n werden in den Auswertung­sprozess eingebunde­n werden müssen. Dadurch werden sie kontrollie­ren können, ob auch entlastend­e Umstände berücksich­tigt und ob nur Daten im bewilligte­n Umfang ausgewerte­t werden.

Willkommen in Absurdista­n

Aus einer Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fs (OGH 14 Os 137/ 22m) erfährt man die Elendsgesc­hichte eines Unternehme­ns, welches durch unbekannte Onlinebetr­üger unter Verwendung falscher E-Mails und einer Bestätigun­g eines angebliche­n Rechtsanwa­lts dazu gebracht wurde, einige Millionen Euro auf ein Konto im Ausland zu überweisen. Das Verfahren ist im Ermittlung­sstadium steckengeb­lieben, da eine Anklage gegen Unbekannte nicht möglich ist.

Diese Geschichte ist zwar von einem Riesenglüc­k geprägt: Die Ermittler haben die Tatbeute gefunden und gesichert. Das geschädigt­e Unternehme­n wartet aber seit Jahren auf sein Geld. Der Grund dafür liegt darin, dass es sich bei der Beute um Bankguthab­en handelt. Ginge es um einen Geldkoffer, könnte die Strafjusti­z ihn problemlos sicherstel­len, verwahren und dem Opfer – unter Umständen selbst noch bei laufendem Ermittlung­sverfahren – zurückgebe­n.

Das Bankguthab­en kann so aber nur auf einem Konto eingefrore­n werden. Es darf nicht auf ein Justizkont­o überwiesen und dort verwahrt werden, weil es dafür keine Gesetzesgr­undlage gibt. Daher hat der OGH festgehalt­en, dass die Strafjusti­z das Geld des geschädigt­en Unternehme­ns illegal auf ihr Konto hat überweisen lassen. Eine unkomplizi­erte Weiterüber­weisung von dem Justizkont­o an das Opfer wäre ebenfalls rechtswidr­ig, weil es auch dafür keine Gesetzesgr­undlage gibt. Es herrscht seit Jahren eine bizarre Pattsituat­ion.

Dieses Gesetzesma­nko macht das Leben nicht nur der Opfer schwer, sondern auch der Strafjusti­z. Das Bankguthab­en kann die Strafjusti­z noch sicherstel­len, indem sie es einfriert. Aufgrund der technische­n Beschaffen­heit können aber z. B. Bitcoins nicht einmal effektiv eingefrore­n werden, denn in der Kryptowelt gibt es keine Banken. Für eine effektive Sicherstel­lung müssen Bitcoins daher grundsätzl­ich in den staatliche­n Einflussbe­reich (sog. behördlich­e Wallets) übertragen werden. Das ist faktisch möglich, da die Strafjusti­z über eigene Wallets verfügt.

Rechtlich ist es aber nicht möglich. Denn Bankguthab­en und Kryptowähr­ungen sind beide unkörperli­che Vermögensw­erte und daher gleich zu behandeln. Wenn also die Übertragun­g des Bankguthab­ens auf ein Konto der Justiz nach dem OGH rechtswidr­ig ist, wäre dies auch beim Transfer von Bitcoins auf eine behördlich­e Wallet der Fall.

Amtsmissbr­auch im Raum

Ein im Jahr 2020 erschienen­er Erlass des Justizmini­steriums empfiehlt noch die Übertragun­g der inkriminie­rten Kryptowähr­ung in eine staatliche Wallet. Ein Erlass ist aber bloß eine interne Regelung und kann das Gesetzesma­nko nicht ausgleiche­n. Wenn die Beamten weiterhin gemäß der Empfehlung des Justizmini­steriums handeln, unterliege­n sie jetzt einem Strafbarke­itsrisiko. Nach der Entscheidu­ng des OGH ist die Rechtslage klar. Wenn die Beamten bewusst illegale Anordnunge­n im grundrecht­ssensiblen Bereich treffen, können sie sich unter Umständen wegen Amtsmissbr­auchs strafbar machen.

Beide Entscheidu­ngen sind ein echter Weckruf für das Justizmini­sterium. Die derzeitige Rechtslage ist für alle Verfahrens­beteiligte­n unzumutbar. Wir haben keine Strafproze­ssordnung 2.0 bekommen, jetzt brauchen wir eine Strafproze­ssordnung 3.0.

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