Wann bekommen wir die StPO 3.0?
Höchstgerichtliche Entscheidungen setzen den Gesetzgeber der Strafprozessordnung unter Zugzwang. Nicht nur punkto Handysicherstellung.
Wien. Smartphone, Onlinebanking und Kryptowährung gehören in der strafprozessualen Kartografie noch weitgehend zur Terra incognita. Zwei höchstgerichtliche Entscheidungen aus dem letzten Jahr laden den Gesetzgeber auf eine Entdeckungsreise ein, wobei die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) ein Last-minuteAngebot ist.
Das Smartphone ist datentechnisch nicht bloß eine Insel, sondern mindestens ein Kontinent mit beispiellosen Bodenschätzen. Noch bis Ende Dezember darf die Strafjustiz dieses Gebiet – natürlich nur zu einem höheren berechtigten Zweck der Strafgerechtigkeit und im Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit – frei kolonisieren. Die Ermittler dürfen bis dahin seine gesamten Ressourcen (in Form von Daten) praktisch wahllos in ihren Einflussbereich transferieren und später mehr oder weniger nach eigenem Gutdünken auswerten und verschiedenen berechtigten Abnehmern (Verteidigern, Beschuldigten, U-Ausschüssen etc.) weitergeben. Was daraus in weiterer Folge entstehen kann, kann für Überraschungen sorgen: Wer hätte sich vorgestellt, dass private Chats auf der Bühne des Burgtheaters vorgetragen werden?
Mit Ablauf des Silvesterabends wird die Armada der Strafjustiz (Regelungen über Sicherstellung und Auswertung elektronischer Datenträger) per Anordnung des VfGH versenkt werden müssen. Spätestens ab dem Neujahr werden die Reisen zum Eldorado Smartphone unter anderen Rahmenbedingungen durchgeführt werden können. Sie werden von einem Gericht bewilligt werden müssen. Die Strafjustiz wird nicht mehr pauschal alle, sondern nur noch anlassbezogene Handydaten auswerten können. Die Betroffenen werden in den Auswertungsprozess eingebunden werden müssen. Dadurch werden sie kontrollieren können, ob auch entlastende Umstände berücksichtigt und ob nur Daten im bewilligten Umfang ausgewertet werden.
Willkommen in Absurdistan
Aus einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH 14 Os 137/ 22m) erfährt man die Elendsgeschichte eines Unternehmens, welches durch unbekannte Onlinebetrüger unter Verwendung falscher E-Mails und einer Bestätigung eines angeblichen Rechtsanwalts dazu gebracht wurde, einige Millionen Euro auf ein Konto im Ausland zu überweisen. Das Verfahren ist im Ermittlungsstadium steckengeblieben, da eine Anklage gegen Unbekannte nicht möglich ist.
Diese Geschichte ist zwar von einem Riesenglück geprägt: Die Ermittler haben die Tatbeute gefunden und gesichert. Das geschädigte Unternehmen wartet aber seit Jahren auf sein Geld. Der Grund dafür liegt darin, dass es sich bei der Beute um Bankguthaben handelt. Ginge es um einen Geldkoffer, könnte die Strafjustiz ihn problemlos sicherstellen, verwahren und dem Opfer – unter Umständen selbst noch bei laufendem Ermittlungsverfahren – zurückgeben.
Das Bankguthaben kann so aber nur auf einem Konto eingefroren werden. Es darf nicht auf ein Justizkonto überwiesen und dort verwahrt werden, weil es dafür keine Gesetzesgrundlage gibt. Daher hat der OGH festgehalten, dass die Strafjustiz das Geld des geschädigten Unternehmens illegal auf ihr Konto hat überweisen lassen. Eine unkomplizierte Weiterüberweisung von dem Justizkonto an das Opfer wäre ebenfalls rechtswidrig, weil es auch dafür keine Gesetzesgrundlage gibt. Es herrscht seit Jahren eine bizarre Pattsituation.
Dieses Gesetzesmanko macht das Leben nicht nur der Opfer schwer, sondern auch der Strafjustiz. Das Bankguthaben kann die Strafjustiz noch sicherstellen, indem sie es einfriert. Aufgrund der technischen Beschaffenheit können aber z. B. Bitcoins nicht einmal effektiv eingefroren werden, denn in der Kryptowelt gibt es keine Banken. Für eine effektive Sicherstellung müssen Bitcoins daher grundsätzlich in den staatlichen Einflussbereich (sog. behördliche Wallets) übertragen werden. Das ist faktisch möglich, da die Strafjustiz über eigene Wallets verfügt.
Rechtlich ist es aber nicht möglich. Denn Bankguthaben und Kryptowährungen sind beide unkörperliche Vermögenswerte und daher gleich zu behandeln. Wenn also die Übertragung des Bankguthabens auf ein Konto der Justiz nach dem OGH rechtswidrig ist, wäre dies auch beim Transfer von Bitcoins auf eine behördliche Wallet der Fall.
Amtsmissbrauch im Raum
Ein im Jahr 2020 erschienener Erlass des Justizministeriums empfiehlt noch die Übertragung der inkriminierten Kryptowährung in eine staatliche Wallet. Ein Erlass ist aber bloß eine interne Regelung und kann das Gesetzesmanko nicht ausgleichen. Wenn die Beamten weiterhin gemäß der Empfehlung des Justizministeriums handeln, unterliegen sie jetzt einem Strafbarkeitsrisiko. Nach der Entscheidung des OGH ist die Rechtslage klar. Wenn die Beamten bewusst illegale Anordnungen im grundrechtssensiblen Bereich treffen, können sie sich unter Umständen wegen Amtsmissbrauchs strafbar machen.
Beide Entscheidungen sind ein echter Weckruf für das Justizministerium. Die derzeitige Rechtslage ist für alle Verfahrensbeteiligten unzumutbar. Wir haben keine Strafprozessordnung 2.0 bekommen, jetzt brauchen wir eine Strafprozessordnung 3.0.