„Mein Kopf trifft die richtige Entscheidung“
Max Hitzig aus St. Gallenkirch im Montafon steht vor dem Gesamtsieg bei der Freeride World Tour. Wer ist der Mann? Und warum kann ihm niemand das Wasser reichen? Über den permanenten Grenzgang und den Pfad zu Olympia.
Die Presse:
Was braucht es, abgesehen von der entsprechenden Skitechnik, um wie Sie ein Siegfahrer auf der Freeride World Tour zu werden?
Max Hitzig: Es ist sicher ganz viel Kopfsache. Ich bin ein sehr überlegter Fahrer, ich mache nichts Unerwartetes. Nicht nur beim Skifahren. Wenn die Handschuhe oder die Skibrille nicht passen, kriege ich die Krise. Da darf wirklich gar nichts sein, das mich beim Skifahren stören könnte.
Sie sind also auch ein Materialtüftler?
Ich bin einer der Wenigen, vielleicht der Einzige auf der Tour, der das so extrem macht. Es interessiert mich und du lernst viel. Der Skischuh ist definitiv das Wichtigste. Skier machen heute alle gut, das ist Massenproduktion, das funktioniert. Aber wenn der Schuh nicht passt, kannst du deine Körperbewegung nicht so gut auf den Schnee übertragen. Kein Fahrer ist hundertprozentig zufrieden mit dem Schuh. Ich bin nicht bei hundert Prozent, aber habe hingekriegt, dass es passt.
Diese Akribie ist der Grund für Ihren aktuellen Erfolg?
Ich könnte mir das vorstellen. Ich bin ein ziemlich strukturierter Mensch in fast allem, was ich mache, mein ganzes Leben lang schon. Beim Wettkampf gibt mir das eine gewisse Sicherheit. Ich kann mich darauf verlassen, dass mein Kopf die richtige Entscheidung trifft und ich keinen Blödsinn mache.
Wie verlief Ihr Weg an die Spitze des Freeride-Sports?
Mein Papa ist Bergführer und hat mir das Skifahren beigebracht. Aber ich bin diesen Weg durch meinen Bruder gegangen. Er ist drei Jahre älter und ich bin jeden Tag mit ihm Ski gefahren. Ich habe natürlich gewusst, dass es diesen Sport gibt, aber erst als ich ein Handy bekommen habe und mit Social Media in Kontakt gekommen bin, habe ich gesehen, dass ich auch einmal so gut werden könnte. Aber ich habe nie etwas erzwungen. Ich habe dann eine Lehre als Elektrotechniker gemacht und konnte nur mehr am Wochenende Ski fahren, aber da war für mich schon klar, dass ich das professionell machen möchte.
Das Rennfahren haben Sie ganz ausgelassen.
Ja, mit den Rennfahrern haben wir uns nicht so gut verstanden. (lacht)
Was bedeutet das Wort „Freeriden“für Sie?
Ich glaube, das Wort beschreibt ziemlich gut, wie man sich fühlt. Frei sein und Ski fahren, du kannst machen, was du willst. Klar, im Wettbewerb bist du nicht mehr ganz so frei, hast Start und Ziel, weißt, es geht um Punkte. Da bin ich schon nachdenklich, probiere, mich in die Judges hineinzufühlen.
Wie landet man die hohen Punktezahlen?
Es ist immer noch Freeriden, auch wenn es sich schon länger mit den vielen Tricks in eine andere Richtung entwickelt. Meiner Meinung nach sollte der Sport trotzdem
noch so gemacht werden, dass man gerade hinunterschießt, es sollte steil sein, technisch schwierig, und man sollte über Felsen springen.
Nach zwei Siegen sind Sie nun in Georgien Dritter geworden – auf einem Hang, den weder Sie noch Ihre Konkurrenten jemals zuvor befahren haben.
Es bringt jetzt nicht wahnsinnig viel, ob du den Hang kennst oder nicht. Jeder Schneefall verändert ihn wieder, Absprünge und Landung sind jedes Mal anders und du willst ja auch immer wieder woanders herunterfahren. Mit der Zeit kannst du alles besser einschätzen,
aber die Linienwahl ist immer ein Auf und Ab der Gefühle. Ich versuche, möglichst schnell eine Entscheidung zu finden und genau zu wissen, wo überall Gefahren lauern. So dass alles im Kopf gespeichert ist und beim Fahren automatisch passiert. Aber schlussendlich kann sich auch am Start noch etwas ändern.
Die Freeride World Tour wurde vom Internationalen Skiverband FIS gekauft. Ihr Sport könnte bei den Winterspielen 2030 in Frankreich olympisch sein.
Davon kriegen wir momentan noch nicht viel mit. Aber wenn es so ist, dann werden früher oder später auch die Skiverbände einsteigen. Ich werde dann 27 Jahre alt sein, das würde eigentlich noch gehen … Einmal bei Olympia mitzumachen wäre schon cool. Aber das kommt auf meine Interessen bis dahin an und darauf, wie sich der Sport verändert.
Sie reiten aktuell auf der Erfolgswelle, gibt es Schattenseiten?
Keine schlimmen. Aber was manche nicht sehen: Wir kommen nicht nur hierher, gehen Ski fahren, haben Spaß und machen Party. Es ist doch ein Beruf, wir müssen performen, auch, damit wir davon leben können. Du hast schon Leistungsdruck, die Nervosität kannst du mit nichts anderem vergleichen, damit musst du erst einmal umgehen können. Und natürlich die Verletzungen, der Körper ist unser Arbeitsgerät. Seit ich den ganzen Winter lang jeden Tag Ski fahre, zwickt es einmal hier, einmal da, du musst immer darauf achten, dass dein Körper funktioniert. Die Belastung ist schon ziemlich hoch.
Wie sehr kreisen Ihre Gedanken um die Gefahren, die in den Bergen lauern?
Da musst du dich logischerweise auskennen. Aber Angst habe ich keine, ich habe das von meinem Vater gelernt. Respekt gehört dazu, aber das Wichtigste ist das Knowhow. Wenn du dich auskennst, weißt du, wenn es gefährlich ist. Und dann fahre ich da eben nicht hinunter und brauche auch keine Angst zu haben.
Wenn Sie sich spontan ein Land, einen Berg und einen bestimmten Hang aussuchen könnten – wo würden Sie jetzt am liebsten Ski fahren?
Ich würde schon noch gern viele Länder und Berge erkunden. Aber schlussendlich wird es mich immer wieder zurück in die Alpen ziehen. So schön du es dir überall vorstellst, bin ich dann doch immer wieder froh, daheim zu sein. Die Alpen sind strukturell super für Skisport, du hast alles, was du brauchst. Hoffen wir, dass wir das noch länger machen können, falls wir noch Schnee bekommen.