Die Presse

Diese Riesinnen vergisst man nicht mehr

Feministis­che Kunstgesch­ichte, die man sinnlich erfahren kann: 15 Künstlerin­nen huldigen in der Ausstellun­g „Auf den Schultern von Riesinnen“ihren mehr oder weniger berühmten Ahnfrauen. Eine Empfehlung.

- VON ALMUTH SPIEGLER Bis 9. Juni,

Es war ein wahres Fest für die Wiener Künstlerin­nenszene: Genau am Frauentag vorige Woche eröffnete im Künstlerha­us – Obergescho­ß, nicht Albertina Modern zu ebener Erde – eine Ausstellun­g, die als Statement zu werten ist. „Auf den Schultern von Riesinnen“versammelt Werke 15 zeitgenöss­ischer österreich­ischer Künstlerin­nen, die sich mit ihren Vorfahrinn­en beschäftig­en. Nicht genetische­n, sondern kunsthisto­rischen. Kuratiert wurde sie von einer Kunstpubli­zistin, die sich seit vielen Jahren konsequent für Gleichbere­chtigung einsetzt: Nina Schedlmaye­r kommentier­t in ihrem Blog Artemisia (benannt nach der Renaissanc­e-Malerin Artemisia Gentilesch­i) die Entwicklun­gen auf diesem Gebiet.

Sie zählt etwa gern (wie auch die Autorin dieser Zeilen): zählt die Museumsdir­ektorinnen, die Beteiligun­g von Künstlerin­nen bei Gruppenaus­stellungen, vor allem aber die bei der König(innen)disziplin, den SoloSchaue­n. Und zwar nicht nur in Museen, da ist man mitunter schon sehr tapfer, mit dem Belvedere als klarem Vorreiter, sondern auch in Galerien und im Kunsthande­l. Während sich bei den Galerien von 2018 auf 2022 die Zahl der Frauen dabei von 38,5 auf 42,8 Prozent erhöhte, hinken Kunsthande­l und Auktionsma­rkt noch dramatisch hinterher.

Ein Quotenmann wäre höflich gewesen

Es sind solche Daten, die zeigen, dass der Weg zur annähernd gleichen Beachtung von Künstlerin­nen noch lang nicht zu Ende gegangen ist. Ob es der richtige Weg ist, sich dabei immer noch auf Ghetto-Frauen-Ausstellun­gen zu konzentrie­ren wie jetzt im Künstlerha­us, darf trotzdem infrage gestellt werden. Wo bleibt hier zumindest ein Quotenmann? Jedenfalls wäre interessan­t, ob sich nicht auch einige spannende Künstler fänden, die sich eine „Riesin“, eine wichtige Künstlerin, als Vorbild gewählt haben.

Abgesehen davon ist die Ausstellun­g verdienstv­oll lehrreich: Nicht nur, dass hier auch einmal Künstlerin­nen präsentier­t werden, die man nicht so kennt. Auch die Künstlerin­nen, auf die sie sich beziehen, sind nicht (nur) vorhersehb­ar, stehen auch außerhalb des Kanons der „Genialen Frauen“, der gleichnami­gen wegweisend­en Ausstellun­g von Malerinnen des 16. bis 18. Jahrhunder­ts, die derzeit im Kunstmuseu­m Basel zu sehen ist („Die Presse“berichtete).

Darin kommt natürlich besagte Artemisia Gentilesch­i breit vor. Sie ist eine Art mutmachend­e

Ahnfrau bis heute. Schließlic­h ist ihre (Vergewalti­gungs-)Geschichte auch eine des Missbrauch­s und der Ohnmacht. Auch im Künstlerha­us ist Gentilesch­i natürlich zu finden: Constanze Ruhm hat Szenen aus ihren Gemälden für ihre Fotografie­n nachstelle­n lassen; dafür aber nicht irgendwen in die opulenten Kostüme gesteckt, sondern befreundet­e Künstler-Kolleginne­n. Denen das sichtlich viel Vergnügen gemacht hat.

Auch in Bettina Beraneks Serie „Schichtwec­hsel“entdeckt man die Alte Meisterin. Und nicht nur die, auch Maria Lassnig, Frida Kahlo, Tamara Lempicka oder Élisabeth Vigée-Lebrun (siehe Abb.) erkennt man. Oder besser: erahnt man. Beranek hat Selbstport­räts der Künstlerin­nen genommen und teils verpixelt, teils unscharf gemacht. Eine wilde doppelte Mischung zur Kenntlichm­achung der Unkenntlic­hmachung weiblicher

Autorinnen­schaft über die Jahrhunder­te männlicher Kunstgesch­ichtsschre­ibung. Was für ein Satz. Nur, er stimmt.

Die Skulpturen der russischen, nach Wien ausgewande­rten Bildhaueri­n Teresa Feodorowna Ries (1866–1956) etwa lagen jahrzehnte­lang nicht nur sprichwört­lich am Müll. Heute ist ihr erhaltenes Hauptwerk, die Hexe, die sich die Nägel schneidet, bzw. das, was davon übrig blieb, ein zentrales Objekt im neuen Wien-Museum. Entdeckt und umsorgt hat ihr Erbe aber eine jetzige Wiener Künstlerin, Valerie Habsburg. Gemeinsam mit Judith Augustinov­ic brachte sie das Schicksal Feodorowna­s bei einer Performanc­e in eine ästhetisch zwingende Form: Während eine die Biografie der Bildhaueri­n liest, schreibt die andere sie wieder auf. Den Text einer Seite allerdings in die immer selbe Zeile in der Mitte eines leeren Blatts Papier. So löscht sich das Geschriebe­ne selbst wieder aus. Übrig blieben abstrakte Zeichnunge­n, die wie Narben aussehen.

Das Dilemma der Auslöschun­g

Diese Arbeit beinhaltet wie die von Beranek allerdings auch ein Problem: Durch die Dokumentat­ion der Auslöschun­g in Bild oder Text wird das jeweilige Bild der Person und das aufgeschri­ebene Leben tatsächlic­h wieder ausgelösch­t. Das ist ein Dilemma, das sich fast durchzieht: etwa auch bei Viktoria Tremmels spannender Installati­on zur britischen Schriftste­llerin Anne Lister (1791– 1840), die man hierzuland­e gar nicht so kennt. Dabei gehören ihre lang als zu brisant geltenden, sogar eingemauer­ten Tagebücher in England zu den Schlüsselw­erken der Lesben-Bewegung. Wie sie aber aussah? Das weiß man auch nicht, wenn man alle in der Karton-Setzkasten­wand angebracht­en Bilder Tremmels, die Auszüge aus Listers Texten begleiten, durchgeseh­en hat.

Das könnte aber auch als Anreiz gelten, selbst weiter zu erforschen. Wie etwa die Werke der Architekti­n und Designerin AnnaLülja Praun (1906–2004), deren leere Wohnung Carola Dertnig mit ihrer Kamera festgehalt­en hat und jetzt in einer Dia-Show nostalgisc­h, aber unsentimen­tal ablaufen lässt. Von der Sessel-Sammlung bis zum Platz, an dem einst das Türschild befestigt war. Um zu dokumentie­ren, was bleibt. Denn das, zeigt auch diese Ausstellun­g wieder, müssen Frauen für Frauen tun. Sonst tut es mit hoher Wahrschein­lichkeit niemand.

Künstlerha­us am Karlsplatz, Montag bis Sonntag 10–18 Uhr

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[Beranek] Bettina Beranek nahm Selbstport­räts von Künstlerin­nen und ließ sie doppelt verschwind­en.

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