Diese Riesinnen vergisst man nicht mehr
Feministische Kunstgeschichte, die man sinnlich erfahren kann: 15 Künstlerinnen huldigen in der Ausstellung „Auf den Schultern von Riesinnen“ihren mehr oder weniger berühmten Ahnfrauen. Eine Empfehlung.
Es war ein wahres Fest für die Wiener Künstlerinnenszene: Genau am Frauentag vorige Woche eröffnete im Künstlerhaus – Obergeschoß, nicht Albertina Modern zu ebener Erde – eine Ausstellung, die als Statement zu werten ist. „Auf den Schultern von Riesinnen“versammelt Werke 15 zeitgenössischer österreichischer Künstlerinnen, die sich mit ihren Vorfahrinnen beschäftigen. Nicht genetischen, sondern kunsthistorischen. Kuratiert wurde sie von einer Kunstpublizistin, die sich seit vielen Jahren konsequent für Gleichberechtigung einsetzt: Nina Schedlmayer kommentiert in ihrem Blog Artemisia (benannt nach der Renaissance-Malerin Artemisia Gentileschi) die Entwicklungen auf diesem Gebiet.
Sie zählt etwa gern (wie auch die Autorin dieser Zeilen): zählt die Museumsdirektorinnen, die Beteiligung von Künstlerinnen bei Gruppenausstellungen, vor allem aber die bei der König(innen)disziplin, den SoloSchauen. Und zwar nicht nur in Museen, da ist man mitunter schon sehr tapfer, mit dem Belvedere als klarem Vorreiter, sondern auch in Galerien und im Kunsthandel. Während sich bei den Galerien von 2018 auf 2022 die Zahl der Frauen dabei von 38,5 auf 42,8 Prozent erhöhte, hinken Kunsthandel und Auktionsmarkt noch dramatisch hinterher.
Ein Quotenmann wäre höflich gewesen
Es sind solche Daten, die zeigen, dass der Weg zur annähernd gleichen Beachtung von Künstlerinnen noch lang nicht zu Ende gegangen ist. Ob es der richtige Weg ist, sich dabei immer noch auf Ghetto-Frauen-Ausstellungen zu konzentrieren wie jetzt im Künstlerhaus, darf trotzdem infrage gestellt werden. Wo bleibt hier zumindest ein Quotenmann? Jedenfalls wäre interessant, ob sich nicht auch einige spannende Künstler fänden, die sich eine „Riesin“, eine wichtige Künstlerin, als Vorbild gewählt haben.
Abgesehen davon ist die Ausstellung verdienstvoll lehrreich: Nicht nur, dass hier auch einmal Künstlerinnen präsentiert werden, die man nicht so kennt. Auch die Künstlerinnen, auf die sie sich beziehen, sind nicht (nur) vorhersehbar, stehen auch außerhalb des Kanons der „Genialen Frauen“, der gleichnamigen wegweisenden Ausstellung von Malerinnen des 16. bis 18. Jahrhunderts, die derzeit im Kunstmuseum Basel zu sehen ist („Die Presse“berichtete).
Darin kommt natürlich besagte Artemisia Gentileschi breit vor. Sie ist eine Art mutmachende
Ahnfrau bis heute. Schließlich ist ihre (Vergewaltigungs-)Geschichte auch eine des Missbrauchs und der Ohnmacht. Auch im Künstlerhaus ist Gentileschi natürlich zu finden: Constanze Ruhm hat Szenen aus ihren Gemälden für ihre Fotografien nachstellen lassen; dafür aber nicht irgendwen in die opulenten Kostüme gesteckt, sondern befreundete Künstler-Kolleginnen. Denen das sichtlich viel Vergnügen gemacht hat.
Auch in Bettina Beraneks Serie „Schichtwechsel“entdeckt man die Alte Meisterin. Und nicht nur die, auch Maria Lassnig, Frida Kahlo, Tamara Lempicka oder Élisabeth Vigée-Lebrun (siehe Abb.) erkennt man. Oder besser: erahnt man. Beranek hat Selbstporträts der Künstlerinnen genommen und teils verpixelt, teils unscharf gemacht. Eine wilde doppelte Mischung zur Kenntlichmachung der Unkenntlichmachung weiblicher
Autorinnenschaft über die Jahrhunderte männlicher Kunstgeschichtsschreibung. Was für ein Satz. Nur, er stimmt.
Die Skulpturen der russischen, nach Wien ausgewanderten Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries (1866–1956) etwa lagen jahrzehntelang nicht nur sprichwörtlich am Müll. Heute ist ihr erhaltenes Hauptwerk, die Hexe, die sich die Nägel schneidet, bzw. das, was davon übrig blieb, ein zentrales Objekt im neuen Wien-Museum. Entdeckt und umsorgt hat ihr Erbe aber eine jetzige Wiener Künstlerin, Valerie Habsburg. Gemeinsam mit Judith Augustinovic brachte sie das Schicksal Feodorownas bei einer Performance in eine ästhetisch zwingende Form: Während eine die Biografie der Bildhauerin liest, schreibt die andere sie wieder auf. Den Text einer Seite allerdings in die immer selbe Zeile in der Mitte eines leeren Blatts Papier. So löscht sich das Geschriebene selbst wieder aus. Übrig blieben abstrakte Zeichnungen, die wie Narben aussehen.
Das Dilemma der Auslöschung
Diese Arbeit beinhaltet wie die von Beranek allerdings auch ein Problem: Durch die Dokumentation der Auslöschung in Bild oder Text wird das jeweilige Bild der Person und das aufgeschriebene Leben tatsächlich wieder ausgelöscht. Das ist ein Dilemma, das sich fast durchzieht: etwa auch bei Viktoria Tremmels spannender Installation zur britischen Schriftstellerin Anne Lister (1791– 1840), die man hierzulande gar nicht so kennt. Dabei gehören ihre lang als zu brisant geltenden, sogar eingemauerten Tagebücher in England zu den Schlüsselwerken der Lesben-Bewegung. Wie sie aber aussah? Das weiß man auch nicht, wenn man alle in der Karton-Setzkastenwand angebrachten Bilder Tremmels, die Auszüge aus Listers Texten begleiten, durchgesehen hat.
Das könnte aber auch als Anreiz gelten, selbst weiter zu erforschen. Wie etwa die Werke der Architektin und Designerin AnnaLülja Praun (1906–2004), deren leere Wohnung Carola Dertnig mit ihrer Kamera festgehalten hat und jetzt in einer Dia-Show nostalgisch, aber unsentimental ablaufen lässt. Von der Sessel-Sammlung bis zum Platz, an dem einst das Türschild befestigt war. Um zu dokumentieren, was bleibt. Denn das, zeigt auch diese Ausstellung wieder, müssen Frauen für Frauen tun. Sonst tut es mit hoher Wahrscheinlichkeit niemand.
Künstlerhaus am Karlsplatz, Montag bis Sonntag 10–18 Uhr