Bei diesem Tell trifft die Sopranistin ins Schwarze
Begeisterung für Rossinis „Guillaume Tell“– auch wenn weniger die um Unabhängigkeit kämpfenden Schweizer den Abend beherrschen als die glänzende Mathilde von Lisette Oropesa.
Diesen Regie-Treffer hat man nicht vergessen – obwohl die Premiere von Rossinis „Guillaume Tell“in der Inszenierung durch David Pountney schon 1998 stattfand und die letzte Aufführung an der Staatsoper 19 Jahre zurückliegt. Beim zentralen Apfelschuss im dritten Akt nämlich reichen die Schweizer – während der mit spannungsvoll bangen Tönen komponierten „Stille“davor – Tells Geschoß in Zeitlupe über die ganze Bühnenbreite ins Ziel, in den Apfel auf Jemmys Kopf: ein poetisch-bewegendes Symbol dafür, dass der Freiheitsheld nur mit dem Rückhalt des Volkes erfolgreich sein konnte.
Ansonsten wirkt diese Arbeit interessanterweise so, als habe Pountney, später zehn Jahre Herr über die Bregenzer Seebühne, schon damals das Heran- und Hinauszoomen geübt, den Wechsel von monumentalen und intimen Wirkungen. Sein Bühnenbildner Richard Hudson spielt mit den Perspektiven: Im Kleinen sind es puppenhausgroße Holzhütten und Bergpanoramen, einerseits im Hintergrund, andererseits von den Habsburgern unter Glassturz gestellt oder wütend zertrümmert. Im Großen rollen enorme Puppengestelle über die Bühne, auf einem thront Monika Bohinec als mütterliche Hedwige – und auf dem anderen, nein, nicht ihr Gatte Tell, sondern Melctal, den Evgeny Solodovnikov mit etwas zu jugendlichem Timbre ausstattet. Tell selbst bleibt durchwegs zu ebener Erd’, ein bodenständiger Schweizer aus der Menge – so soll das wohl gemeint sein.
Sängerisch hing der Abend durch
Bertrand de Billy, schon bei den letzten Aufführungen 2005 am Pult, war wieder ein Garant für die nötige Élégance und weitgehend schlackenfreie, teils folkloristisch grundierte Farbenpracht, mit der die umfangreiche Partitur prunkt. Er konnte freilich nicht verhindern, dass die Aufführung sängerisch streckenweise etwas durchhing. Ertragen muss man, was der Himmel sendet – oder das Besetzungsbüro: Sowohl Carlos Álvarez als auch Juan Diego Flórez waren ausgefallen, der Bariton hatte schon früher abgewunken, der Tenor letzte Woche. Nun gab also der verdiente Roberto Frontali sein Bestes als Tell, aber den Abend durch Stimme wie Bühnenpräsenz zu dominieren vermochte er nicht. Und John Osborn, zuletzt als Arrigo in Verdis „Vespri siciliani“an dramatische Grenzen geraten, ist nach wie vor um keinen von Arnolds Spitzentönen verlegen. Doch dauert es nicht einmal bis zu seiner mit Anstand absolvierten großen Arie „Asile héréditaire“, dass man sich etwas sattgehört hat an ihm.
Mit Lisette Oropesa hingegen schien das Stück im zweiten Akt erst richtig zu beginnen: Eine Mathilde von so koloraturgewandter Leuchtkraft und hoheitsvoller Ausstrahlung hört man wahrlich nicht alle Tage. Ihrer Soprannoblesse gesellte sich die glaubwürdig lausbübische Maria Nazarova als Jemmy bei. Im guten restlichen Ensemble übt sich früh, was ein Meister werden will: Iván Ayón Rivas etwa, der ebenso sicher über den Vierwaldstättersee wie auch durch die heikle Arie des Ruodi steuerte.