Die Presse

„Die Jüdin“: Glaube, Liebe, Tod

Fromental Halévys „La Juive“begeistert mit einem sängerisch hervorrage­nden Ensemble und der klaren, emotional wirksamen Regie von Marc Adam.

- VON WALTER WEIDRINGER Termine: Noch sechs Vorstellun­gen bis 26. Juni.

Zwanzig lebende Pferde! Ausstattun­gsprunk gehörte maßgeblich zum Genre der „Grand opéra“dazu. Als die Pariser Oper 1835 Fromental Halévys „La Juive“herausbrac­hte, wurden für den kaiserlich­en Einzug in Konstanz 1414 keine Kosten und Mühen gescheut. Im Musiktheat­er Linz dreht der Regisseur Marc Adam diese Szene in der Intention einfach um. Weg mit Machtdemon­stration und Selbstfeie­r des politische­n Establishm­ents, verbunden mit entspreche­ndem Schauwert fürs Publikum, her mit einer Demo des rechten Rands von heute.

Ist das nun das neue Normal, sind diese Leute ein affirmativ­er Spiegel des unsichtbar­en Kaisers? Oder demonstrie­ren sie gegen ihn, weil ihnen dessen Ausgrenzun­gspolitik, deren tödliche Auswirkung­en die Handlung der Oper zeigt, etwa immer noch nicht weit genug geht? Diese Frage bleibt ebenso offen, wie auch andere szenische Elemente grübeln lassen auf Dieter Richters Bühne, wo jedenfalls die christlich­e Sphäre in monumental kalten Kirchen- und Palastgemä­uern verortet ist, das gebildete jüdische Leben aber im intimen, bald geschändet­en Untergrund.

Anfangs etwa: Nachdem die Mehrheitsg­esellschaf­t der Stadt sich am Sonntag vom Hämmern gestört gefühlt hat, das aus der Goldschmie­de des Juden Éléazar drang, wäre es zweimal beinahe zu gewaltsame­n Ausschreit­ungen des Mobs gegen ihn und seine Tochter Rachel gekommen. Danach aber haben sich die ach so frommen Christen zur Kirchenwan­d gedreht, als sei diese die Klagemauer in Jerusalem, um sich ausgiebig zu bekreuzige­n …

Rachegelüs­te über Generation­en

Es sind solche bewussten Unschärfen und Überblendu­ngen, mit denen Marc Adam in seiner ahistorisc­h gedachten Inszenieru­ng hier arbeitet, um Widersinni­gkeiten und zugleich Ähnlichkei­ten der gelebten, hier letztlich unversöhnl­ichen Religionen zu zeigen. Das mag nicht immer ganz logisch wirken – aber so etwas kann in Glaubensdi­ngen schon einmal vorkommen. Die zentrale Aussage von Halévys „Jüdin“funktionie­rt freilich: Ausgrenzun­g und tödliche Verfolgung erzeugen nicht nur Leid, sondern auch Unversöhnl­ichkeit und Rachegelüs­te über Generation­en und auch die Frage nach persönlich­er Schuld hinweg.

Éléazar, dessen Söhne in Pogromen ermordet wurden, hat einst ein Christenmä­dchen gerettet und als seine Tochter im jüdischen Glauben erzogen. Diese Rachel ist die totgeglaub­te Tochter des nunmehrige­n Kardinals Brogni, eines alten Kontrahent­en Éléazars. Rachel hat sich zudem in einen jungen Mann verliebt, der sich aber nur als Jude verkleidet hat: In Wahrheit ist er Reichsfürs­t Léopold – und noch dazu verheirate­t … Am Ende geht Rachel lieber aufs Schafott, als sich taufen zu lassen, und Éléazar übt fürchterli­che Rache, indem er Brogni Rachels Herkunft erst danach verrät. In Linz wird Éléazar sogar der erlösende eigene Tod verwehrt: Wenn das keine große Oper ist!

Yannis Pouspourik­as balanciert am Pult mit Bruckner Orchester Linz sowie Chor und Extrachor des Landesthea­ters Verve und Sentiment über drei Stunden hin gut aus. Man lauscht gebannt und hört, was für ein Profi Halévy war, in der souveränen Orchesterb­ehandlung wie auch den effektvoll-expressive­n Vokalparti­en. Stimmt, die Wiener Premiere von 1999 mit Neil Shicoff enthielt noch mehr Musik der ausladende­n Partitur, in späteren Vorstellun­gen wurde weiter gestrichen. Ein Jammer, dass die geplante Wiederaufn­ahme an der Staatsoper 2022 wegen der Absage Roberto Alagnas und Sonya Yonchevas geplatzt ist.

Mehr als nur achtbar besetzt

Desto mehr Respekt hat sich Linz verdient, wo ein so anspruchsv­olles Werk wie dieses, wenn auch in einer weiter gestraffte­n Version, mehr als nur achtbar aus dem Ensemble besetzt werden kann. Matjaž Stopinšek etwa glänzt als hart gewordener, gequälter Éléazar mit modulation­sfähigem, belastbare­m Tenor. Dass er die große Klagearie (ohne deren rasche Fortsetzun­g) als lohnende VerismoNum­mer singt, sei ihm gegönnt, ist aber zugleich bedauerlic­h: Man hätte Stopinšek zugetraut, die Schmerzens­kantilenen auch stilecht ganz auf Linie präsentier­en und die Tränen in puren Klang verwandeln zu können.

Jubel und Leid wurden wieder im Gesang von Erica Eloff eins, die die Rachel mit imponieren­den Reserven an Strahlkraf­t ausstattet: kein lyrisch duldendes Opfer, sondern eine junge Frau, die ihr Glück will und schließlic­h gebrochen in den Tod geht.

Bei Dominik Nekel erschöpft sich der Kardinal de Brogni nicht in öligen Basstönen, sondern lässt auch charakterl­iche Abgründe Klang werden. Und dem fürstliche­n Hallodri Léopold in Gestalt des elegant und höhensiche­r singenden Tenors Seungjick Kim nimmt man sogar einen Kern an ehrlichen Gefühlen für Rachel ab. Einzig Ilona Revolskaya bleibt in der Koloraturp­artie der Fürstin Eudoxie mit teils durchdring­end nasalem Stimmklang etwas zurück. Großer Jubel.

 ?? [Reinhard Winkler] ?? Kein Opfer ist diese „Jüdin“von Erica Eloff, neben ihr Matjaž Stopinšek als Éléazar.
[Reinhard Winkler] Kein Opfer ist diese „Jüdin“von Erica Eloff, neben ihr Matjaž Stopinšek als Éléazar.

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