„Die Jüdin“: Glaube, Liebe, Tod
Fromental Halévys „La Juive“begeistert mit einem sängerisch hervorragenden Ensemble und der klaren, emotional wirksamen Regie von Marc Adam.
Zwanzig lebende Pferde! Ausstattungsprunk gehörte maßgeblich zum Genre der „Grand opéra“dazu. Als die Pariser Oper 1835 Fromental Halévys „La Juive“herausbrachte, wurden für den kaiserlichen Einzug in Konstanz 1414 keine Kosten und Mühen gescheut. Im Musiktheater Linz dreht der Regisseur Marc Adam diese Szene in der Intention einfach um. Weg mit Machtdemonstration und Selbstfeier des politischen Establishments, verbunden mit entsprechendem Schauwert fürs Publikum, her mit einer Demo des rechten Rands von heute.
Ist das nun das neue Normal, sind diese Leute ein affirmativer Spiegel des unsichtbaren Kaisers? Oder demonstrieren sie gegen ihn, weil ihnen dessen Ausgrenzungspolitik, deren tödliche Auswirkungen die Handlung der Oper zeigt, etwa immer noch nicht weit genug geht? Diese Frage bleibt ebenso offen, wie auch andere szenische Elemente grübeln lassen auf Dieter Richters Bühne, wo jedenfalls die christliche Sphäre in monumental kalten Kirchen- und Palastgemäuern verortet ist, das gebildete jüdische Leben aber im intimen, bald geschändeten Untergrund.
Anfangs etwa: Nachdem die Mehrheitsgesellschaft der Stadt sich am Sonntag vom Hämmern gestört gefühlt hat, das aus der Goldschmiede des Juden Éléazar drang, wäre es zweimal beinahe zu gewaltsamen Ausschreitungen des Mobs gegen ihn und seine Tochter Rachel gekommen. Danach aber haben sich die ach so frommen Christen zur Kirchenwand gedreht, als sei diese die Klagemauer in Jerusalem, um sich ausgiebig zu bekreuzigen …
Rachegelüste über Generationen
Es sind solche bewussten Unschärfen und Überblendungen, mit denen Marc Adam in seiner ahistorisch gedachten Inszenierung hier arbeitet, um Widersinnigkeiten und zugleich Ähnlichkeiten der gelebten, hier letztlich unversöhnlichen Religionen zu zeigen. Das mag nicht immer ganz logisch wirken – aber so etwas kann in Glaubensdingen schon einmal vorkommen. Die zentrale Aussage von Halévys „Jüdin“funktioniert freilich: Ausgrenzung und tödliche Verfolgung erzeugen nicht nur Leid, sondern auch Unversöhnlichkeit und Rachegelüste über Generationen und auch die Frage nach persönlicher Schuld hinweg.
Éléazar, dessen Söhne in Pogromen ermordet wurden, hat einst ein Christenmädchen gerettet und als seine Tochter im jüdischen Glauben erzogen. Diese Rachel ist die totgeglaubte Tochter des nunmehrigen Kardinals Brogni, eines alten Kontrahenten Éléazars. Rachel hat sich zudem in einen jungen Mann verliebt, der sich aber nur als Jude verkleidet hat: In Wahrheit ist er Reichsfürst Léopold – und noch dazu verheiratet … Am Ende geht Rachel lieber aufs Schafott, als sich taufen zu lassen, und Éléazar übt fürchterliche Rache, indem er Brogni Rachels Herkunft erst danach verrät. In Linz wird Éléazar sogar der erlösende eigene Tod verwehrt: Wenn das keine große Oper ist!
Yannis Pouspourikas balanciert am Pult mit Bruckner Orchester Linz sowie Chor und Extrachor des Landestheaters Verve und Sentiment über drei Stunden hin gut aus. Man lauscht gebannt und hört, was für ein Profi Halévy war, in der souveränen Orchesterbehandlung wie auch den effektvoll-expressiven Vokalpartien. Stimmt, die Wiener Premiere von 1999 mit Neil Shicoff enthielt noch mehr Musik der ausladenden Partitur, in späteren Vorstellungen wurde weiter gestrichen. Ein Jammer, dass die geplante Wiederaufnahme an der Staatsoper 2022 wegen der Absage Roberto Alagnas und Sonya Yonchevas geplatzt ist.
Mehr als nur achtbar besetzt
Desto mehr Respekt hat sich Linz verdient, wo ein so anspruchsvolles Werk wie dieses, wenn auch in einer weiter gestrafften Version, mehr als nur achtbar aus dem Ensemble besetzt werden kann. Matjaž Stopinšek etwa glänzt als hart gewordener, gequälter Éléazar mit modulationsfähigem, belastbarem Tenor. Dass er die große Klagearie (ohne deren rasche Fortsetzung) als lohnende VerismoNummer singt, sei ihm gegönnt, ist aber zugleich bedauerlich: Man hätte Stopinšek zugetraut, die Schmerzenskantilenen auch stilecht ganz auf Linie präsentieren und die Tränen in puren Klang verwandeln zu können.
Jubel und Leid wurden wieder im Gesang von Erica Eloff eins, die die Rachel mit imponierenden Reserven an Strahlkraft ausstattet: kein lyrisch duldendes Opfer, sondern eine junge Frau, die ihr Glück will und schließlich gebrochen in den Tod geht.
Bei Dominik Nekel erschöpft sich der Kardinal de Brogni nicht in öligen Basstönen, sondern lässt auch charakterliche Abgründe Klang werden. Und dem fürstlichen Hallodri Léopold in Gestalt des elegant und höhensicher singenden Tenors Seungjick Kim nimmt man sogar einen Kern an ehrlichen Gefühlen für Rachel ab. Einzig Ilona Revolskaya bleibt in der Koloraturpartie der Fürstin Eudoxie mit teils durchdringend nasalem Stimmklang etwas zurück. Großer Jubel.