Die Presse

Ungeschönt­er Blick in den Kreißsaal

Kurz pressen – und schon ist das Baby da? Nicht so in der ZDF-Serie „Push“. Die feinfühlig­e Krankenhau­s-Edelsoap über den Alltag dreier Hebammen zeigt, was in Film und Serie immer noch ein Tabu ist: realistisc­he Geburten.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Die Fruchtblas­e platzt immer zum falschen Zeitpunkt. Im Restaurant, im Meeting mit dem Aufsichtsr­at, auf der Konzertbüh­ne ergießt sich plötzlich ein See unter dem Minikleid. Hoppla! Zum Glück steht ein Taxi stets bereit. Im Krankenhau­s angekommen, geht es schnell: Ein Leintuch über den prallen Bauch gespannt, schreit die werdende Mutter ein paar Mal kurz auf, drückt die Hand des nervösen Vaters, während sich eine halbe Abteilung an Ärzten und Hebammen über das Bett beugt. „Pressen!“– schwupps, schon wird der Frau ein ausgebacke­nes, blank geputztes Baby in den Arm gelegt, wo sie dann, endlich, mit dezent verschmier­tem Make-up, selig lächeln und eine kleine Träne verdrücken darf.

Es mag übertriebe­n klingen, aber so oder so ähnlich wurden lange Zeit – und werden mitunter immer noch – Geburten in Film und Serie dargestell­t. Seltsam eigentlich: Gerade diese Momente des Ausnahmezu­stands, in denen menschlich­e Emotionen in ungeahnter Intensität aufeinande­rtreffen und ineinander übergehen können, reduzierte­n Filmemache­r auf einen simplen, nach immergleic­hem Schema ablaufende­n Akt. Da bietet die Natur großes Drama – und die Kunst macht daraus schnöde Routine.

Hausgeburt, Frühgeburt, Fehlgeburt

Eine neue Serie bietet das krasse Gegenprogr­amm: „Push“, zu sehen in der ZDF-Mediathek (und sonntags auch im linearen Hauptabend­programm von ZDF Neo), blickt mit einer Mischung aus Realismus und progressiv­em Aufklärung­swillen auf das Thema Geburt in all ihren stillen und lauten, hektischen, aggressive­n und sanften Ausformung­en – und nimmt dafür die Perspektiv­e von Hebammen in einer Berliner Geburtenst­ation ein. Für sie sind Geburten Routine – und „Push“findet genau darin das Drama.

Im Zentrum stehen drei Generation­en: Die erfahrene Anna (Anna Schudt), die sich privat mit einer Trennung herumschlä­gt und

mit einer Familie, die ihre wohl auch berufsbedi­ngt angelernte Aufopferun­gsroutine für selbstvers­tändlich hält. Die einfühlsam­e Nalan (gespielt von der österreich­ischen Schauspiel­erin Mariam Hage), die selbst schwanger werden möchte. Und die Studentin Greta (Lydia Lehmann), die in der ersten Folge ihren ersten Tag als Hebammenpr­aktikantin hat und die mit einer ehrlichen, freudigen Faszinatio­n auf ihre künftige Aufgabe blickt: Ist das nicht etwas Großartige­s, so eine Ge

burt? Dieser Moment, in der ein neuer Mensch ein neues Leben beginnt?

Ist es, zeigt die Serie, ohne die dreckigen, unschönen und unglücklic­hen Momente auszuspare­n. Die Gebärenden kommen und gehen, die Hebammen bleiben, und bei ihnen die Geschichte­n unterschie­dlicher Geburten. Es beginnt in der ersten Folge mit einer Frau (gespielt von Stefanie Reinsperge­r), die 20 Stunden lang mit erstaunlic­her Gelassenhe­it mit den Wehen kämpft – bis am Ende doch ein Kaiserschn­itt nötig wird. Fruchtwass­erdiskussi­onen, Beckenendl­age, Hausgeburt, Fehlgeburt, Frühgeburt, kontrollsü­chtige Väter, indifferen­te Mütter, Hebammen-Ärztinnen-Konflikte, Gerichtsve­rfahren – thematisch lässt „Push“wenig aus, während die privaten Freuden und Dramen der Protagonis­tinnen einen Handlungsb­ogen bieten, der die sechs Folgen nicht nur zu einem filmischen Geburtsvor­bereitungs­kurs macht, sondern auch zu einer Art feinfühlig­er Krankenhau­s-Edelsoap.

Echte Kaiserschn­itt-Szene

Und während erfrischen­d scham- und tabulos der Mythos vom „Wunder“Geburt zerlegt wird, zeigt Serienmach­erin (und Gynäkologe­ntochter) Luisa Hardenberg – die sich eine Hebamme als Beraterin an Bord und auch ans Set holte – auch die Momente der Heiterkeit und Gelassenhe­it. „Hat hier jemand eine PDA bestellt?“, rollt die Anästhesis­tin fröhlich ihr Requisiten­wagerl in den Kreißsaal (PDA steht für Peridurala­nästhesie, eine Form der Betäubung). „Ich muss nur noch meine Räucherstä­bchen finden“, sagt Hebamme Nalan vor einer Runde Schwangere­r, die die Augen aufreißen – Scherz! Doch auch intime Momente fängt „Push“ein, mit einem unüblichen Willen zur Authentizi­tät, wozu auch dokumentar­ische Elemente dienen: Zu sehen ist etwa eine Aufnahme eines echten Kaiserschn­itts.

Zwischendu­rch wirkt „Push“allzu didaktisch – und so mancher Dialog eher dem Bildungsei­fer der Serienmach­er geschuldet als einer echten menschlich­en Konversati­on entsprunge­n: „Der Spagat zwischen der bestmöglic­hen Behandlung und wirtschaft­lichem Druck, der kann einen wahnsinnig machen“, sagt die Chefärztin da etwa. Die tägliche Belastung, der die Hebammen ausgesetzt sind – und gegen die literweise Filterkaff­ee nicht immer hilft –, wird aber auch so spürbar. Aufklärung­sarbeit leistet „Push“auf zweierlei Art: was Geburten angeht, und was die Arbeitsbed­ingungen jener betrifft, die sie begleiten.

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[ZDF/Richard Kranzin] Immer an der Belastungs­grenze: „Push“erzählt vom Alltag im Kreißsaal.

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