Die Verlierer der Klimawende
Der Europäische Grüne Deal steckt in einer tiefen Krise. Seine Kosten wecken zusehends Verlustängste. Das „Win-win-Argument“überzeugt immer seltener.
„Dieser Wandel wird uns nicht kollektiv reicher machen“– Pierre Wunsch, Gouverneur der belgischen Notenbank, machte im Februar in Brüssel vor Abgeordneten des Europaparlaments und der beiden Kammern der belgischen Volksvertretung keine Umschweife. „Wir müssen aufrichtiger sein. Verleiten Sie die Leute nicht dazu, zu denken, dass grüne Politik positive Chancen in sich trägt, die das BIP vergrößern und Millionen von gut bezahlten Jobs schaffen könnten. Als Makroökonom ist es meine Aufgabe, Ihnen zu sagen, dass die Klimawende ein negativer Angebotsschock ist, der unser Wachstumspotenzial verringern wird. Es wird Gewinner geben, aber auch viele Verlierer.“
Mit dieser Analyse trifft Wunsch einen wunden Punkt. Denn der Europäische Grüne Deal, den Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, im Dezember 2019 als Leitmotiv ihrer Amtszeit vorgestellt hat, steckt in großen Schwierigkeiten. Das Ziel, Europas Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 auf netto null zu bringen, macht enorme Investitionen nötig, die damals, als von der Leyen ihren European Green Deal als europäische Mondmission beworben hat, nur en passant erwähnt wurden. Der Tenor in Brüssel damals lautete: Gewiss wird das teuer, aber kraft privater Investoren lässt sich die grüne Wende finanzieren. Zudem schafft sie eine Win-win-Situation für Klima und Bürger: weniger Emissionen, dafür besser gedämmte Wohnungen, billiger Solar- und Windstrom sowie unter dem Strich niedrigere Energiekosten.
Doch diese Gleichung geht nicht auf. „Wenn die Leute sagen: ,Das ist eine Winwin-Situation‘, wäre meine Antwort: ,Zeigen Sie’s mir‘“, sagte Ökonom Brian Burgoon von der Universität Amsterdam zur „Presse“. Er hat für den Brüsseler Thinktank Bruegel mittels einer Befragung von Bürgern in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Spanien und Italien erforscht, wie empfindlich die Menschen auf Einkommensverluste reagieren, die mit Klimapolitik zusammenhängen.
„Es wird nicht genug Geld geben“
Ernüchternde Erkenntnis: Sobald eine klimapolitische Maßnahme sich im Geldbörserl spürbar macht, steigt die Ablehnung der Leute rasant. „Die Unterstützung für jede emissionsreduzierende Politik fällt um 7,5 Prozent, falls sie negative persönliche Einkommenseffekte nach sich zieht“, warnen Burgoon und seine Koautoren. Die stets versprochenen positiven Einkommenseffekte aus Klimaschutzmaßnahmen hingegen steigern den Zuspruch der Bürger zu Klimaschutzmaßnahmen kaum bis gar nicht.
Wenn es denn solche positiven Einkommenseffekte gibt. Denn oft spüren die Bürger die unmittelbaren Kosten des Klimaschutzes, während der langfristige Nutzen sich ihnen entzieht. Ab dem Jahr 2027 zum Beispiel werden private Haushalte in das Emissionshandelssystem der EU einbezogen. Zu erwarten sind dann zusätzliche Kosten für Emissionszertifikate, deren Preis auf die Gas- und Stromrechnungen jener Privathaushalte aufgeschlagen werden, die mit fossilen Energieträgern heizen oder elektrifizieren. Denn nicht jeder kann auf Wärmepumpe und Sonnenstrom umsteigen.
Als die Kommission ihren Grünen Deal vorstellte, war die soziale Dimension der Dekarbonisierung nur ein Nebengedanke. Immerhin gibt es den Klimasozialfonds der EU, der ab dem Jahr 2026 jenen Europäern helfen soll, die unter Energiearmut leiden. Das sind laut Schätzung der Kommission rund 34 Millionen Menschen. Etwa 65 Milliarden Euro sind dafür bis 2032 vorgesehen. Reicht dieser Geldtopf aus, um negative persönliche Einkommensverluste auszugleichen? „Wir wissen das nicht. Aber ich glaube, dass es wahrscheinlich nicht genug sein wird, die Leute mit ein bisschen Geld abzufinden“, sagte Burgoon. „Es gibt viele Orte in Europa, wo es dafür einfach nicht genug Geld geben wird.“
Kommission rückt von ihrer Politik ab
Die Dringlichkeit der Klimapolitik an sich ist augenscheinlich. Am Montag beispielsweise warnte die Europäische Umweltagentur davor, dass die Risiken, welche der Klimawandel verursacht, in Europa „kritische oder katastrophale Niveaus erreichen könnten, wenn nicht stärker als bisher gegengesteuert werde.
Doch im Lichte des geschilderten wachsenden Widerstands in der Gesellschaft erklärt sich, wieso von der Leyen, die nun als Kandidatin der Europäischen Volkspartei um ihre eigene Nachfolge rittert, drei Monate vor der Europawahl im Juni immer mehr von ihrem einstigen Leibthema abrückt.
In den vergangenen Monaten hat ihre Kommission zahlreiche Green-Deal-Vorhaben wesentlich abgeschwächt oder gänzlich zurückgezogen. Die geplante Reform der Chemikalienverordnung „Reach“? Sang- und klanglos gestrichen. Die ohnehin nur vorsichtige Ökologisierung der Landwirtschaft? Im Angesicht der Bauernproteste geopfert. Das angekündigte Wasserschutzprogramm namens „Blue Deal“? Auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.
„Es sind die Menschen Europas, die uns dazu aufgerufen haben, entschlossen gegen den Klimawandel vorzugehen“, sprach von der Leyen im Dezember 2019. Solche Töne hört man von ihr nicht mehr. Es gehe darum, „Klimaziele und Wirtschaft zusammenzubringen“, sagte sie im Februar nach ihrer Nominierung durch die CDU und CSU in Berlin. Von der Verantwortung für die Welt, die sie ihren Enkelkindern hinterlassen wolle, ist in ihren Reden heute nichts mehr zu finden.