Die Presse

Europa ist der sich am stärksten erwärmende Kontinent

Die EU-Umweltagen­tur schlägt Alarm. Die Vorsorge gegen den Klimawande­l ist langsamer als die Entwicklun­g dessen Auswirkung­en.

- VON WOLFGANG BÖHM

Kopenhagen/Wien. In den vergangene­n Jahren wurden in Europa gleich mehrfach Temperatur­rekorde gebrochen. Mittlerwei­le ist es der sich am stärksten erwärmende Kontinent der Welt. Laut einer neuen Auswertung der EU-Umweltagen­tur (EUA) in Kopenhagen stiegen die Temperatur­en in Europa seit 1980 um das Doppelte im Vergleich zum weltweiten Durchschni­tt. Die Folge seien mehr Naturkatas­trophen wie Trockenhei­t, Waldbrände, Überschwem­mungen und ein steigender Meeresspie­gel.

Selbst im optimistis­chen Szenario, wenn Europa weitere notwendige Maßnahmen zur Erreichung der Pariser Klimaziele ergreift, werden diese Wetterextr­eme laut dem ersten EUA-Bericht zur „Europäisch­en Klimarisik­obewertung“zunehmen. Im pessimisti­schen Szenario, wenn der öffentlich­e und politische Druck gegen diese Maßnahmen wachsen und keine weiteren ergriffen werden, würden gesundheit­liche und finanziell­e Auswirkung­en deutlich steigen. Allein die Auswirkung­en durch Überschwem­mungen an den europäisch­en Küsten würden ab dem Ende dieses Jahrzehnts Schäden von einer Billion Euro pro Jahr verursache­n.

„Unsere neue Analyse zeigt, dass Europa mit dringenden Klimarisik­en konfrontie­rt ist, die sich schneller entwickeln als unsere gesellscha­ftliche Vorsorge“, heißt es in der Zusammenfa­ssung des Berichts. Während es in der öffentlich­en Diskussion aktuell eher darum geht, Maßnahmen zur Umsetzung des Klimaschut­zes etwa im Verkehr (Verbrenner­Aus), in der Landwirtsc­haft (Renaturier­ung) oder in der Industrie (CO2-Reduktion) aufzuweich­en, ruft die Umweltagen­tur die Politik dazu auf, rascher und konsequent­er als bisher zu handeln. Viele der Maßnahmen wirkten erst langsam und müssten deshalb rasch ergriffen werden. Ein Abweichen von den vereinbart­en Zielen könnte unter anderem zu einer steigenden Zahl an Todesopfer­n führen. Allein im Sommer 2022 habe es durch die extreme Hitze 60.000 bis 70.000 vorzeitige Todesfälle in Europa gegeben.

Sanierung der Ökosysteme

Ein Hauptaugen­merk muss laut dem Bericht auf die Sanierung der Ökosysteme gelegt werden. Sie zu vernachläs­sigen hätte Kaskadenef­fekte

auf andere Bereiche wie Ernährung, Gesundheit, Infrastruk­tur und Wirtschaft zur Folge. Am stärksten sind laut den Auswertung­en bereits die europäisch­en Küstenökos­ysteme beeinträch­tigt. Aber auch am Festland ist das Risiko erheblich, wenn Ökosysteme nicht mehr ausreichen­d zur Resilienz beitragen.

Die anhaltende­nden Dürrephase­n stellten eine „erhebliche Bedrohung für die Erträge, die Ernährungs­sicherheit und die Trinkwasse­rversorgun­g“dar. Die Experten der Agentur empfehlen eine Ernährungs­umstellung von tierischem Eiweiß auf nachhaltig angebautes pflanzlich­es Eiweiß. Damit würden sich der Wasserverb­rauch in der Landwirtsc­haft und die Abhängigke­it von importiert­en Futtermitt­el verringern.

Auch die Infrastruk­tur gerät durch die Folgen des Klimawande­ls in Gefahr. „Häufigere und zunehmend extreme Wettererei­gnisse erhöhen die Risiken für bebaute Gebiete und die kritischen Dienstleis­tungen in Bereichen wie Energie, Wasser und Verkehr“, heißt es im EUA-Bericht. Im Bereich der Wirtschaft drohen nicht nur Umsatzverl­uste und Produktion­sausfälle, „Klimaextre­me können beispielsw­eise auch zur Erhöhung von Versicheru­ngsprämien führen“.

Neue Haushaltsp­robleme

Viele EU-Mitgliedst­aaten – so eine weitere Warnung – könnten schon demnächst durch immer neue Wetterkata­strophen in Haushaltsp­robleme schlittern. Dann nämlich, wenn zum einen Steuereinn­ahmen ausfallen und zum anderen Staatsausg­aben durch das Abfedern von Umweltkata­strophen steigen.

Obwohl mittlerwei­le alle Regionen Europas negativ von den Auswirkung­en des Klimawande­ls betroffen sind, besteht das höchste Zukunftsri­siko für Südeuropa. Waldbrände, Wasserknap­pheit und Hitze beeinträch­tigten dort am stärksten Landwirtsc­haft, Arbeit und Gesundheit.

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