Franziskus’ Fettnäpfchen-Diplomatie
Er galt einst als politischer Papst. Doch nun herrscht immer öfter Verwirrung über Franziskus’ Wortwahl. Wie groß ist das diplomatische Gewicht des Heiligen Stuhls heute noch?
Missverständlich waren die Worte des Papstes – diese Meldung ging in letzter Zeit öfter um die Welt. Aktuell ist die Aufregung wegen einer Äußerung zum UkraineKrieg groß. In einem vorab veröffentlichten Interview, das Papst Franziskus dem Schweizer Fernsehen gegeben hat, sagt er: „Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben zu verhandeln.“Franziskus nannte weder Russland noch die Ukraine beim Namen und fügte hinzu, für Verhandlungen müsse man sich nicht schämen – ohne sie könne die Situation schließlich noch schlimmer werden. Was wohl ein Appell zu Friedensverhandlungen werden sollte, wurde zum diplomatischen Eklat. Die Ukraine und viele sie unterstützende Staaten sahen in den Worten des Papstes einen Aufruf allein an Kiew zu verhandeln – oder gar den Vorschlag, sich zu ergeben. Die Bezeichnung „weiße Fahne“wurde zum Ausgangspunkt der Diskussion: Wann benutzte der Papst sie und in welchem Zusammenhang? Sein Sprecher Matteo Bruni meldete sich schließlich zu Wort und widersprach den Darstellungen, Franziskus habe die Ukraine dazu aufgefordert zu kapitulieren.
Bruch mit Benedikts Haltung
Missverständnisse, unklare Übersetzungen, geänderte Rede-Abschriften: Seit einigen Monaten häufen sich die Fälle, in denen der Papst mit scheinbar unbedachten Worten aneckt. Dabei galt Franziskus lange als ein politischer Papst mit Gespür für den Moment, sei es als Vermittler zwischen Kuba und den USA oder wegen seines Beitrages zur Beilegung des Konfliktes der kolumbianischen Regierung mit den linken Farc-Guerilleros. Ein krasser Bruch mit der Haltung seines Vorgängers, Papst Benedikt XVI.. „Es liegt in der Natur der Kirche, dass sie keine Politik macht, sondern dass sie die Autonomie der Staaten und ihrer Institutionen respektiert“, schrieb Benedikt 2006 in der katholischen Wochenzeitung „Famiglia Cristiana“.
Doch in letzter Zeit findet auch die Stimme von Franziskus in außenpolitischen Belangen immer weniger Gehör – oder führt zu Verwirrung und Verärgerung. Im Fall der Ukraine hat sich Franziskus von Beginn des russischen Angriffskrieges
Ende Februar 2022 an für Verhandlungen als Lösung eingesetzt. Was vielen in den Äußerungen des Papstes aber fehlt : Eine klare Verurteilung des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Stattdessen kam immer wieder Irritation auf, zum Beispiel, als Franziskus im Mai 2022 in einem Interview mit dem „Corriere della Sera“das „Bellen der Nato vor Russlands Türe“als mögliche Provokation des Angriffes auf die Ukraine nannte. Später hieß es, er habe damit nur einen Staatschef zitiert. Welchen, behielt der Papst für sich.
Im Mai 2023 ernannte er den italienischen Kardinal Matteo Zuppi zum Leiter einer Friedensmission zur Beendigung des UkraineKrieges. Dieser warnte nun zum zweiten Jahrestag des Krieges selbst vor überhöhten Erwartungen. Der Heilige Stuhl habe nie geglaubt, eine Lösung in der Tasche zu haben, sagte er in einem Interview mit der italienischen Zeitung „Il Fatto Quotidiano“.
Ein ähnliches Bild ergibt sich im Nahostkonflikt. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem dadurch ausgelösten Krieg in Gaza bemüht sich Franziskus, den Opfern auf beiden Seiten gerecht zu werden. Nach dem 7. Oktober drückte Franziskus zwar unmittelbar seinen
„Schmerz“über die Geschehnisse aus. Doch viele hatten sich auch hier mehr erwartet.
Protest von Italiens Rabbinern
Zusätzlich reiht sich auch in diesem Konflikt ein diplomatischer Fehlgriff an den anderen: Nach Treffen mit Israelis und Palästinensern Ende November leistet sich der Papst bei seiner Erzählung darüber einen heiklen Versprecher. Er erzählt, er habe Angehörige israelischer Geiseln und Palästinenser getroffen, die Angehörige haben, die in Israel in Haft sitzen. Das wurde später in der offiziellen Niederschrift vom Vatikan als „Palästinenser, die Angehörige haben, die in Gaza leiden“wiedergegeben. Da hatte die Vereinigung der Rabbiner Italiens die gesprochenen Worte des Papstes aber bereits kritisiert: „Damit stellt man unschuldige von der Familie fortgerissene Menschen mit Personen auf eine Stufe, die oftmals wegen Akten schweren Terrorismus verurteilt wurden.“
Die Folge solcher „Missverständnisse“: Der Vatikan, der oftmals in der Geschichte als moralischer Mittler agierte, wird als solcher nicht mehr so angenommen wie früher. Das Vertrauen, das diese Rolle erfordert, hat der Papst in den vergangenen Wochen immer wieder verspielt.