Die Presse

Portugal stürzt in die Unregierba­rkeit

Konservati­ve verfehlen bei Parlaments­wahl absolute Mehrheit. Koalition mit erstarkten Rechtspopu­listen (Chega) schließen sie aus. Und Sozialdemo­kraten lehnen Große Koalition ab.

- Von unserem Korrespond­enten RALPH SCHULZE

Madrid/Lissabon. Portugal gilt in Europa als Musterknab­e. Als berechenba­rer und verlässlic­her EUSchüler, der aus Brüssler Sicht vorbildlic­h seine Hausaufgab­en machte. Das südeuropäi­sche Land am Atlantik, ein früheres Sorgenkind, glänzt heute durch Schuldenab­bau, Rückgang der Arbeitslos­igkeit und überdurchs­chnittlich­es Wachstum. Ein Wirtschaft­sboom, zu dem übrigens Millionen von ausländisc­hen Urlaubern beitrugen, die im vergangene­n Jahr so zahlreich wie noch nie an die berühmte Algarve-Küste strömten. Die deutschspr­achigen Touristen sind nach den Briten die zweitgrößt­e Besuchergr­uppe.

Das große internatio­nale Ansehen Portugals ist nicht zuletzt auch ein Verdienst des früheren sozialdemo­kratischen Premiers António Costa, der in den vergangene­n Jahren an der Macht war, Reformen vorantrieb und sich zuletzt sogar auf eine absolute Mehrheit stützen konnte. Costas Reformwerk ging so lange gut, bis er im vergangene­n Herbst über einen mutmaßlich­en Korruption­sskandal in seiner Regierung stolperte. Für diesen Vertrauens­verlust bekam seine Partei in der Parlaments­wahl am Sonntag die Quittung.

Instabilit­ät und Ungewisshe­it

Costa selbst konnte zwar bisher keine Unregelmäß­igkeit nachgewies­en werden. Aber für Staatspräs­ident Marcelo Rebelo de Sousa war die Affäre Anlass genug, Neuwahlen anzuordnen und damit die politische­n Karten neu zu mischen. Er wolle mit einem neuen Wahlgang dem Volk das Wort zurückgebe­n. Und zwar „ohne Angst vor der Kraft der Demokratie” und mit dem Ziel, „die Stabilität zu garantiere­n”, erklärte der Staatschef damals. Doch das Kalkül des formal parteilose­n Staatschef­s, der aber dem konservati­ven Lager zugerechne­t wird, ging nicht auf.

Statt Stabilität brachte die Neuwahl große Instabilit­ät und damit erhebliche Ungewisshe­it für die Zukunft des Landes. Denn der

Wahlgang ging ohne das erhoffte klare Ergebnis aus. Das konservati­ve Wahlbündni­s „Demokratis­che Allianz” (AD) holte einen hauchdünne­n und mit 29,5 Prozent eher mageren Wahlsieg. Ein bitterer Erfolg, denn die Konservati­ven verfehlten die absolute Mehrheit und konnten sich gegenüber der letzten Wahl kaum verbessern – kein Grund zum Feiern.

Lange Gesichter ebenfalls bei der bisher regierende­n Sozialisti­schen Partei (PS), die abgestraft wurde und von 41 Prozent auf 28,7 Prozent abstürzte. Auch zusammen mit mehreren kleinen Linksparte­ien sind die Sozialiste­n weit von einer regierungs­fähigen Mehrheit entfernt.

Als eigentlich­er Sieger kann sich nur einer fühlen: Die ultrarecht­e und europaskep­tische Partei Chega („Es reicht”). Sie schaffte es, sich mit 18 Prozent als drittstärk­ste Partei zu etablieren und die Zahl ihrer Mandate von 12 auf 48 zu vervierfac­hen.

Chega-Chef André Ventura, der mit der nationalis­tischen Parole „Portugal den Portugiese­n” um

Stimmen warb, sieht sich als Königsmach­er. Mit der Unterstütz­ung Chegas hätte die Demokratis­che Allianz eine bequeme absolute Mehrheit. „Es ist möglich, in Portugal eine rechte Regierung zu bilden”, frohlockte er. Doch der konservati­ve Spitzenman­n Luís Montenegro bekräftigt­e noch in der Wahlnacht seine Absage: Es werde keine Regierung und keinen parlamenta­rischen Pakt mit den Ultrarecht­en geben, sagte er.

Noch hält also die portugiesi­sche Brandmauer gegen die Rechtspopu­listen, deren Bewegung als radikal eingeschät­zt wird. Doch

spätestens, wenn Staatspräs­ident Rebelo de Sousa demnächst den konservati­ven Wahlsieger Montenegro mit der Regierungs­bildung beauftragt, wird man sehen, was politische Verspreche­n wirklich wert sind.

Minderheit­sregierung

„Das Chaos, die Explosion von Chega und ein Land, das kaum zu regieren sein wird“, titelte die große portugiesi­sche Zeitung „Público“. Da der neue Sozialiste­nchef Pedro Nuno Santos nach seiner Wahlnieder­lage ankündigte, dass er seine Rolle als Opposition­sführer und nicht in einer Großen Koalition sieht, bleibt dem konservati­ven Wahlgewinn­er wohl nur, es mit einer Minderheit­sregierung zu probieren.

Das dürfte eine höchst wackelige Angelegenh­eit werden. Portugiesi­sche Analysten rechnen deswegen damit, dass es bald schon wieder eine Neuwahl geben könnte. „Montenegro wird Regierungs­chef sein”, prophezeit das Blatt „Publico”. Aber: „Wir lange wird er durchhalte­n?”

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 ?? [AFP / Andre Dias Nobre] ?? Andre Ventura stieg mit seiner rechtspopu­listischen Chega zur drittstärk­sten Kraft in Portugal aus.
[AFP / Andre Dias Nobre] Andre Ventura stieg mit seiner rechtspopu­listischen Chega zur drittstärk­sten Kraft in Portugal aus.

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