Alle Züge stehen still, wenn er es will
Der Chef der Lokführer-Gewerkschaft will die Streiks unberechenbarer machen. Die Osterfeiertage könnten betroffen sein. Die Deutsche Bahn klagt wegen drohender „Unplanbarkeit“.
Claus Weselsky kommt drei Minuten zu spät. „Es lag am Zug“, sagt der 65-Jährige. Was natürlich ironisch ist, schließlich ist er nicht nur Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Weselsky trägt sein Scherflein dazu bei, dass am Dienstag in Deutschland kaum Züge fahren und viele Menschen nicht oder zu spät zu Terminen kommen dürften. Wieder einmal.
Montagvormittag, Berliner Bezirk Mitte, GDL-Verwaltungssitz. Claus Weselsky will vor ausländischen Journalisten erklären, was da los ist in Deutschland, einmal als Land der Eisenbahner bekannt. „Sie haben Glück“, sagt der Sachse. Denn er werde jetzt eine Zeit lang gar keine Interviews mehr geben. „Wir werden nicht mehr öffentlich auftreten, bis die Deutsche Bahn ein wirkliches Angebot abgegeben hat“, sagt Weselsky. „Wir lassen dem Bahnvorstand den Vorzug, er darf den Menschen erklären, was das jetzt bedeutet. Wir erklären nicht mehr, wo wir stehen.“
Fünf Mal haben die Lokführer seit Mitte November gestreikt, nun wird zum sechsten Mal die Arbeit niedergelegt. Bei den Güterzügen von Montag auf Dienstag, der Personenverkehr soll von Dienstagnacht auf Mittwochnacht stillstehen. Die Lokführer wollen eine Lohnerhöhung, bessere Schichtpläne und die 35-Stunden-Woche. 28 private Bahnunternehmen haben laut Weselsky bereits
unterzeichnet, aber das größte fehlt noch, der Staatskonzern Deutsche Bahn (DB).
„Das hat es noch nie gegeben“
Bis Sonntagabend habe der Gewerkschafter auf ein neues Angebot gewartet, aber er habe keines bekommen. Also lässt er streiken. Diesmal mit neuer Methode: Wellenstreiks. Diese sollen nicht so lang dauern und werden nicht mehr wie bisher zwei Tage zuvor angekündigt. Das soll den DB-Managern die Möglichkeit nehmen, mit Notfallplänen zu arbeiten. Auch stillstehende Züge zur Reisezeit in den Osterfeiertagen will Weselsky nicht ausschließen. Das DB-Management müsse den wirtschaftlichen Schaden spüren.
Dieses bemüht sich wiederum, die Streiks auch als persönliche Mission Weselskys darzustellen. Der 65-Jährige geht bald in Pension, in deutschen Medien ist von seinem letzten großen Kampf zu lesen. Dazu kommt die kantige Art, sein sächsischer Dialekt. Von seinen Gegnern wird dem CDU-Mitglied nachgesagt, er wolle sich profilieren und bei den Eisenbahnern um mehr Mitglieder für die kleine Lokführer-Gewerkschaft werben.
Weselsky streitet nicht ab, dass es um mehr geht als die Löhne, Schichten und Arbeitszeiten. Er kritisiert die Privatisierung im Jahr 1994, die von ihm empfundene Unkenntnis des DB-Managements in allen Belangen der Eisenbahn oder die monatelange
Vollsperre der Strecke Mannheim–Frankfurt im kommenden Herbst. „Das hat es noch nie gegeben“, sagte er am Montag in Berlin. Seiner Meinung nach könnte die marode Strecke auch saniert werden, wenn die Züge in einem ausgedünnten Fahrplan weiter rollen. Der geplante Ersatzverkehr mit 200 Bussen würde zu Problemen für das gesamte Netz führen, weil dadurch die Anschlussverbindungen schwerer planbar seien.
Österreicher und Schweizer „spötteln“
Laut dem Gewerkschafter verstehe auch der Verkehrsminister, Volker Wissing (FDP), wenig von der Bahn und höre zu sehr auf das DB-Management. „Stellen Sie sich mal vor, was los wäre, würden wir eine Autobahn voll sperren, weil sie saniert werden muss“, sagte Weselsky. Österreicher und Schweizer würden über das deutsche Bahnsystem „spötteln“. Es sei „mit Methode kaputtgespart worden“und das „am schlechtesten funktionierende System in Kerneuropa“.
Es sind Momente, in denen der Gewerkschafter wirkt, als würde er am liebsten das ganze DB-Management aus seinen Jobs streiken. So macht er sich zur Angriffsfläche: Zuletzt musste er einen „Denkfehler“zugeben, nachdem ihm die DB vorgeworfen hatte, falsch über den Verhandlungsstand zu berichten. Auch wenn er das nicht sagt: Wohl auch deshalb dürfte sich der Gewerkschafter aus dem Blickfeld nehmen. Eine persönliche Bahn-Vendetta kurz vor der Pension bestreitet er aber. Schließlich könne er den Gewerkschaftsmitgliedern die Streiks nicht befehlen. Sein Nachfolger stehe voll auf seiner Seite.
Später am Montag kündigte die DB an, den Wellenstreik mit einer Klage zu stoppen. Dieser sei „eine blanke Zumutung“, „grundlos“und „unverhältnismäßig“. „Die Unplanbarkeit des Zugverkehrs ist nicht hinnehmbar“, sagte DB-Manager Martin Seiler. Ob und wie das Arbeitsgericht in Frankfurt am Main über den Eilantrag entscheidet, war bis zum Redaktionsschluss unklar. Ob Claus Weselsky dazu öffentlich aufritt, auch.