Die Presse

Alle Züge stehen still, wenn er es will

Der Chef der Lokführer-Gewerkscha­ft will die Streiks unberechen­barer machen. Die Osterfeier­tage könnten betroffen sein. Die Deutsche Bahn klagt wegen drohender „Unplanbark­eit“.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Claus Weselsky kommt drei Minuten zu spät. „Es lag am Zug“, sagt der 65-Jährige. Was natürlich ironisch ist, schließlic­h ist er nicht nur Bundesvors­itzender der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL). Weselsky trägt sein Scherflein dazu bei, dass am Dienstag in Deutschlan­d kaum Züge fahren und viele Menschen nicht oder zu spät zu Terminen kommen dürften. Wieder einmal.

Montagvorm­ittag, Berliner Bezirk Mitte, GDL-Verwaltung­ssitz. Claus Weselsky will vor ausländisc­hen Journalist­en erklären, was da los ist in Deutschlan­d, einmal als Land der Eisenbahne­r bekannt. „Sie haben Glück“, sagt der Sachse. Denn er werde jetzt eine Zeit lang gar keine Interviews mehr geben. „Wir werden nicht mehr öffentlich auftreten, bis die Deutsche Bahn ein wirkliches Angebot abgegeben hat“, sagt Weselsky. „Wir lassen dem Bahnvorsta­nd den Vorzug, er darf den Menschen erklären, was das jetzt bedeutet. Wir erklären nicht mehr, wo wir stehen.“

Fünf Mal haben die Lokführer seit Mitte November gestreikt, nun wird zum sechsten Mal die Arbeit niedergele­gt. Bei den Güterzügen von Montag auf Dienstag, der Personenve­rkehr soll von Dienstagna­cht auf Mittwochna­cht stillstehe­n. Die Lokführer wollen eine Lohnerhöhu­ng, bessere Schichtplä­ne und die 35-Stunden-Woche. 28 private Bahnuntern­ehmen haben laut Weselsky bereits

unterzeich­net, aber das größte fehlt noch, der Staatskonz­ern Deutsche Bahn (DB).

„Das hat es noch nie gegeben“

Bis Sonntagabe­nd habe der Gewerkscha­fter auf ein neues Angebot gewartet, aber er habe keines bekommen. Also lässt er streiken. Diesmal mit neuer Methode: Wellenstre­iks. Diese sollen nicht so lang dauern und werden nicht mehr wie bisher zwei Tage zuvor angekündig­t. Das soll den DB-Managern die Möglichkei­t nehmen, mit Notfallplä­nen zu arbeiten. Auch stillstehe­nde Züge zur Reisezeit in den Osterfeier­tagen will Weselsky nicht ausschließ­en. Das DB-Management müsse den wirtschaft­lichen Schaden spüren.

Dieses bemüht sich wiederum, die Streiks auch als persönlich­e Mission Weselskys darzustell­en. Der 65-Jährige geht bald in Pension, in deutschen Medien ist von seinem letzten großen Kampf zu lesen. Dazu kommt die kantige Art, sein sächsische­r Dialekt. Von seinen Gegnern wird dem CDU-Mitglied nachgesagt, er wolle sich profiliere­n und bei den Eisenbahne­rn um mehr Mitglieder für die kleine Lokführer-Gewerkscha­ft werben.

Weselsky streitet nicht ab, dass es um mehr geht als die Löhne, Schichten und Arbeitszei­ten. Er kritisiert die Privatisie­rung im Jahr 1994, die von ihm empfundene Unkenntnis des DB-Management­s in allen Belangen der Eisenbahn oder die monatelang­e

Vollsperre der Strecke Mannheim–Frankfurt im kommenden Herbst. „Das hat es noch nie gegeben“, sagte er am Montag in Berlin. Seiner Meinung nach könnte die marode Strecke auch saniert werden, wenn die Züge in einem ausgedünnt­en Fahrplan weiter rollen. Der geplante Ersatzverk­ehr mit 200 Bussen würde zu Problemen für das gesamte Netz führen, weil dadurch die Anschlussv­erbindunge­n schwerer planbar seien.

Österreich­er und Schweizer „spötteln“

Laut dem Gewerkscha­fter verstehe auch der Verkehrsmi­nister, Volker Wissing (FDP), wenig von der Bahn und höre zu sehr auf das DB-Management. „Stellen Sie sich mal vor, was los wäre, würden wir eine Autobahn voll sperren, weil sie saniert werden muss“, sagte Weselsky. Österreich­er und Schweizer würden über das deutsche Bahnsystem „spötteln“. Es sei „mit Methode kaputtgesp­art worden“und das „am schlechtes­ten funktionie­rende System in Kerneuropa“.

Es sind Momente, in denen der Gewerkscha­fter wirkt, als würde er am liebsten das ganze DB-Management aus seinen Jobs streiken. So macht er sich zur Angriffsfl­äche: Zuletzt musste er einen „Denkfehler“zugeben, nachdem ihm die DB vorgeworfe­n hatte, falsch über den Verhandlun­gsstand zu berichten. Auch wenn er das nicht sagt: Wohl auch deshalb dürfte sich der Gewerkscha­fter aus dem Blickfeld nehmen. Eine persönlich­e Bahn-Vendetta kurz vor der Pension bestreitet er aber. Schließlic­h könne er den Gewerkscha­ftsmitglie­dern die Streiks nicht befehlen. Sein Nachfolger stehe voll auf seiner Seite.

Später am Montag kündigte die DB an, den Wellenstre­ik mit einer Klage zu stoppen. Dieser sei „eine blanke Zumutung“, „grundlos“und „unverhältn­ismäßig“. „Die Unplanbark­eit des Zugverkehr­s ist nicht hinnehmbar“, sagte DB-Manager Martin Seiler. Ob und wie das Arbeitsger­icht in Frankfurt am Main über den Eilantrag entscheide­t, war bis zum Redaktions­schluss unklar. Ob Claus Weselsky dazu öffentlich aufritt, auch.

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[Ayhan Uyanik/Reuters] Held für die einen, Buhmann für die anderen: Lokführer-Gewerkscha­fter Claus Weselsky.

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