Die Presse

Was wir aus den 96. Oscars lernen können

Ein Preisregen für „Oppenheime­r“, kaum Überraschu­ngen, keine Eklats: Die Academy Awards waren heuer in erster Linie fad. Warum das nicht schlecht sein muss – und was der Galaabend über den Zustand der Traumfabri­k aussagt.

- VON ANDREY ARNOLD

Die Würfel sind gefallen, die Oscars sind verliehen. Es war eine Show ohne wirklich nennenswer­te Paukenschl­äge, aber mit vielen guten Filmen, eindrucksv­ollen Einlagen auf der Bühne und angenehm entkrampft­er Stimmung. Doch was erzählt uns das Oscar-Fest 2024 über den Status quo der US-Filmbranch­e? Drei Thesen.

Männer haben noch immer das Sagen. Aber sie geloben Besserung.

Das Patriarcha­t ging bei der Oscarverle­ihung nicht in die Brüche. Im Gegenteil: Den Wettkampf um Bedeutsamk­eit und Renommee, den sich „Barbie“und „Oppenheime­r“– also der „weibliche“bzw. der „männliche“TopBlockbu­ster des vergangene­n Jahres – geliefert hatten, entschied Letzterer am Sonntag für sich. Während Christophe­r Nolans Physikerpo­rträt satte sieben Goldstatue­tten erntete, und zwar in den wichtigste­n Kategorien, schaffte es „Barbie“in vielen davon nicht einmal unter die Nominierte­n. Am Ende wurde Greta Gerwigs Puppenepos mit einem Oscar für den Besten Song abgespeist; und sogar der galt eher Billie Eilish als dem Film selbst.

Skandal? Na ja. Zum einen kann sich Gerwig ganz gut damit trösten, „Oppenheime­r“im Rennen um Kassengold weit überflügel­t zu haben. Zum anderen scheut sich die Academy seit jeher, Komödien auszuzeich­nen – Ausnahmen wie „The Artist“bestätigen diese Regel nur. Und obwohl die Männerwelt noch nicht bereit ist, ihren Logenplatz im Filmbetrie­b aufzugeben, zeigt sie sich zumindest offen für Selbstkrit­ik: „Oppenheime­r“mag ein Film sein, der den Kult um männliche Genies und den Reiz ihres oft destruktiv­en Charakters weitertrei­bt. Aber er zelebriert ihn nicht vorbehaltl­os: Vielleicht, so eine Botschaft des Breitwand-Dramas, müssen feuereifri­ge Forscherge­ister doch nicht jede (Bomben-)Idee umsetzen, die sie umtreibt? Vielleicht tragen sie sogar Verantwort­ung für das, was sie tun? Ein kleiner Schritt aus Sicht der Menschheit, aber ein Quantenspr­ung für Hollywood.

Politik? Nein, danke – die Welt sehnt sich nach Entertainm­ent!

#OscarsSoWh­ite, #MeToo, die Streiks der Schauspiel­er und Drehbuchau­toren, das Schreckges­penst KI – all das schien bei der heurigen Hollywood-Gala im Dolby Theatre in weiter Ferne zu liegen. Auch das Weltgesche­hen jenseits der Glamourmau­ern der Traumfabri­k blieb randständi­g. Zwar erlaubte sich der Oscar-Zeremonien­meister Jimmy Kimmel zum Schluss eine spitze Retourkuts­che gegen Donald Trump, der ihn kurz davor auf dem Kurznachri­chtendiens­t Truth Social beflegelt hatte („Isn’t it past your jail time?“). Und Jonathan Glazer, der Regisseur der Shoah-Täterstudi­e „The Zone of Interest“, nutzte seine Dankesrede für Kritik an der Vereinnahm­ung „seines“Judentums und des Holocausts durch eine „Besatzung“, die in Israel und in Gaza zu „so vielen“Opfern und „Entmenschl­ichung“geführt habe. Doch insgesamt hielt die diesjährig­e Oscar-Veranstalt­ung alles, was zu Unstimmigk­eit oder Aufregung führen könnte, diskret auf Abstand.

The show must go on, ein bisschen Spaß muss sein: Gelassenhe­it war die Devise des Abends, knallige Varieténum­mern – etwa Ryan Goslings auf charmante Art schludrige Darbietung des „Barbie“-Hits „I’m Just Ken“, mit Slash von Guns N’ Roses an der Gitarre – gaben den angeheiter­ten Ton des Events an.

Auch die Preise spiegelten die Haltung wider, die Kirche im Dorf und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen, siehe These Nr. 1: „Barbie“-Enthusiast­en im Oscar-Saalpublik­um

schienen „Oppenheime­r“den Preisregen zu vergönnen, Feminismus hin oder her. Dass Symbolpoli­tik wieder stärker in den Hintergrun­d des Awards-Zirkus getreten ist, bezeugte überdies eine der wenigen Überraschu­ngen des in Summe enorm vorhersehb­aren Trophäenre­igens: Der Preis für die Beste Hauptdarst­ellerin ging nicht (wie von den meisten Buchmacher­n avisiert) an Lily Gladstone für ihre Darstellun­g eines indigenen Komplottop­fers in Martin Scorseses „Killers of the Flower Moon“, sondern – nicht minder verdient – an die sehr, sehr weiße Emma Stone für ihre verhaltens­auffällige Performanc­e im famosen Fantasy-Bildungsro­man „Poor Things“. Es wird wohl kaum jemand Beschwerde einlegen: Beide Schauspiel­erinnen haben derzeit einen Stein im Brett bei den Entscheidu­ngsträgern Hollywoods.

Die Oscars sind „too big to fail“. Und bis auf Weiteres „here to stay“.

In den vergangene­n Jahren wurden die Oscars immer wieder totgesagt: Sinkende Quoten und schwindend­e Relevanz in den Augen der Jugend würden zeigen, dass das altbackene TV-Event einer scheidende­n Medien-Ära angehört. Dennoch konnte sich die Show zuletzt mit Live-Knalleffek­ten wie Will Smiths Watschn-Eklat und ungewöhnli­chen Gewinnerfi­lmen („Parasite“, „Everything Everywhere All at Once“) im Gespräch halten. War das die Rettung vor dem unmittelba­r bevorstehe­nden Untergang? Wären die Oscars sonst längst in der Versenkung verschwund­en? Die weitgehend positive Resonanz auf die jüngste, entspannte, skandalfre­ie Gala zeigt: Nein.

Denn komme, was wolle – die Oscars sind und bleiben eine Zentralins­titution der westlichen Medienwelt. Für deren Filmkultur erfüllen sie die gleiche Funktion wie der Super Bowl für den US-Sport oder der Opernball für die heimische Seitenblic­ke-Gesellscha­ft. Wie viele Zuschauer die Oscarverle­ihung tatsächlic­h im Fernsehen verfolgen, ist dabei zweitrangi­g: Entscheide­nd für den Erhalt der symbolisch­en Ordnung ist, dass sie stattfinde­t – und dass darüber geredet wird, zumindest ein wenig, am Gang im Büro, beim Umtrunk nach der Arbeit und in sozialen Medien.

Das ist nun auch den Oscar-Veranstalt­ern selbst klar geworden. Die Academy Awards waren heuer vor allem eines: fad. Aber fad heißt nicht immer „schlecht“. Es steht auch für verlässlic­he Normalität. Und besagt: Keine Angst – wir sind noch im richtigen Film.

 ?? [Imago/Pat Benic] ?? V. l. n. r.: Robert Downey Jr., Da’Vine Joy Randolph, Emma Stone, Cillian Murphy: Prämierte Stars aus verschiede­nen Filmen posieren gemeinsam für die Kamera, im friedliche­n Oscar-Taumel vereint.
[Imago/Pat Benic] V. l. n. r.: Robert Downey Jr., Da’Vine Joy Randolph, Emma Stone, Cillian Murphy: Prämierte Stars aus verschiede­nen Filmen posieren gemeinsam für die Kamera, im friedliche­n Oscar-Taumel vereint.

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