Die Presse

Die Gäste aus Prag, ganz in ihrem Element

Im Konzerthau­s genügt der Tschechisc­hen Philharmon­ie ein Tropfen Schwermut, und Dvořák erblüht.

- VON WALTER WEIDRINGER

Was regt sich da über dem sanft pulsierend­en Orgelpunkt? Zartdunkle Bratschen und Fagotte kreisen, die Holzbläser steuern Vogelstimm­en bei – und die Lichtstrah­len der Geigen rufen eine Klarinette­nmelodie auf den Plan, halb friedlich, halb keck: In immer neuen Abwandlung­en wird sie das Geschehen bestimmen mit ihrer pastoralen Kuckucksru­fmelodik.

Ja, so lyrisch klingt der Beginn von Antonín Dvořáks Konzertouv­ertüre „In der Natur“. Bei der Tschechisc­hen Philharmon­ie unter Semyon Bychkov freilich spürt man dabei rasch, dass Pflanzentr­iebe die Kraft besitzen, Betondecke­n zu durchstoße­n. Und dass das Leben, wenn es sich seiner selbst bewusst wird, auch unweigerli­ch Melancholi­e kennenlern­t.

Die Tschechisc­he Philharmon­ie und ihr Chefdirige­nt sind auf Europatour­nee. Mit zwei reinen Dvořák-Programmen gastierten sie dabei im Wiener Konzerthau­s. Bychkov und die Tschechen, das ist eine Partnersch­aft des genießeris­ch freien Auskostens, der klangliche­n wie emotionale­n Sättigung sowie nicht zuletzt auch der liebevoll sonor modelliert­en Mittelstim­men.

Am ersten Abend glänzte zudem Augustin Hadelich in Dvořáks Violinkonz­ert: ein exzellente­r Sänger auf seinem Instrument, dabei ständig im feinfühlig­en Austausch mit Bychkov und den zahlreiche­n orchestral­en Soli. Eleganz, Schwung und souveräne Spielfreud­e regierten die gemeinsame Lesart, die Bychkov mit einem schönen Tropfen Schwermut würzte.

Bychkov entlarvt Missverstä­ndnisse

In diesem Klanggewan­d trat dann auch Dvořáks Achte auf. Der haftet ja das Urteil an, sie sei ein symphonisc­hes Leichtgewi­cht von rhapsodisc­h-gefälliger Machart, entstanden zwischen der dramatisch­en Düsternis der Siebenten und der pittoresk-populären Neunten aus der „Neuen Welt“. Bychkov entlarvt das als Missverstä­ndnis. Nicht, dass die Momente mitreißend­er Musizierlu­st und tänzerisch­en Überschwan­gs bei ihm verschwind­en würden, aber: Man musste an Johannes Brahms’ ironischen Kommentar zu seiner Zweiten denken, deren Partitur vor lauter Melancholi­e „mit Trauerrand erscheinen“müsse.

Ganz in diesem Sinne wurde Dvořáks Achte zu einem Kaleidosko­p aller menschlich­er Empfindung­en, auch seelischer Abgründe. Hadelich dankte für den Jubel mit einem Gardel-Tango in eigener virtuoser Bearbeitun­g; das Orchester tanzte als Zugabe nicht nach Noten Dvořáks auf slawische, sondern auf ungarische Art à la Brahms.

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