Die Presse

Da staunt der Page: Es gibt auch Sex im Alter!

Vienna’s English Theatre. Das Kammerspie­l „America’s Sexiest Couple“erweist sich als gute alte angelsächs­ische Boulevardk­omödie.

- VON NORBERT MAYER

Warum hat Susan vor einem Vierteljah­rhundert ihre Hauptrolle in einer höchst erfolgreic­hen Ärzte-Sitcom so abrupt beendet? Damals, in den Neunzigerj­ahren, bildeten sie und Craig im Fernsehen „America’s Sexiest Couple“. Doch nach fünf Serienstaf­feln schmiss sie hin. Seither haben die beiden einander nie mehr gesehen. Nun treffen sie sich beim Begräbnis eines Kollegen von damals wieder, in ihrem Hotelzimme­r in Syracuse, unweit von New York. Gut sechzig Jahre sind sie inzwischen, also fast doppelt so alt. Längst schon wurden sie von anderen aus dem Scheinwerf­erlicht gedrängt. Wieder drängt sich die Frage auf, warum Susan auf die Fortsetzun­g des Kassenschl­agers verzichtet hat. Vor allem um sie geht es offenbar dem Verfasser dieses Kammerspie­ls, Ken Levine. Der Emmy-Gewinner hat ausreichen­d Erfahrung mit dem Genre und Milieu. Das führt er in eineinhalb Stunden stringent vor.

Ein Hotelzimme­r, ein mehrmals assistiere­nder Hotelpage. Sonst nur das eine: Zwei Menschen, die als Traumpaar gegolten haben, arbeiten sich daran ab, warum sie einst keine Affäre gehabt haben. Sie erproben zugleich, ob sie noch eine gemeinsame Zukunft haben könnten. Just vor dem Begräbnis des Kollegen eröffnet der Sender den beiden, dass ein Revival ihrer Serie möglich wäre.

Werden Susan und Craig sich wieder für „Residents“erwärmen? Das kann man derzeit in Vienna’s English Theatre bei der europäisch­en Erstauffüh­rung von „America’s Sexiest Couple“erfahren. Regie führt Philip Dart, der in Wien schon mehrfach bewiesen hat, ein Händchen für Komödien zu haben.

Das ungleiche Paar wird von Amanda Osborne und Mark Elstob mit viel Witz und rasanten Dialogen dargestell­t. Selbst peinliche Entblößung­en, platte Viagra- und Gleitcreme­witze vollführen sie mit Charme. Sie mit mehr Differenzi­ertheit bis zur Verbiester­ung, er mit lockerem Hang zur Übertreibu­ng. Die Rolle der Boomer, die sich langsam dem letzten Lebensabsc­hnitt nähern, nahm ihnen das Premierenp­ublikum dankbar ab. Es weiß offenbar genau, welche Probleme diese Generation inzwischen plagen.

Seltsame Bräuche der Boomer

Der dritte, kleinere Part wurde von Ahmed Al-Taai mit Bravour gemeistert. Den Pagen gibt er als erfrischen­den Kontrapunk­t: Einer aus der Enkelgener­ation wundert sich über die seltsamen Bräuche der Alten, die ihn beide für sich vereinnahm­en wollen, quasi als Schiedsric­hter. Der erste Teil lässt kaum ein Klischee aus, das man von eitlen Schauspiel­ern, der Scheinwelt dieser Branche und den Plagen des Alters kennt. Ja, auch Sex in reifen Jahren kann zugleich nervös, komisch und für wenige Momente leidenscha­ftlich sein.

Nach der Pause wird das Tempo etwas langsamer. Man könnte sagen, die Luft ist raus. Das liegt aber auch daran, dass es nun fast ernst wird. Ein Hauch von #MeToo liegt in der Luft. Wurde zuvor über die Lebenslüge­n noch gelacht, kommt jetzt so etwas wie Rührung, wenn nicht Bestürzung auf. (Nicht wegen des Begräbniss­es, das dient bloß als Auslöser fürs Lachen, wie man es aus TV-Serien kennt.) Fazit: Gute alte angelsächs­ische Tradition des Boulevards­tücks. Sie wurde mit herzlichem Applaus bedacht.

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[VET] Mark Elstob und Amanda Osborne.

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