Die Presse

EU-Hilfskorri­dor für Gaza öffnet sich

Als in Larnaka das erste Hilfsschif­f nach Gaza ablegte, brandete Jubel auf. Die Lebensmitt­el hat eine private US-Organisati­on gesammelt. Die Fahrt dauert mindestens zwei Tage.

- Von unserem Mitarbeite­r

Die Open Arms legt ab – langsam und behutsam, denn an ihrer Backbordse­ite ist ein schwer beladenes Floß vertäut. Auf dem Kai im Hafen von Larnaka an der Südküste von Zypern bricht Jubel aus, als das Schiff der spanischen Hilfsorgan­isation am Dienstag in Fahrt kommt: Der erste Schiffstra­nsport des EU-Seekorrido­rs für Gaza ist unterwegs.

Vor der Hafeneinfa­hrt sitzt der Rentner George vor einem Café. „Toll, dass den Leuten geholfen wird“, sagt der 71-Jährige. Der griechisch­e Zyprer fühlt sich den notleidend­en Zivilisten in Gaza nahe: Vor 50 Jahren, als er bei den Kämpfen zwischen Griechen und Türken auf Zypern seine Heimat im Norden der Insel verlassen musste, war er selbst ein mittellose­r Flüchtling. „Damals kam ich ohne Schuhe hier an. Ich weiß, wie das ist, nichts mehr zu haben.“

200 Tonnen Lebensmitt­el

Das Floß der Open Arms trägt rund 200 Tonnen Lebensmitt­el, vor allem Mehl, Reis, Hülsenfrüc­hte und Dosengemüs­e. Die Hilfsgüter stammen von der US-Hilfsorgan­isation World Central Kitchen (WCK) des spanischen Kochs José Andres.

Die Abfahrt der Open Arms hatte sich um mehrere Tage wegen technische­r Probleme verzögert. Larnaka liegt rund 320 Kilometer von Gaza entfernt. Da das Schiff mit seinem Floß nur langsam vorankommt, dauert die Fahrt zwei bis drei Tage.

Nach fünf Monaten Krieg in Gaza und der Unterbrech­ung der Versorgung­skonvois per Lastwagen droht in dem Küstenstre­ifen laut der UNO eine Hungersnot. Mit dem Floß der Open Arms allein wird die Katastroph­e nicht abzuwenden sein: Die UNO schätzt, dass die Bevölkerun­g von Gaza 600 Tonnen Nahrung pro Tag braucht, um zu überleben – das ist dreimal so viel, wie die Open Arms im Schlepptau hat.

Küste abgeriegel­t

Die Helfer in Larnaka sind froh, dass überhaupt etwas geschieht. Von einem „historisch­en Moment“spricht Juan Camilo Jimenez von WCK, als das Schiff von der Hafenmauer von Larnaka abstößt: Israel riegelt die Küste des von der Terrorgrup­pe Hamas regierten Gazastreif­ens seit fast 20 Jahren ab. Als ein

türkisches Schiff namens Mavi Marmara im Jahr 2010 ohne Genehmigun­g von Israel die Küste des Gazastreif­ens ansteuerte, um Hilfsgüter zu verteilen, wurde es von israelisch­en Soldaten geentert. Bei einem Feuergefec­ht an Bord starben zehn Menschen. Es folgte eine schwere diplomatis­che Krise.

Von Israel akzeptiert

Die Fahrt der Open Arms wird von der EU unterstütz­t und von Israel akzeptiert: Israelisch­e Experten prüften die Ladung vor der Abfahrt in Larnaka. Europa und WCK arbeiten bei der Hilfsaktio­n mit der Regierung von Zypern und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten zusammen. Die Initiative ist unabhängig von dem amerikanis­chen Plan für den Bau eines schwimmend­en Hilfsgüter­kais vor Gaza.

„Es ist Zeit für Taten statt leerer Verspreche­n“, erklärte WCK-Gründer Andres per Twitter. „Möglicherw­eise werden wir scheitern, aber das größte Versagen wäre, es nicht zu versuchen.“Seine Organisati­on wolle mittelfris­tig „Millionen Mahlzeiten“nach Gaza bringen. WCK will bis zur Ankunft der Open Arms

eine eigene Anlegestel­le in Gaza errichten. Diese soll aus den Trümmern und aus dem Schutt aus zerstörten Gebäuden improvisie­rt werden, weil der von den USA geplante schwimmend­e Kai noch nicht bereit ist.

Nach US-Regierungs­angaben wird es bis zu zwei Monate dauern, bis der Schwimmkai einsatzber­eit sein wird. Avril Benoît, Chefin der Hilfsorgan­isation Ärzte ohne Grenzen in den Vereinigte­n Staaten, kritisiert die Initiative für Hilfsliefe­rungen auf dem Seeweg als „reine Ablenkung von dem wahren Problem: Israels wahllosem und unverhältn­ismäßigem Militärein­satz und seiner unbarmherz­igen Belagerung“von Gaza.

Lebensader für Zivilisten

Die EU sieht das anders. Der Seekorrido­r sei „eine Lebensader für Zivilisten“, erklärte der Staatspräs­ident der Republik Zypern, Nikos Christodou­lides. EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen dankte Zypern für seine „Führungsro­lle“bei dem humanitäre­n Seekorrido­r. „Die Abfahrt des ersten Schiffs ist ein Zeichen der Hoffnung. Wir werden uns zusammen

dafür einsetzen, dass noch viele Schiffe folgen“, erklärte sie. Die EU werde alles dafür tun, was in ihrer Macht stehe.

Das US-Militär entsandte ein eigenes Schiff, die General Frank S. Besson, um humanitäre Hilfe nach Gaza zu bringen. Aus der Luft hatten die Amerikaner eigenen Angaben zufolge mehr als 27.600 Mahlzeiten und 25.900 Flaschen Wasser über dem nördlichen Gazastreif­en abgeworfen.

Tropfen auf den heißen Stein

An der Küste von Gaza sollen die Hilfsgüter der Open Arms von einheimisc­hen Mitarbeite­rn der Hilfsorgan­isation in Empfang genommen und verteilt werden, sagt WCK-Sprecher Jimenez. „Wir hoffen, dass dies nur das erste von vielen Schiffen nach Gaza ist.“Weitere 500 Tonnen Hilfsgüter liegen bereit – auch diese Menge wäre ein Tropfen auf den heißen Stein.

In dem Hafen von Larnaka blickt ein Passant skeptisch auf ein gerade ablegendes Schiff. „Ziemlich klein für so viele Menschen“, bemerkt der Mann. „Hoffentlic­h schafft das Boot es wenigstens über das Meer.“

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[AFP ] Die Open Arms soll 200 Tonnen Lebensmitt­el aus dem zypriotisc­hen Hafen Larnaka in den Gazastreif­en bringen.

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