Warum der Mörder im „Tatort“so oft der Manager ist
Die Statistik zeigt: Am häufigsten morden in Krimiserien Unternehmer. Ein „groteskes Zerrbild“, meinen deren reale Vertreter. Was meinen wir?
Wie sieht ein typischer Mörder aus? Die Drehbuchautoren des „Tatort“haben ein klares Bild: Er trägt Anzug und Krawatte, sein Büro liegt in der obersten Etage, und er wohnt in einer großen Villa. Eine aktuelle Auswertung der Folgen aus den vergangenen sechs Jahren belegt: Unternehmer und Manager sind die häufigste Tätergruppe in der beliebtesten Krimiserie im deutschen Sprachraum. Und das ist nur ein Update einer Untersuchung, die für alle Plots von 1970 bis 2018 zum selben Ergebnis kam. In nur einer der über tausend Folgen erwies sich der sprichwörtliche Gärtner als Übeltäter – genauer eine Gärtnerin am Tatort Köln.
Woher rührt so viel kriminelle Energie bei den fiktiven Leistungsträgern? Sie werden meist als gefühlsarm, brutal und rücksichtslos dargestellt. Selbst wenn sie selbst das Opfer sind, wundert man sich als Zuseher nicht, warum sie im Kühlraum landen. Die realen Firmenchefs finden das wenig unterhaltsam. Hier werde ein „völlig groteskes Zerrbild“des Unternehmertums gezeichnet, in dem „Egoismus und Geldgier“dominierten, ärgerte sich jüngst Christoph Althaus, Präsident des deutschen Mittelstandsverbands, in der „Zeit“. Da dürfe man sich nicht wundern, wenn sich „negative Klischees“verfestigten und immer weniger Junge als Firmengründer ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Das Resultat sei Rezession.
Die Klage und das Muster haben Tradition: Inspektor Columbo brachte grundsätzlich Reiche hinter Gitter. Auch Derrick fahndete vorzugsweise in Luxusvillen der feinen Münchner Vorstadt. Und alle wussten: Dort, hinter den hohen Thujenhecken, wo die breiten Reifen des fetten Mercedes auf der kiesbedeckten Auffahrt knirschen, ist das Böse zu Hause.
Was freilich mit der realen Kriminalstatistik nie so recht zusammenpassen wollte: Sie zeigt einen konträren Zusammenhang zwischen Schichtzugehörigkeit und Tendenz zu Gewaltverbrechen. Wenig überraschend: Wem es dreckig geht, läuft eher Gefahr, in die Kriminalität abzurutschen. Die Waffen der Wirtschaftsmenschen sind eher scharfzüngige Anwälte als scharf geladene Revolver. Selbst wenn das Klischee stimmen sollte, dass sie für ihren Erfolg über Leichen gehen, sind selbige doch meist nur metaphorischer Art.
Wimmelt es unter Drehbuchautoren von Kapitalismusfeinden mit subversiver Agenda? Wir versuchen die Pflichtverteidigung: Wenn Mitarbeiter am Sonntagabend sehen, wie ein Chef in Handschellen abgeführt wird, baut das ihren Frust über eigene Vorgesetzte ab – wovon am Montag auch diese profitieren. Vor allem aber: Das Publikum liebt den wohligen Schauer, der es erfasst, wenn sich hinter der glänzenden Fassade dunkle Abgründe auftun, wenn die Hochgestiegenen tief fallen. Diese ehrwürdigen Topoi sind dramaturgisch zu ergiebig, als dass sie ungenutzt blieben. Das Gieren nach Geschichten über Reiche und Ruchlose ist so alt wie das Geschichtenerzählen selbst. Unsere Ahnen drängten sich am Lagerfeuer, um sich neue Folgen ihrer Mythen-Soaps reinzuziehen, über so blutrünstige Gestalten wie Achill, Medea, Blaubart oder Kriemhild – alle aus der Upper Class.
Ästhetischer Natur sind aber auch unsere Bedenken: Ihr Skriptschreiber wollt doch so gern originell sein, oft in zwanghafter Art. Warum verlässt euch ausgerechnet bei den Tätergruppen die Fantasie? Wo bleiben die mörderischen Pfarrer, Zahntechnikerinnen und Fahrradboten? Auch eine Gärtnerin könnte wieder einmal Rache üben. Auf dass die Langeweile weiche und die Wirtschaft wachse!
Das Gieren nach Geschichten über Reiche und Ruchlose ist so alt wie das Geschichtenerzählen selbst.