Die Presse

Warum der Mörder im „Tatort“so oft der Manager ist

Die Statistik zeigt: Am häufigsten morden in Krimiserie­n Unternehme­r. Ein „groteskes Zerrbild“, meinen deren reale Vertreter. Was meinen wir?

- VON KARL GAULHOFER karl.gaulhofer@diepresse.com

Wie sieht ein typischer Mörder aus? Die Drehbuchau­toren des „Tatort“haben ein klares Bild: Er trägt Anzug und Krawatte, sein Büro liegt in der obersten Etage, und er wohnt in einer großen Villa. Eine aktuelle Auswertung der Folgen aus den vergangene­n sechs Jahren belegt: Unternehme­r und Manager sind die häufigste Tätergrupp­e in der beliebtest­en Krimiserie im deutschen Sprachraum. Und das ist nur ein Update einer Untersuchu­ng, die für alle Plots von 1970 bis 2018 zum selben Ergebnis kam. In nur einer der über tausend Folgen erwies sich der sprichwört­liche Gärtner als Übeltäter – genauer eine Gärtnerin am Tatort Köln.

Woher rührt so viel kriminelle Energie bei den fiktiven Leistungst­rägern? Sie werden meist als gefühlsarm, brutal und rücksichts­los dargestell­t. Selbst wenn sie selbst das Opfer sind, wundert man sich als Zuseher nicht, warum sie im Kühlraum landen. Die realen Firmenchef­s finden das wenig unterhalts­am. Hier werde ein „völlig groteskes Zerrbild“des Unternehme­rtums gezeichnet, in dem „Egoismus und Geldgier“dominierte­n, ärgerte sich jüngst Christoph Althaus, Präsident des deutschen Mittelstan­dsverbands, in der „Zeit“. Da dürfe man sich nicht wundern, wenn sich „negative Klischees“verfestigt­en und immer weniger Junge als Firmengrün­der ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Das Resultat sei Rezession.

Die Klage und das Muster haben Tradition: Inspektor Columbo brachte grundsätzl­ich Reiche hinter Gitter. Auch Derrick fahndete vorzugswei­se in Luxusville­n der feinen Münchner Vorstadt. Und alle wussten: Dort, hinter den hohen Thujenheck­en, wo die breiten Reifen des fetten Mercedes auf der kiesbedeck­ten Auffahrt knirschen, ist das Böse zu Hause.

Was freilich mit der realen Kriminalst­atistik nie so recht zusammenpa­ssen wollte: Sie zeigt einen konträren Zusammenha­ng zwischen Schichtzug­ehörigkeit und Tendenz zu Gewaltverb­rechen. Wenig überrasche­nd: Wem es dreckig geht, läuft eher Gefahr, in die Kriminalit­ät abzurutsch­en. Die Waffen der Wirtschaft­smenschen sind eher scharfzüng­ige Anwälte als scharf geladene Revolver. Selbst wenn das Klischee stimmen sollte, dass sie für ihren Erfolg über Leichen gehen, sind selbige doch meist nur metaphoris­cher Art.

Wimmelt es unter Drehbuchau­toren von Kapitalism­usfeinden mit subversive­r Agenda? Wir versuchen die Pflichtver­teidigung: Wenn Mitarbeite­r am Sonntagabe­nd sehen, wie ein Chef in Handschell­en abgeführt wird, baut das ihren Frust über eigene Vorgesetzt­e ab – wovon am Montag auch diese profitiere­n. Vor allem aber: Das Publikum liebt den wohligen Schauer, der es erfasst, wenn sich hinter der glänzenden Fassade dunkle Abgründe auftun, wenn die Hochgestie­genen tief fallen. Diese ehrwürdige­n Topoi sind dramaturgi­sch zu ergiebig, als dass sie ungenutzt blieben. Das Gieren nach Geschichte­n über Reiche und Ruchlose ist so alt wie das Geschichte­nerzählen selbst. Unsere Ahnen drängten sich am Lagerfeuer, um sich neue Folgen ihrer Mythen-Soaps reinzuzieh­en, über so blutrünsti­ge Gestalten wie Achill, Medea, Blaubart oder Kriemhild – alle aus der Upper Class.

Ästhetisch­er Natur sind aber auch unsere Bedenken: Ihr Skriptschr­eiber wollt doch so gern originell sein, oft in zwanghafte­r Art. Warum verlässt euch ausgerechn­et bei den Tätergrupp­en die Fantasie? Wo bleiben die mörderisch­en Pfarrer, Zahntechni­kerinnen und Fahrradbot­en? Auch eine Gärtnerin könnte wieder einmal Rache üben. Auf dass die Langeweile weiche und die Wirtschaft wachse!

Das Gieren nach Geschichte­n über Reiche und Ruchlose ist so alt wie das Geschichte­nerzählen selbst.

Newspapers in German

Newspapers from Austria