Ehrenrettung für Antonín Dvořáks Schmerzenskind
Die Tschechische Philharmonie gastierte unter Semyon Bychkov im Konzerthaus, am Klavier András Schiff.
Karneval! Explosive orchestrale Freuden gleich zu Beginn – aber es dauerte nicht lange, und da war sie wieder: Im ruhigeren Mittelteil erklang erneut die einprägsame Klarinettenmelodie, die sich aus der Terz des Kuckucksrufs ableitet. Wer das erste Konzert der Tschechischen Philharmonie unter Semyon Bychkov miterlebt hatte, konnte sich vielleicht erinnern an dieses Motiv, das die drei Ouvertüren op. 91-93 verbindet.
„Natur, Leben, Liebe“, so sollte der Titel des Triptychons lauten, das Antonín Dvořák 1892 in Prag am Vorabend seiner Abreise in die USA vorstellte. „Karneval“meint hier kein buntes Faschingstreiben, eher die lauten, vielseitigen Freuden der Jugend – ein Anlass für die Prager Gäste, aus dem Vollen zu schöpfen. Auf eigene Weise tat das dann auch Sir András Schiff im Klavierkonzert op. 33, dem wohl immer noch am seltensten aufgeführten Schmerzenskind unter Dvořáks Solokonzerten. Eine Herzensangelegenheit für Schiff.
Und wirklich, man konnte den Eindruck gewinnen, dass diese Musik – oder zumindest der Solopart – vieles von dem widerspiegelt, was man als Charakterzüge Schiffs kennen und schätzen gelernt hat: eine spezielle Ernsthaftigkeit und Strenge, poetische Versenkung, die stets mitschwingende Affinität zu Bach und Brahms. Sowie auch ein gewisser Eigensinn, etwa im Hauptthema des Finales, das mit einer unnachgiebig schnellen Tonrepetition beginnt. Bychkov und die Tschechische Philharmonie erwiesen sich jedenfalls als durchwegs aufmerksame Partner in einem intensiven Austausch, der gerade viele Bläsersoli an die Seite des Klaviers ins akustische Rampenlicht holte.
Nach der Pause Dvořáks populäre Symphonie „Aus der Neuen Welt“. Die verkürzte Pause in Takt 5, der einzelne Paukenschlag vor dem Wirbel als Übergang ins Allegro und einiges mehr: Es schien, als wählte Bychkov bewusst an fraglichen Stellen jeweils die traditionelle Lesart. Zugleich legte er wieder erstaunliche, auch erstaunlich saftig ausgeführte Schönheiten frei, nicht zuletzt in den Mittelstimmen, in den tiefen Streichern. Als Zugabe einer von Dvořáks „Slawischen Tänzen“: diesmal der echte Karneval.