Die Presse

Der rote Stier war einst eine lachende Kuh

Mit den Debatten über den Marschflug­körper Taurus und die Getränkefi­rma Red Bull ist der maskuline Wiederkäue­r derzeit stark medienpräs­ent. Was macht ihn zum Sinnbild? Wieso soll er rot sein? Und was tut er mit Europa?

- VON THOMAS KRAMAR

Man soll nicht mit Namen spielen. Auf seine kantige Weise setzte sich U2-Gitarrist David Evans vulgo The Edge über dieses Verbot hinweg, indem er ankündigte, er werde dem Red-Bull-Teamchef Christian Horner ein Lied namens „Don’t be horny, be Christian!“widmen. Das Adjektiv „horny“bedeutet ungefähr das, was unser „geil“bedeutete, bevor es die Jugendspra­che zum keimfreien Lobeswort abgeschwäc­ht hat; es leitet sich vom tierischen Horn ab, das, erraten, die Erektion symbolisie­ren soll. Es passt auch zum Firmenname­n Red Bull, zum gehörnten Stier als Wappentier der ungezügelt­en Männlichke­it. An dessen toxischem Fluidum konnte selbst Munro Leafs wunderbare­s, bereits 1936 erschienen­es Kinderbuch „Ferdinand der Stier“– über einen Stier, der nicht kämpfen will, sondern lieber an Blumen riecht – nichts ändern.

Das gleichnami­ge Getränk enthält ja auch Taurin, eine Aminosulfo­nsäure, die an vielen Stoffwechs­elprozesse­n beteiligt ist, die der Körper – im Gegensatz zu den essenziell­en Aminosäure­n – aber selbst erzeugen kann. Dass sie spezifisch die Muskel- oder gar die Manneskraf­t fördere, konnte nicht bestätigt werden; doch der Name – der sich der Tatsache verdankt, dass sie erstmals 1927 in der Galle eines Ochsen (!) entdeckt wurde – tut seine werbepsych­ologische Wirkung. Das ebenfalls in Energy Drinks enthaltene Glucuronol­acton klingt nicht so gut.

Warum muss der Stier rot sein? Die Antwort ist wohl trivial: Die Farbe Rot steht für Blut, Gefahr und Erregung; die Toreros reizen den Stier mit einem roten Tuch, obwohl das arme Rind – wie die meisten Säugetiere – gar nicht zwischen Rot und Grün unterschei­den kann. Aber es trägt zur Aufregung des Publikums (mit Ausnahme der Rot-Grün-Blinden in der Arena) bei. Da sitzen sie und fiebern beim archaische­n Spektakel, das die alten Römer Tauroboliu­m nannten: das Opfern eines Stiers für die große Muttergött­in Kybele. Eine symbolisch­e Attacke aufs Patriarcha­t sozusagen.

Das berühmtest­e rote Rind, bevor der Energy Drink aus Österreich die Welt eroberte, war allerdings weiblich: die Kuh auf der Verpackung des Schmelzkäs­es „La vache qui rit“. Diese mit Ohrringen geschmückt­e Kuh lachte zuerst während des Ersten Weltkriegs: auf einer Illustrati­on des französisc­hen Comiczeich­ners Banjamin Rabier, der ein Militärfah­rzeug damit dekorierte. Wachkyrie hieß das Tier zuerst: eine parodistis­che Variation von Walküre. Sie sollte die WagnerObse­ssion deutscher Militärs persiflier­en.

Auch Marcel Proust assoziiert­e ja, gut 60 Jahre vor Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“, in seiner „Recherche du temps perdu“die deutschen Zeppeline mit dem Walkürenri­tt. Schon in den frühen 1960er-Jahren trug dann ein Bomber der US-amerikanis­chen Air Force den Namen Valkyrie, da dachte niemand mehr an eine Kuh.

Weg vom genderflui­den Gefilde, zurück zum Stier. Die Waffe, die derzeit in der europäisch­en Politik die größte Rolle spielt, heißt auch nach ihm: der deutsch-schwedisch­e Marschflug­körper Taurus. Ein Himmelssti­er sozusagen, nur ohne jede Anmutung von Fruchtbark­eit, wie sie die mythischen Stiere immer hatten. Man hat für dieses Gerät, wohl mit Mühe, eine AkronymAbl­eitung gefunden („Target Adaptive Unitary and Dispenser Robotic Ubiquity System“), der Name spielt aber naturgemäß mit dem alten Bild vom Stier als unaufhalts­amem, sturem Zerstörer. Vergleichb­are französisc­he Marschflug­körper heißen übrigens Apache („Arme propulsée à charges éjectables“), offenbar in Anlehnung an den Indianerst­amm – hat schon einmal jemand gegen diese Aneignung protestier­t?

Nicht nur verbal angeeignet, sondern physisch entführt wurde die phönizisch­e Königstoch­ter Europa: nach Kreta (nicht zum Taurus-Gebirge, das kommt von einem semitische­n Wort, das Gebirge heißt), von einem Stier, in den sich Göttervate­r Zeus selbst verwandelt hatte. Laut gängiger Version des alten Mythos jedenfalls.

In der Variante in Ovids „Metamorpho­sen“kommt Europa freiwillig mit nach Kreta, sie streichelt den Stier, hält ihm – als ob er Ferdinand hieße – Blumen vors schneeweiß­e Maul, kränzt ihn mit Girlanden, bevor sie aufsteigt und ihre Kleider im Wind flattern. Niemand möge das als Plädoyer verstehen, weder für die pazifistis­che Selbstaufg­abe Europas noch für eine eilige Besorgung der Taurus-Marschflug­körper. Aber es ist eine schöne Geschichte, oder?

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[Wikipedia] Dieser rote Stier steht im Wappen der schwedisch­en Provinz Dalsland.

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