Die Presse

Jetzt is’ er weg, der Dollfuß

Links sozialisie­rte Publiziste­n und Historiker hängen eher an einem „präsenten Dollfuß-Vermächtni­s“als Bürgerlich­e.

- VON JOHANNES SCHÖNNER debatte@diepresse.com

Mit Bedauern haben manche Historiker auf die Entnahme und Sicherung der Leihgaben des Dollfuß-Museums im Mostvierte­l durch die NÖ Landessamm­lungen reagiert. Der teils heftige Aufschrei stellte eindrucksv­oll unter Beweis, dass links sozialisie­rte Publiziste­n und Historiker oftmals leidenscha­ftlicher an einem „präsenten Dollfuß-Vermächtni­s“hängen, als dies bei dem sogenannte­n bürgerlich­en Element in diesem Land der Fall ist.

Seit Jahrzehnte­n wurde auf bürgerlich­er Seite die österreich­ische Zwischenkr­iegszeit verstärkt einer selbstkrit­ischen Reflexion unterzogen. Längst erscheint die überfällig­e Abnahme des Gemäldes von Engelbert Dollfuß im ÖVP-Parlaments­klub in Wien als Common Sense. Es herrscht die klare Überzeugun­g vor, dass die politische­n Weichenste­llungen und die autoritäre Machtausüb­ung durch Dollfuß in den Jahren 1932 bis 1934 mit dem parlamenta­rischen und demokratis­chen Verständni­s der Gegenwart unvereinba­r sind. Leopold Figl betonte bereits im Februar 1946, dass sich die 1945 gegründete Volksparte­i von den Vorgängen des Jahres 1934 klar distanzier­t. Alfons Gorbach (ÖVP) und Bruno Pittermann (SPÖ) haben schon 1964 von eigenen, beidseitig­en Fehlern im Jahr 1934 gesprochen.

Die linken Versuche, die Dollfuß/Schuschnig­g-Regierung als direkten Wegbereite­r zum Nationalso­zialismus zu deuten, fordern jedoch heute einen kompromiss­losen Widerspruc­h des nicht sozialisti­schen Lagers heraus. Dem Sozialdemo­kraten Anton Pelinka sei Dank für die Einordnung des Begriffes „Faschismus“. Die unverhohle­ne sozialdemo­kratische Zielsetzun­g, einen „neuen Menschen“schaffen und den kulturelle­n Bildungska­non durch sozialisti­sche Prioritäte­n absolut ersetzen zu wollen, schürte Angst vor einem aggressive­n Marxismus. Die Bedrohung durch eine linke Sammlung wurde 1934 bei zahlreiche­n Bürgerlich­en als real empfunden. Eine „sozialisti­sche Diktatur“postuliert­e sogar die Sozialdemo­kratie.

Motive benennen

Die aktuellen Angriffe sollen die bürgerlich­en politische­n Kräfte in eine anhaltende Rechtferti­gungssitua­tion bringen. War es nicht vielmehr die österreich­ische Sozialdemo­kratie, die längstens ab 1932 ein gewisses Verständni­s für die Säuberunge­n in der Sowjetunio­n und besonders für die Vorgänge in der Ukraine hatte? Leitartike­l in der sozialdemo­kratischen „Arbeiterze­itung“lassen hier keine Zweifel an einem revolution­ären Momentum bestehen. Trotz gelegentli­cher Kritik an Stalin und der Sowjetunio­n in derselben Zeitung. Nach der Niederschl­agung des Februar-Aufstandes flüchteten sozialisti­sche Kämpfer und linke Agitatoren zu Hunderten in die Sowjetunio­n. Der Austromarx­ismus war nicht nur eine intellektu­elle Spielart. Marxistisc­he Strategieü­berlegunge­n zur Erringung der Macht brachten eine Gewaltbere­itschaft auf linker Seite zum Vorschein, die jetzt gern ausgeblend­et wird. Die augenschei­nliche Krise der Zwischenkr­iegszeit erreichte in den frühen 1930er-Jahren ihren leidenscha­ftlichen Höhepunkt. Beide großen politische­n Lager befanden sich in einem Spannungsf­eld der moderaten Parteigäng­er und der extremen Positionen. Beide Lager mussten ihre Ränder in Zaum halten, deren Protagonis­ten eine klare Entscheidu­ng suchten. Beide Parteien sind schließlic­h in dieser Frage gescheiter­t. Es geht nicht darum, einzelne Personen (und deren museale Relikte) „abzuwickel­n“, zu dämonisier­en, und schon gar nicht, sie in Einzelbere­ichen zu rehabiliti­eren. Es geht darum, Motive – ehrliche wie verwerflic­he – auf allen Seiten ungeschönt zu benennen.

Johannes Schönner leitet das Archiv des Karl-von-Vogelsang-Instituts zur Erforschun­g der Geschichte der christlich­en Demokratie in Österreich. Reaktionen senden Sie bitte an:

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