„Ein Banditengruß vom Banditen Putin“
Laut litauischem Geheimdienst steckt Moskau hinter Angriff auf Nawalny-Vertrauten in Vilnius mit einem Hammer. Damit sollen Exilrussen eingeschüchtert werden.
Leonid Wolkow wusste, dass er gefährlich lebt. Nur ein paar Stunden vor der Hammerattacke am Dienstagabend sprach der langjährige Vertraute von Alexej Nawalny in einem Reuters-Interview vom „hohen persönlichen Risiko“, das Menschen wie er eingehen würden. Selbst im europäischen Exil, in dem sich die meisten der Verbündeten Nawalnys mittlerweile befinden, seien sie nicht sicher: „Wir wissen, dass Putin nicht nur Menschen in Russland umbringt. Er tötet auch Menschen außerhalb Russlands.“
Wenig später attackierte ein unbekannter Täter Wolkow vor seinem Haus in Vilnius mit einem Hammer. 15 Mal habe er auf sein Bein eingehauen. „Er wollte Schnitzel aus mir machen“, sagte Wolkow tags darauf in einem kurzen Telegram-Video, in dem er sich für die Anteilnahme bedankt. Er ist sichtlich lädiert, aber auch kämpferisch wie immer. Wolkow machte Wladimir Putin für den Angriff verantwortlich: „Das war ein typischer Banditengruß vom Banditen Putin aus der Banditenstadt St. Petersburg.“
Der 43-Jährige stand viele Jahre eng an der Seite des unlängst in einer russischen Strafkolonie ums Leben gekommenen Alexej Nawalny. Der studierte Informatiker verantwortete für den Politiker Wahlkampagnen und Wahlstrategien. Bis 2023 war er der Vorsitzende von Nawalnys Antikorruptionsstiftung FBK. Seit 2019 lebt Wolkow wegen Strafverfolgung durch russische Behörden im litauischen Exil. Nach der Zerstörung von Nawalnys Strukturen in Russland setzte er die Neuorientierung der Organisation als Medienstruktur um, mit der die FBK nach Russland auszustrahlen versucht. Wolkow spricht exzellent Deutsch und veröffentlichte 2022 sein Buch „Putinland“.
„Niemand hier hat Angst vor Ihnen!“
Die litauische Polizei ermittelt nach eigenen Angaben mit hohem Personaleinsatz. Der Täter ist flüchtig. Was den Hintergrund des Angriffs betrifft, fand der litauische Geheimdienst eindeutige Worte. Die Tat sei vermutlich vom offiziellen Moskau geplant und ausgeführt worden. Der litauische Präsident, Gitanas Nausėda, bezeichnete den Angriff als „vorab geplant“. Er sei eine von mehreren Provokationen Russlands gegen Litauen. „Ich kann Wladimir Putin nur eines sagen: Niemand hier hat Angst vor Ihnen!“Im Baltikum ist in den letzten Jahren eine sehr aktive russische Diaspora entstanden, der Zivilgesellschaftsaktivisten, Oppositionspolitiker und Journalisten angehören.
Auch andere Mitstreiter Nawalnys gaben sich unbeugsam. Julija Nawalnaja, die Witwe von Alexej Nawalny, rief den Westen in einem Beitrag für die „Washington Post“auf, sich über die Person des russischen Präsidenten keine Illusionen zu machen: „Putin ist kein Politiker, er ist ein Gangster.“Man müsse ihn als Anführer einer Mafia-Gruppe betrachten, dann würden seine Brutalität, sein Zynismus, seine Lügen und seine Be
reitschaft zu töten verständlich. Der Angriff auf Leonid Wolkow wirft die Frage auf, wie sicher die russische Opposition im EU-Ausland ist. Der russische Politologe Kirill Rogow erklärte unlängst in einem „Presse“-Interview, dass er von weiteren Attentaten und Morden auf russische Exilanten ausgehe: „Sie werden demonstrativen Charakter haben, um alle einzuschüchtern.“
Die Opposition im Ausland stellt für den Kreml einen Störfaktor dar. Die Gruppen können – anders als in Russland – öffentlich ihre Meinung kundtun, wirken mit ihren Botschaften auf die russische Gesellschaft ein und planen Protestaktionen. Auch im Vorfeld der russischen Präsidentenwahl an diesem Wochenende gibt es Aktivitäten. Diese Netzwerke sind seit Beginn der UkraineInvasion wichtiger geworden, da es zu einem Exodus regimekritischer Menschen gekommen ist.
Putin-kritische Aktivisten sind in vielen europäischen Ländern aktiv, auch in Österreich. Die Wiener Gruppe Russians Against War betrachtet den Anschlag gegen Wolkow als ein „Signal an Russen, dass sie sich nirgendwo sicher fühlen können“, wie eine Aktivistin
gegenüber der „Presse“sagt. Dass die Spur nach Moskau führe, ist für die Kriegsgegner so gut wie erwiesen.
„Wir wollen weiter kämpfen“
Es sei „beunruhigend“, dass ein Angriff ausgerechnet im Baltikum erfolgt sei, wo Politik, Sicherheitsbehörden und Gesellschaft im Vergleich zu anderen EU-Ländern relativ sensibilisiert seien. Man wünsche sich, dass EU-Staaten die Gefahr aus dem Kreml ernst nähmen, so die Aktivistin weiter, auch unter Verweis auf die mutmaßlich äußerst aktive russische Spionagetätigkeit in Wien. Am Mittwoch wurde zudem durch APA-Recherchen bekannt, dass Putins Sondervertreter für internationale Kulturzusammenarbeit, Michail Schwydkoj, zu Wochenbeginn in der Bundeshauptstadt war. Laut eigenen Angaben hätte er dort Vertreter des offiziellen Österreich treffen sollen. Dazu kam es nicht. Das Außenministerium wollte nicht verraten, ob der Kreml-Bürokrat mit einem österreichischen Schengen-Visum eingereist sei.
Die russischen Aktivisten in Wien wollen sich indes von der Gewalttat in Vilnius nicht einschüchtern lassen. Zwar entscheide jeder selbst, wie weit er gehen wollte, aber: „Wir wollen weiter gegen das repressive Regime kämpfen.“
Für Sonntag ist in Russland und im Ausland, darunter auch in Wien, eine Aktion unter dem Motto „Mittags gegen Putin“geplant. Russische Staatsbürger wollen sich um zwölf Uhr vor den Wahllokalen bzw. russischen Auslandsvertretungen versammeln, um ihre Gegnerschaft zum Putin-Regime auszudrücken. Diese Versammlungen sind auch in Russland legal, schließlich dürfen die Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben.