Die Presse

Als Olaf Scholz „den Stier bei den Hörnern packen“wollte

Deutschlan­d. Nach Wochen des Chaos um den Marschflug­körper Taurus stellte sich der Kanzler dem Parlament. Er beklagte sich über verbreitet­e „Halbwahrhe­iten“– und wurde selbst geheimnisv­oll.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Bevor ihm die erste Frage gestellt wurde, kam Olaf Scholz auf den Marschflug­körper Taurus zu sprechen. „Ich will auch gern den Stier bei den Hörnern packen“, sagte der deutsche Bundeskanz­ler am Mittwochna­chmittag im Bundestag in Berlin. Dann wiederholt­e er, warum er die Waffe nicht an die Ukraine liefern werde.

Der Taurus, der Stier, könne bis nach Moskau treffen. Eine solche Waffe wolle er nicht in die Hände der Ukrainer geben, ohne die Kontrolle über die Zielauswah­l zu behalten. Das wiederum hieße in seiner Logik, deutsche Soldaten müssten darüber wachen, auf was die Marschflug­körper abgeschoss­en werden. Das wiederum käme einer Kriegsbete­iligung Deutschlan­ds gleich – und die lehne er ab.

Diese Argumentat­ion hatte Scholz in den vergangene­n Tagen schrittwei­se öffentlich ausgebreit­et : Erst vor einer Runde deutscher Chefredakt­eure, dann in einem Gespräch mit Schülern. Das bisher letzte Puzzleteil legte er auf den Tisch, nachdem russische Journalist­en ein abgehörtes Gespräch deutscher Luftwaffeg­eneräle verbreitet hatten. Dass er sich erst jetzt den deutschen Volksvertr­etern im Bundestag erklärte, hatte für einigen Unmut gesorgt.

Taurus-Blockade aus „Besonnenhe­it“

Vor allem die CDU nutzte die Gelegenhei­t der Regierungs­befragung am Mittwoch, um den Kanzler wegen seiner Taurus-Blockade zu löchern. Zu der sind noch nicht alle Fragen beantworte­t: So hat Deutschlan­d das Taurus-System an Südkorea abgegeben – ohne dass deutsche Soldaten in einem Ernstfall an der Zielauswah­l beteiligt wären. Misstraut Scholz den Ukrainern also? Außerdem hatte der Kanzler gesagt, deutsche Soldaten dürften beim Abschuss von Marschflug­körpern nicht so weit gehen wie britische oder französisc­he. Heißt das, der Kanzler sieht Frankreich und Großbritan­nien bereits als Kriegsbete­iligte? Wenn nicht, warum wäre es Deutschlan­d, wenn es seinen Taurus nach Kiew lieferte?

Scholz antwortet ausweichen­d, wurde aber angriffig. Er sprach von einer „Ansammlung von Halbwahrhe­iten“– ohne diese näher zu benennen. Als der CDU-Abgeordnet­e Norbert Röttgen fragte, wurde es geheimnisv­oll. „Was mich aber ärgert, sehr geehrter Abgeordnet­er, lieber Norbert, dass du alles weißt und eine öffentlich­e Kommunikat­ion betreibst, die darauf baut, dass dein Wissen kein öffentlich­es Wissen ist“, sagte Scholz. „Ich glaube, das sollte in einer Demokratie nicht der Fall sein“.

Was der Kanzler damit ansprach, führte er nicht aus. Röttgen wies die Unterstell­ung zurück, er würde etwas zum Marschflug­körper Taurus wissen, das er der deutschen Bevölkerun­g vorenthalt­e. Umgekehrt lässt sich aus Scholz’ Antwort schließen: Es gibt Erwägungen im Kanzleramt, über die weiter nicht öffentlich gesprochen wird.

Am Donnerstag wird die CDU einen parlamenta­rischen Antrag einbringen, den Taurus liefern zu lassen. Dieser ist allerdings symbolisch – die Entscheidu­ng über einzelne Waffenlief­erungen trifft nicht der Bundestag, sondern der Bundessich­erheitsrat. Und damit am Ende der Kanzler, Olaf Scholz. Der sieht seine Blockade beim Stier als ein Zeichen der „Besonnenhe­it“.

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