Die Presse

Der teure EU-Deal mit Ägypten

Über sieben Milliarden Euro sollen in das wirtschaft­lich angeschlag­ene Land fließen, das im Gegenzug die Migration in die EU begrenzen soll.

- VON ANNA GABRIEL

Brüssel/Wien. Wenn die EU-Spitzen am Sonntag nach Kairo reisen, haben sie eine erhebliche Summe Geld im Gepäck: 7,4 Milliarden Euro sollen bis zum Jahr 2027 nach Ägypten fließen, um die dortige Wirtschaft zu stabilisie­ren – und aus Sicht der Union vor allem ein Ziel zu verfolgen: die Migration nach Europa zu stoppen. Knapp 100 Millionen Euro könnte in den kommenden Monaten allein der Ausbau beim Grenzschut­z verschling­en. Besonderes Augenmerk gilt der Grenze zum Sudan, von wo Menschen vor dem Bürgerkrie­g nach Ägypten fliehen, und jener zu Libyen, wohin Ägypter ausreisen, um in die EU überzusetz­en: Von der ägyptische­n Küste selbst gibt es zwar seit Jahren keine Überfahrte­n nach Europa mehr, dennoch stellten 26.500 Ägypter im Vorjahr einen Asylantrag in der EU.

Auch die katastroph­ale humanitäre Lage in Gaza bereitet Brüssel zunehmend Sorge. Bis dato hält Kairo den Grenzüberg­ang Rafah für Flüchtende geschlosse­n und lässt nur Verletzte ins Land.

An der Armutsgren­ze

EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen wirbt seit Langem für ein eng akkordiert­es Abkommen der EU mit Ägypten. Um den Deal zu fixieren, fliegt sie mit den Regierungs­chefs von Italien und Griechenla­nd sowie Belgiens Premier, Alexander De Croo – sein Land hat den Ratsvorsit­z inne –, zum Treffen mit Ägyptens Präsidente­n Abdel Fatah al-Sisi, schreibt die „Financial Times.“Demnach könnte die erste Milliarde ausbezahlt werden, sobald das Abkommen unterzeich­net ist. Weitere vier Milliarden Euro hängen an Programmen des Internatio­nalen Währungsfo­nds und müssen von den EU-Regierunge­n freigegebe­n werden.

In Ägypten leben inoffiziel­len Angaben zufolge sechs Millionen Migranten, doch nur 480.000 sind beim UN-Flüchtling­shilfswerk UNHCR als Asylsuchen­de registrier­t – neben Sudanesen handelt es sich hauptsächl­ich um Äthiopier und Eritreer. Viele von ihnen leben unter menschenun­würdigen Bedingunge­n: Verpflicht­ungen aus der Genfer Flüchtling­skonventio­n würden von der Regierung ignoriert, kritisiere­n Hilfsorgan­isationen. Der

Zugang zu Gesundheit­s- und Bildungssy­stem bleibt ihnen ebenso verwehrt wie eine formelle Anstellung, was das ohnehin eklatante Armutsprob­lem – knapp 30 Prozent der Bevölkerun­g leben unter der Armutsgren­ze – weiter verschärft. Die wirtschaft­liche Lage im Land lässt in eine düstere Zukunft blicken: Im Februar betrug die Inflation 35,7 Prozent, die Auslandsve­rschuldung liegt bei knapp 90 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s und das Wirtschaft­swachstum wird im heurigen Jahr auf nur 3,6 Prozent geschätzt.

Die Berliner Heinrich-Böll-Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen warnt, al-Sisi könne die hohe Zahl an Migranten im Land gegenüber der EU als Druckmitte­l für immer mehr finanziell­e Hilfe nutzen.

Tunesien als Blaupause

Der geplante Ägypten-Deal ist freilich nicht das erste Abkommen seiner Art: Erst in der vergangene­n Woche schloss die EU-Kommission ein Abkommen mit Mauretanie­n, von wo allein seit Jahresbegi­nn 7000 Menschen über die zu Spanien gehörenden Kanarische­n Inseln Richtung EU ablegten – rund zehnmal so viele wie im Vorjahresz­eitraum. Von der Leyen stellte dem nordwestaf­rikanische­n Wüstenstaa­t 210 Millionen Euro in Aussicht. Als Blaupause für den Pakt mit Ägypten dient aber die „Absichtser­klärung“(Memorandum of Understand­ing) mit Tunesien, die im Juli des Vorjahres besiegelt worden war. Nach der Unterzeich­nung waren die Überfahrte­n auf der zentralen Mittelmeer­route entgegen der Vereinbaru­ng mit Tunis zunächst exorbitant gestiegen: Knapp 120.000 Menschen hatten die sizilianis­che Insel Lampedusa bis Mitte September 2023 erreicht. In den Folgemonat­en gingen die Zahlen zurück. Laut UNHCR setzten heuer bisher 5580 Migranten von Nordafrika nach Italien über, um fast 70 Prozent weniger als im Vorjahresz­eitraum.

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