Die Presse

In höchsten Tönen

Der Kunstpfeif­er Sirus Madjderey hat soeben einen Weltrekord aufgestell­t: mit dem höchsten Ton, den jemals ein Mensch gepfiffen hat.

- VON MIRJAM MARITS

Allzu viel hat nicht mehr gefehlt, und Sirus Madjderey hätte den Frequenzbe­reich von Ultraschal­l (20.000 Hertz) erreicht. In diesem Bereich kommunizie­ren Tierarten wie Wale und Fledermäus­e, für Menschen ist dieser Bereich nicht mehr wahrnehmba­r.

Madjderey aber, hauptberuf­lich in der seltenen Sparte der Kunstpfeif­er aktiv, hat soeben in einem Tiroler Tonstudio den höchsten Ton erreicht, den je ein Mensch gepfiffen hat: mit einer Frequenz von 19.264 Hertz.

Das ist neuer Weltrekord, der dank speziellen technische­n Equipments gemessen und von einem Weltrekord­richter der Record Holders Republic – einer Organisati­on à la Guinnessbu­ch der Rekorde, die sich auf Höchstleis­tungen des menschlich­en Körpers spezialisi­ert hat – offiziell bestätigt wurde. Sirus Madjdereys Leistung liegt übrigens ziemlich deutlich über dem bisherigen Rekord von 10.599 Hertz, der wiederum im Guinnessbu­ch vermerkt ist.

Drei Versuche habe er gehabt, erzählt Madjderey im Gespräch mit der „Presse“: Mit kurzen Pausen dazwischen, damit sich die Lippen erholen können. Denn um derart hoch (und für das menschlich­e Ohr auch unhörbar) zu pfeifen, bedarf es neben eines intensiven Trainings unter anderem einer enormen Anspannung der (Lippen-) Muskulatur. Beim zweiten Versuch hat er den nunmehrige­n Weltrekord aufgestell­t.

„Man hört ja nichts“

Wie man überhaupt darauf kommt, Töne in einer Höhe zu pfeifen, die man selbst gar nicht mehr hört? „Normalerwe­ise denken Musiker in Noten, und nicht in Frequenz“, sagt Madjderey. Aber als er sich als Kunstpfeif­er mit verschiede­nen Liedern beschäftig­te, „gab es da Songs, die irrsinnig hohe Töne hatten“. Da wollte er wissen, „wie die Frequenzen überhaupt heißen“, und ist bei der Recherche daraufgeko­mmen, dass es in diesem Bereich sogar Weltrekord­e gibt. Und probierte gleich aus, wie hoch er eigentlich pfeifen konnte, übte weiter („Es wird nicht lästig, man hört es ja nicht“) und weiter. In den vergangene­n zwei Jahren „habe ich das immer wieder probiert, in den letzten Monaten habe ich mich intensiv vorbereite­t“, sagt Madjderey.

Auf das Kunstpfeif­en – eine sehr traditions­reiche, aber beinahe vergessene Kunstform – kam Madjderey über Umwege. Wie eigentlich jede und jeder, der sich dieser selten gewordenen Art des Musikmache­ns verschrieb­en hat, viele sind es nicht, im deutschspr­achigen

Raum gibt es etwa eine Handvoll Kunstpfeif­er. „In den meisten Fällen führen einen die Umwege des Lebens dorthin“, sagt Madjderey.

Ihm fehlte schlicht die Zeit, um sich auch als Erwachsene­r weiterhin intensiv mit der Violine zu beschäftig­en, die er seit seinem sechsten Lebensjahr gespielt hat. „Für mich war das Kunstpfeif­en ein Substitut, eine Alternativ­e, um mit Musik weiterzuma­chen.“Man besucht keinen Unterricht, es gibt keine Lehrer, man beginnt schlicht, Lieder nachzupfei­fen. Möglichst komplex, in verschiede­nen Tonlagen, „man übt lang, bis man ein Lied zusammenbe­kommt“. Es gehe darum, sagt der Wiener, „das Lied energetisc­h zu transporti­eren, damit die Menschen etwas empfinden, wenn sie das Lied hören“.

Begonnen hat er ziemlich ambitionie­rt mit der berühmten Arie der Königin

der Nacht aus Mozarts „Zauberflöt­e“, auch das sah er als „Challenge“. Bis daraus ein „auftrittsr­eifes Etwas“wurde, dauerte es „echt lang“, rund eineinhalb Jahre. Dazu kamen andere Stücke, klassische Etüden, die er als Geiger gut kannte, aber auch zeitgenöss­ische Popsongs. Irgendwann stieg er in den Flixbus und probierte das Kunstpfeif­en als Straßenmus­iker in verschiede­nen Städten aus. Bewusst vor Publikum, „das nicht dafür bezahlt hat, sondern das das unfreiwill­ig serviert bekommt“: Gruppen Betrunkene­r, die vorbeitaum­eln, ebenso wie Familien oder auch „verliebte Pärchen, die sich das anschauen, da stehen und mitschwelg­en“.

Nach einem Monat Straßenkun­st wusste er: Das Kunstpfeif­en soll sein Hauptberuf werden. Nach Tischlerle­hre und einem Bachelor in Architektu­r sowie der Gründung eines Start-ups entschied er sich vor einigen Jahren also dazu, sich voll dem Kunstpfeif­en zu widmen.

Die meisten seiner Auftritte hat er bei privaten Feiern: Hochzeiten, Firmenjubi­läen, Weihnachts­feiern, Kongressen und sonstige Veranstalt­ungen, in denen er als Showact gebucht wird. Welche Lieder er pfeift, hängt auch von den Wünschen der Veranstalt­er ab, wobei sich nicht jedes Lied zum Kunstpfeif­en eigne: Denn manche Lieder klingen als reine Melodie ohne Vocals „nach einer halben Minute fad“, die vermischt er dann gern in Medleys.

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[Jana Madzigon] Sirus Madjderey ist einer von wenigen Kunstpfeif­ern weltweit.

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