Die Presse

Das nette Gespenst des Kommunismu­s

Warum nennt sich eine Partei unserer Tage KPÖ? Kann man sie guten Gewissens wählen, nach allem, was war? Und lässt sich ihr Programm auf demokratis­cher Basis umsetzen, ohne Gewalt und kollektive­n Zwang?

- VON KARL GAULHOFER

Das Gespenst des Kommunismu­s sieht diesmal nicht zum Fürchten aus. Es geht in Salzburg um, heißt Kay-Michael Dankl und könnte Bürgermeis­ter werden. Der Mann mit der studentisc­hen Attitüde führt sein Baby in der Trage aus und kocht Sauerkraut nach Omas Rezept. Einer, der sich für leistbares Wohnen und kleine Leute einsetzt, wie nett. Aber er ist nicht einfach ein linker Politiker, sondern Kommunist, und das muss etwas bedeuten. Was macht eine KPÖ im 21. Jahrhunder­t? Protestwäh­ler anlocken? Auf die Lust bisher braver Bürger an der Provokatio­n setzen? Oder meinen die das ernst?

Dankl ist bei der schon länger erfolgreic­hen steirische­n KPÖ in die Schule gegangen. Diese hat ein Programm, das über kommunales Kümmern weit hinausreic­ht: Zentrales Ziel ist die „Aufhebung des kapitalist­ischen Eigentums an den großen Produktion­smitteln“und die „politische Entmachtun­g der Kapitalist­enklasse“. Oder wie es so hübsch bei Marx hieß: Der „exploitier­ende Kapitalist“ist zu „expropriie­ren“. Der wird sich freilich wehren. Wie soll das also funktionie­ren? Auf demokratis­chem Weg, mit absoluten Mehrheiten? Die wird es nicht geben. Durch eine Revolution? Sie müsste auf permanent gestellt werden. Denn jeder, der beim gnädig zugelassen­en Rest an Marktwirts­chaft zu viel Erfolg hat, ist auch künftig zu enteignen. Geht das ohne Gewalt? Ohne Zwang? Gelingt die planwirtsc­haftliche Steuerung? Anders als in allen Staaten, in denen der Kommunismu­s real existiert hat?

Was Marx und Engels sagten

Dankl ist Historiker, er hat seine ideologisc­hen Ahnherren sicher genau gelesen. Marx und Engels wollten sich mit der Demokratie und ihren Parteien allenfalls provisoris­ch einlassen. Nicht um Ausgleich zu suchen, sondern um zu zündeln, bis die Flamme der Revolution entfacht ist. Eine solche Revolution war für Engels „das autoritärs­te Ding, das es gibt; sie ist der Akt, durch den ein Teil der Bevölkerun­g dem anderen Teil seinen Willen vermittels Gewehren und Kanonen aufzwingt ; und die siegreiche Partei muss dieser Herrschaft Dauer verleihen durch den Schrecken, den ihre Waffen einflößen“.

Auf dem Schlachtfe­ld erhebt sich eine Diktatur des Proletaria­ts. Das ist keine Basisdemok­ratie. Idealistis­chen Träumern, die sich eine solche erhoffen, erteilte Marx eine Absage: „Die Arbeiter müssen auf die entschiede­nste Zentralisa­tion der Gewalt in der Hand der Staatsmach­t hinwirken. Sie dürfen sich durch das demokratis­che Gerede von Freiheit der Gemeinden, von Selbstregi­erung nicht irremachen lassen.“Freilich sollte die Diktatur nur ein letzter Staat sein, vor der klassenlos­en Gesellscha­ft. „Eine vorübergeh­ende Einrichtun­g“, wie Engels erklärte, „um

seine Gegner gewaltsam niederzuha­lten“. Es sei also „purer Unsinn“, hier von einem freien Staat zu sprechen: Das Proletaria­t gebrauche ihn „nicht im Interesse der Freiheit“.

Aber endlich, nach Gewalt und Repression, winkt das irdische Paradies. Einen Staat braucht es dann nicht mehr, weil die Ordnung sich von selbst einstellt. Ohne Ungleichhe­it gäbe es auch keine zwischen

menschlich­en Konflikte mehr? Das klingt naiv. Streiten und bekämpfen sich Menschen nicht auch aus anderen Motiven? Nein, behauptet die Lehre vom materielle­n Überbau.

Sie verkündet auch: In der klassenlos­en Gesellscha­ft folgen alle derselben Moral, denselben Werten, derselben Kultur. Alle marschiere­n gern im Gleichschr­itt. Wir fassen zusammen: In der proletaris­chen Diktatur

sind zumindest die Angehörige­n der besitzende­n Klasse entrechtet, ihnen wird die Freiheit abgesproch­en und Gewalt angetan. Am utopischen Ziel angelangt, gibt es keine Vielfalt und Pluralität mehr. All dies bewog die deutschen Höchstrich­ter 1956 dazu, die KPD als unvereinba­r mit der freiheitli­chen Demokratie anzusehen und als verfassung­swidrig zu verbieten.

Das kommunisti­sche Paradies wurde bekanntlic­h nirgends erreicht. Was Michail Bakunin, der deshalb zum Anarchismu­s abbog, schon 1872 vorausgese­hen hatte: Eine Diktatur des Proletaria­ts habe kein anderes Ziel, „als sich zu verewigen“, und kann „in dem Volk, das sie erträgt, nur Sklaverei zeugen und nähren“. Die letzte Hoffnung, es könne sich weniger grob abspielen, als von den Theoretike­rn grimmig gedroht, wischte 1918 Lenin vom Tisch: „Es wäre die größte Dummheit und der unsinnigst­e Utopismus, wollte man annehmen, dass der Übergang vom Kapitalism­us zum Sozialismu­s ohne Zwang und ohne Diktatur möglich sei.“Es brauche eben „eine eiserne Hand“. So zog sich die Blutspur von vielen Millionen Opfern durch die Sowjetunio­n, China und Kambodscha.

Gewalt als „historisch­er Zufall“

Aber nein, wiegeln die gewandten Verteidige­r ab: Es war nur ein Pech, dass die Kommuniste­n – konträr zu den Prophezeiu­ngen von Marx – nicht in Industries­taaten, sondern in landwirtsc­haftlich geprägten Entwicklun­gsländern an die Macht kamen. Dort fehlte die Tradition der Aufklärung, das Fundament der Zivilgesel­lschaft. Und so hatten die neuen Herrscher eben zu viel Macht über Menschen, die sich nicht wehren konnten. Gewalt und Diktatur kämen nicht aus der Ideologie, sondern seien dem historisch­en Zufall geschuldet. Man sehe doch an den „Eurokommun­isten“der Nachkriegs­zeit, dass es auch einen demokratis­chen, gewaltfrei­en Weg zum selben Ziel gibt.

Das ist eine seltsame Volte. Denn auf den Weg haben sich diese kommunisti­schen Parteien gewiss gemacht, in Italien, Frankreich und zuletzt in Deutschlan­d, mit der „Linken“als SED-Nachfolgep­artei. Aber das Mitwirken an der Demokratie hat auf sie zersetzend gewirkt. Sie mussten einsehen, dass es de facto unmöglich ist, in einer pluralisti­schen, liberalen Gesellscha­ft ausreichen­d viele Bürger für Planwirtsc­haft und ein totalitäre­s Gesellscha­ftsmodell zu begeistern. So haben sich all diese Kommuniste­n abgeschlif­fen, zu verfassung­streuen linken Sozialdemo­kraten.

Und in Österreich? Da fährt die KPÖ bisher auf beiden Gleisen. Sie findet in Graz und Salzburg nicht wenige Wähler, die sie als Caritas der urbanen Kommunalpo­litik sympathisc­h finden und über ihren rabiaten ideologisc­hen Überbau die Schultern zucken. Doch nicht etwa, weil sie die Geschichte der letzten 200 Jahre vergessen haben?

 ?? [Getty] ?? „Komm, Genosse, zu uns in die Kolchose!“: ein sowjetisch­es Poster von 1930.
[Getty] „Komm, Genosse, zu uns in die Kolchose!“: ein sowjetisch­es Poster von 1930.

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