#MeToo braucht keinen Sieg über einen 90-Jährigen
Sein Name war Liebling – vor dem Holocaust. Roman Liebling, geboren 1933. Seine Mutter überlebte Auschwitz nicht, sein Vater Mauthausen schon und änderte danach den Familiennamen aus Angst vor dem in Polen weiter bestehenden Antisemitismus zu Polański. Während des Kriegs wiederum war Roman Liebling vorübergehend Roman Wilk geworden; so hieß eine Familie in Krakau, die ihm vorübergehend ein Versteck bot. Wilk ist das polnische Wort für Wolf. Liebling und Wolf – zwischen diesen Polen bewegt sich seit Jahrzehnten das Image des französischpolnischen Filmregisseurs Roman Polański. Spätestens seit #MeToo hat der Wolf den Liebling gefressen.
Und es geht weiter mit Prozessen gegen den heute 90-Jährigen, ganz abgesehen vom internationalen Haftbefehl, der gegen den Willen des Opfers (das ihm verziehen hat) fortbesteht. 2025 wird es im US-Bundesstaat Kalifornien ein neues Zivilverfahren geben. Eine Frau gibt an, Polański habe sie, die damals minderjährig gewesen sei, 1973 in seinem Haus in Los Angeles unter Alkohol gesetzt und vergewaltigt. Der Prozess kann auch ohne Anwesenheit Polańskis stattfinden, der seit vier Jahrzehnten die USA nicht betreten hat: Seit 1978 liegt der Haftbefehl
gegen ihn vor, wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung der damals 13-jährigen Samantha Gailey. Polański hat nur unerlaubten Sex mit einer Minderjährigen zugegeben.
Am heutigen Donnerstag wiederum wird das Urteil in einem Prozess erwartet, der am 5. März in Paris stattgefunden hat: Schauspielerin Charlotte Lewis hat 2010 Polański vorgeworfen, sie als 16-jähriges Model 1983 vergewaltigt zu haben, wegen Verjährung aber nicht geklagt. Polański steht jetzt wegen Verleumdung vor Gericht, weil er Lewis’ Aussagen eine „gemeine Lüge“genannt hat, unter Verweis auf ein Interview mit ihr 1999, in dem sie mit der Aussage zitiert wurde, sie selbst habe Polański verführen wollen. Lewis dazu: Sie sei falsch zitiert worden.
Polański profitierte lang von seinem Ruhm, andere wären in seinem Fall wohl an die USA ausgeliefert worden. Ist das ungerecht? Vermutlich. Aber Gerechtigkeit lässt sich auch nicht durch Prozesse wiederherstellen, die sich auf vier bis fünf Jahrzehnte zurückliegende Ereignisse, zum Teil verbunden mit Alkoholkonsum beziehen: Keiner der Beteiligten kann noch seiner Erinnerung trauen. Und nur wenn eine Chance auf Wahrheit und Gerechtigkeit besteht, hat das Argument Sinn, es gehe „ums Prinzip“. #MeToo täte besser daran, sich von Jahrzehnte zurückliegenden Verhalten heutiger Senioren ab- und umso mehr der Gegenwart zuzuwenden.
Nur wenn Chance auf Wahrheit und Gerechtigkeit besteht, hat das Argument Sinn, es gehe „ums Prinzip“.