Genial? Nein, aber solitär war sie!
Das nächste halbe Jahr wird in der Orangerie die hoch interessante Geschichte der bedeutendsten Malerin der Klimt-Zeit erzählt: Broncia Koller-Pinell (1863–1934).
Oberwaltersdorf kennt man heute vor allem des Geldes, also Frank Stronachs, wegen. Um 1900 aber traf sich hier die Wiener Avantgarde, die künstlerische wie wissenschaftliche. Hier residierte die Familie Koller, deren Salon den von Alma Mahler noch übertraf, wie es hieß. Sigmund Freud, Josef Hoffmann, Egon Schiele, Lou Andreas-Salomé, Rosa Mayreder und nicht zuletzt Alma selbst gingen hier ein und aus. War es doch nicht nur das Heim der angesehensten Malerin des Klimt-Kreises, Broncia Koller-Pinell, sondern auch ihres ungewöhnlichen Mannes, Hugo Koller, Industriekapitän, Büchersammler und Liberaler. Nicht nur, dass er seiner jüdischen Frau wegen zum evangelischen Glauben konvertierte, er förderte und bestärkte sie in ihrer Karriere, auch im dafür nötigen Netzwerken.
Diesem Netzwerk, mit Koller-Pinell in der Mitte, ist die neue Ausstellung in der Orangerie des Belvedere gewidmet. Ein kluger Zug des Kuratorenduos Katharina Lovecky und Alexander Klee, die Malerin nicht als vergessenes „weibliches Genie“in eine Reihe mit Klimt und Schiele drängen zu wollen, dorthin gehört sie nicht. Sie war weder vergessen, ist dafür seit den Sechzigerjahren schon wieder zu präsent im Kunstbetrieb, noch war sie genial. Sie war eine exzellente Rezipientin der modernsten Einflüsse, von Secessionismus und Expressionismus vor allem, außerordentlich vor allem in den Bildern, mit denen sie sich selbstbewusst ab 1902 in den Wiener Klimt-Kreis einzuschreiben begann: darunter der hier abgebildete Vogelkäfig (mit Tochter Silvia) oder ihre später vom Belvedere angekaufte Heuernte.
Solitär war sie als Gesamterscheinung
Solitär war Koller-Pinell als Gesamterscheinung. Wie keine andere schaffte sie es, die Frauenrollen ihrer Zeit zu vereinen: Malerin, Sammlerin, Mäzenin, Mutter, Ehefrau und
Salonière. Merkt man dieses Amalgam in ihrer Kunst? Nicht unbedingt. Das VogelkäfigMotiv als feministische Äußerung zu verkaufen wäre billig. Beim großen weiblichen Akt „Marietta“ginge das noch eher – in seiner stupenden Statik ist er tatsächlich fern jeglichen erotischen Voyeurismus. Kampfansage ist Koller-Pinells Kunst keine, aber das war auch die ihrer meisten Kollegen wie Heinrich Schröder, mit dem sich die um einiges Ältere ein Atelier teilte, nicht (mit den bekannten Ausnahmen).
1934 starb Koller-Pinell. Ihre beiden Kinder schafften es, die Nazizeit in Oberwaltersdorf zu übertauchen. Es ist Teil dieser Geschichte des Untergangs, dass diese Kinder – die Künstlerin Silvia, der Musiker und Kurzzeitehemann von Anna Mahler, Rupert – ihren jeweils eigenen Weg nicht gefunden haben. Dass heute alles verkauft ist, was diese Familie in Oberwaltersdorf aufgebaut hat (inklusive
des ersten Wasser-E-Werks in Niederösterreich). Nicht einmal das Grab von Koller-Pinell konnte erhalten werden. Das wunderschöne Jugendstil-Grab ihres Vaters, Saul Pineles, am ersten Tor des Zentralfriedhofs mag auch für ihres also stehen: Sie hat es 1903 bei Kolo Moser beauftragt.