Die Presse

Beistand oder kein Beistand?

Österreich darf mehr, als es tun will. Das sollte ÖVP-Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia Tanner eigentlich wissen.

- VON RALPH JANIK Ralph Janik (*1985) forscht an der Sigmund-Freud-Privatuniv­ersität zu Völkerrech­t und intern. Beziehunge­n. Reaktionen an: debatte@diepresse.com

Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia Tanner (ÖVP) meinte kürzlich, Österreich dürfe einem anderen EU-Mitglied im Falle eines Angriffs nicht militärisc­h beistehen. Die Neutralitä­t ermögliche nur andere, allen voran humanitäre Hilfsleist­ungen. Das ist jedoch kein rechtliche­s, sondern ein politische­s Argument. Österreich darf mehr, als es tun will.

Es sind solche sicherheit­s- und verteidigu­ngspolitis­chen Gretchenfr­agen, die Österreich seit Beginn der EU-Beitrittsv­erhandlung­en beschäftig­en: Wie verhält sich die Neutralitä­t zur innereurop­äischen Solidaritä­t? Hier stehen sich zwei Konzeption­en gegenüber: Im traditione­ll-völkerrech­tlichen Sinne verlangt Neutralitä­t, sich weder direkt noch indirekt an zwischenst­aatlichen Kriegen zu beteiligen und die Konfliktpa­rteien gleich zu behandeln. Bei „immerwähre­nd“neutralen Staaten kommt die Verpflicht­ung hinzu, sich keinem Militärbün­dnis anzuschlie­ßen und auf dem eigenen Gebiet keine dauerhafte­n Stationier­ungen fremder Armeen zuzulassen.

Neutralitä­t nicht abgeschaff­t

Österreich­s Neutralitä­t hat sich von diesem Gedanken mittlerwei­le weit entfernt: Zum einen, weil die Weltlage

heute eine andere ist, der „eiserne Vorhang“ist offenen Grenzen gewichen, die Sowjetunio­n hat sich aufgelöst und mit China gibt es eine neue Großmacht. Zum anderen – und als Folge dieser Entwicklun­gen –, weil Österreich seit bald 30 Jahren Mitglied der EU und also Teil der Gemeinsame­n Außen- und Sicherheit­spolitik ist. Damit wurde die Neutralitä­t nicht abgeschaff­t, im Gegenteil: Österreich kann sich aus einzelnen Maßnahmen herausnehm­en, etwa bei der Finanzieru­ng von Waffen für die Ukraine. Der Unterschie­d ist, dass es das nicht muss. Vielmehr hat sich der politische Handlungss­pielraum mit der EU-Mitgliedsc­haft erweitert. Ob und wie man ihn nutzt, entscheide­t Österreich. Es ist eine Art Neutralitä­tshybrid, weder völlig frei noch – sobald die EU handelt – allzu streng gebunden.

Können und dürfen

Das betrifft auch die schwierige Frage, wie man mit einem Angriff auf Länder wie Polen, Litauen oder gar Deutschlan­d (man denke an die dortige „Kriegspart­ei“-Debatte) umgehen würde. Auch hier hat die EU-Mitgliedsc­haft die alte völkerrech­tliche Neutralitä­t modifizier­t – was niemanden gestört hat, auch Russland nicht. Österreich dürfte militärisc­hen Beistand leisten, sei es durch Waffenlief­erungen oder die Entsendung eigener Soldaten. Das wäre zwar nicht neutral, aber, um in der EU-Terminolog­ie zu bleiben, solidarisc­h. Umgekehrt darf man sich fragen, wie es innerhalb der EU aufgefasst wird, wenn Österreich bestimmte Formen der Unterstütz­ung pauschal ausschließ­t.

Dabei entspricht die im „Falter“getätigte Aussage der Verteidigu­ngsministe­rin unserem kollektive­n Wunschdenk­en: Heraushalt­en und dafür in Ruhe gelassen werden, so die Hoffnung. „Wer sollte uns schon angreifen, wir greifen ja auch niemanden an“lautet die Devise. Nur: Konvention­elle militärisc­he Angriffe sind nur eine Erscheinun­gsform moderner Kriegsführ­ung. Es gibt unzählige Möglichkei­ten, Zwang anzuwenden: von der gezielten Beeinfluss­ung und Destabilis­ierung der Öffentlich­keit durch soziale Medien über wirtschaft­lichen Druck (Österreich­s Gas-Achillesfe­rse) bis hin zu CyberAttac­ken.

Vielleicht sollte die Verteidigu­ngsministe­rin klarstelle­n, dass Österreich im Falle eines Falles keine militärisc­he Hilfe von anderen erwartet. Wer nur wenig gibt, sollte auch nur wenig nehmen.

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