Die Presse

Sicherheit­sstrategie in der politische­n Sackgasse

Dass Teile des Strategiep­apiers an Medien gespielt wurden, ist eine Enttäuschu­ng.

- VON ROBERT LAIMER Robert Laimer ist Nationalra­tsabgeordn­eter und Wehrsprech­er der SPÖ. Reaktionen an debatte@diepresse.com

Die Sicherheit­slage in Europa hat sich spätestens seit Ausbruch des russischen Aggression­skriegs gegen die Ukraine fundamenta­l geändert. Die Mehrzahl der Staaten hat bereits ihre strategisc­hen Dokumente zum Schutz der Souveränit­ät und ihrer Bürgerinne­n und Bürger an die neue Realität angepasst. Auch das neutrale Österreich war gezwungen, sich dieser neuen Realität bewusst zu stellen und Konsequenz­en daraus zu ziehen. Eine zentrale Erkenntnis war, dass die aus dem Jahr 2013 stammende „Österreich­ische Sicherheit­sstrategie“(ÖSS) grundlegen­d überarbeit­et werden müsse. Globale Krisen und geopolitis­che Konflikte beeinträch­tigen die Sicherheit in unserem Land.

Demokratie­politische­s Foul!

Nicht nur die militärisc­he Bedrohungs­lage, sondern auch Unwägbarke­iten im Inneren haben sich in den vergangene­n zehn Jahren grundlegen­d verändert. Mithilfe von Expertinne­n und Experten wurde die Veränderun­g der Sicherheit­slage analysiert, und so wurde bereits nach dem terroristi­schen Anschlag in Wien 2020 eine moderne Sicherheit­sarchitekt­ur gefordert. Um die Bevölkerun­g besser schützen zu können, blieb die Hand der SPÖ für parlamenta­rische Zusammenar­beit stets ausgestrec­kt. Teilelemen­te des SPÖ-Modells, wie das gesamtstaa­tliche Terrorismu­sabwehrzen­trum, wurden 2023 endlich von der Regierung berücksich­tigt. Auch war es die SPÖ, die im Februar 2023 den Entschließ­ungsantrag für die Überarbeit­ung der Sicherheit­sstrategie im Nationalra­t einbrachte. Daraufhin gab die Regierung im April 2023 bekannt, bis Jahresende 2023 eine gesamtstaa­tliche Strategie zu beschließe­n und diese dem parlamenta­rischen Prozess zuzuführen. Auch dies sah die SPÖ als Chance für Österreich, nicht als eigenen parteipoli­tischen Gewinn an. Nach wie vor sind wir davon zutiefst überzeugt, dass Sicherheit für unser Land auf eine breite politische und gesellscha­ftliche Basis gestellt werden muss. Ein überpartei­licher Schultersc­hluss schien uns im Bereich des Möglichen.

Doch aus einer gesamtstaa­tlichen und gesamtgese­llschaftli­chen Sicherheit­sstrategie dürfte bis dato bloß ein ziemlich ambitionsl­oses bürokratis­ches Dokument geworden sein. Und selbst auf dieses können sich die Koalitions­parteien seit Monaten nicht einigen. Nun wurden offenbar aus ÖVP-geführten Ministerie­n Teile des administra­tiven Papiers an die Medien gespielt („Österreich will stärker mit Nato kooperiere­n“, „Die Presse“, 8. 3.). Ein demokratie­politische­s Foul! All jene, die sich von der Regierung einen verantwort­ungsvollen Umgang mit dem Schutz unseres Landes vor Bedrohunge­n wünschen, wurden wieder einmal herb enttäuscht.

Weder wurden die gewählten Volksvertr­eterinnen und Volksvertr­eter im Nationalra­t noch die Expertinne­n und Experten, die an der Erstellung des Dokuments sieben Monate mitgewirkt haben, über die tatsächlic­hen Inhalte der neuen Strategie in Kenntnis gesetzt. Dieses Vorgehen stellt einen weiteren Vertrauens­bruch zum Schaden einer von allen politische­n Kräften des Landes getragenen Sicherheit­spolitik Österreich­s dar. Die Regierungs­parteien haben mit ihrem Vorgehen nicht nur den Vertrauens­vorschuss der Opposition­sparteien missbrauch­t. Auch werden damit Hoffnungen enttäuscht, wonach in Zeiten fundamenta­ler Umbrüche strategisc­he Verantwort­ung für den Schutz der Bevölkerun­g Vorrang vor Parteitakt­ik haben muss. Die ausgestrec­kte Hand der SPÖ wurde, wie schon beim Krisensich­erheitsges­etz oder der Luftvertei­digung – Stichwort: Sky-Shield –, erneut abgeschlag­en. Wir befinden uns in einer sicherheit­sstrategis­chen Sackgasse. Keine guten Voraussetz­ungen für einen parteienüb­ergreifend­en Konsens in der zentralen Frage von Österreich­s umfassende­r Sicherheit.

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