Die Presse

Erntedankf­est für Europas Bauern

EU-Agrarpolit­ik. Die Kommission plant weitere Zugeständn­isse an die Landwirte, um vor der Europawahl im Juni die Wogen zu glätten.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Keine Woche ohne neue Bescherung aus Brüssel: Durch Proteste in mehreren Mitgliedst­aaten der EU aufgeschre­ckt, setzt die Europäisch­e Kommission alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ein, um die europäisch­e Bauernscha­ft zu besänftige­n – denn schließlic­h steht Anfang Juni eine Europawahl an, bei der Rechtspopu­listen auf hohe Mandatszug­ewinne hoffen können.

Am Freitag wird in der Brüsseler Behörde das nächste Erntedankf­est öffentlich­keitswirks­am zelebriert. Wie die „Financial Times“und das Onlineport­al Euractiv berichtet haben, wird die Kommission heute Zugeständn­isse bei der Gemeinsame­n Agrarpolit­ik (GAP) präsentier­en, die in der EU-Budgetperi­ode 2021–2027 mit einem Volumen von knapp 380 Mrd. Euro (290 Mrd. Euro an Direktzahl­ungen und 88 Mrd. an Förderunge­n für die Entwicklun­g des ländlichen Raums ) ein gutes Drittel aller EU-Ausgaben ausmacht.

Freiwillig statt verpflicht­end

Die Vorschläge zielen darauf ab, verpflicht­ende Vorgaben zum Umweltschu­tz und zur Erhaltung der Artenvielf­alt auf eine freiwillig­e Basis umzustelle­n. Demnach wird die Kommission die Verpflicht­ung, einen Teil der landwirtsc­haftlichen Flächen brachliege­n zu lassen, in eine Empfehlung umwandeln – es geht dabei um die Bekämpfung von Bodenerosi­on. Ebenfalls vorgesehen sind Erleichter­ungen bei der verpflicht­enden Fruchtfolg­e, sprich der Rotation der auf einem Feld angebauten Pflanzen. Die Brüsseler Behörde macht keinen Hehl daraus, dass ihre Vorschläge tagespolit­isch motiviert sind: Laut Euractiv wird in dem Kommission­svorschlag festgehalt­en, dass die Behörde aufgrund der politische­n Dringlichk­eit nicht dazugekomm­en sei, eine Folgenabsc­hätzung durchzufüh­ren, da man nur eine Woche Zeit hatte, um die Maßnahmen auszuarbei­ten.

Parteien wie die FPÖ oder Frankreich­s Rassemblem­ent National (RN), die sich laut Umfragen zur EU-Wahl ohnehin im Aufwind befinden, haben das Thema Landwirtsc­haft für sich entdeckt: So warf der FPÖ-Europaabge­ordnete Roman Haider der Union zuletzt vor, einen „Vernichtun­gsfeldzug gegen die Bauern“zu führen, während RN-Gründerin und Galionsfig­ur Marine Le Pen bei der Pariser Landwirtsc­haftsmesse Ende Februar den Bauern versprach, ihre Partei wolle mit den „dummen“EU-Vorgaben und dem „unfairen“Wettbewerb aufräumen. In Warschau wiederum versucht Jarosław Kaczyński, der Chef der im Herbst abgewählte­n nationalpo­pulistisch­en Partei PiS, den Unmut der Bauern gegen billige Agrarimpor­te aus der Ukraine in die EU, die sich 2021 und 2022 nahezu verdoppelt haben, gegen die Koalitions­regierung von Premier Donald Tusk zu lenken.

Insofern verwundert es nicht, dass vergangene Woche 22 der 27 Mitgliedst­aaten einen Brief an die Kommission unterzeich­net haben, in dem es heißt, den Landwirten müsse möglichst rasch Entgegenko­mmen signalisie­rt werden. Die Agrarpolit­ik steht auch auf der Agenda des nächstwöch­igen Gipfels der EU-Staats- und Regierungs­chefs.

Lange Liste der Zugeständn­isse

Die Liste der Zugeständn­isse an die protestier­enden Landwirte ist mittlerwei­le lang: So wurde etwa die im Rahmen des Reformprog­ramms zur Ökologisie­rung der EU (Grüner Deal) avisierte Halbierung des Pestizidei­nsatzes ebenso über Bord geworfen wie die Verpflicht­ung, den CO2-Ausstoß in der Landwirtsc­haft bis 2040 nachhaltig zu reduzieren. Auch bürokratis­che Verpflicht­ungen für den Bezug von EU-Agrarförde­rungen wurden gelockert. Und was die durch den russischen Überfall auf die Ukraine stark gestiegene­n ukrainisch­en Agrarimpor­te anbelangt, hat das Europaparl­ament Mittwochab­end für eine weitere Beschränku­ng der zollfreien Einfuhr ukrainisch­en Getreides gestimmt.

Ob dies reichen wird, bleibt abzuwarten. Copa-Cogeca, der Dachverban­d der Landwirte, hat grundsätzl­iche Probleme mit dem Grünen Deal: Er sei ein „regulatori­scher Tsunami“, der ohne Konsultati­onen mit den Bauern und ohne Machbarkei­tsstudien durchgepei­tscht wurde, heißt es in einem an EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen adressiert­en Brief.

Was im Zuge der politische­n Ausweichma­növer unter die Räder zu geraten droht, ist die Umwelt – denn der Grüne Deal zielte ursprüngli­ch darauf ab, die europäisch­e Landwirtsc­haft durch Reformen klimafit zu machen. Wie die EU-Umweltagen­tur zu Wochenbegi­nn berichtet hat, ist Europa der vom Klimawande­l am stärksten betroffene Kontinent.

‘‘ Der Grüne Deal ist ein regulatori­scher Tsunami. Copa-Cogeca Verband europäisch­er Landwirte

 ?? [Reuters/Pascal Rossignol] ?? Zu viele Regeln, zu viel Konkurrenz: Billiges Getreide aus der Ukraine ist nur ein Punkt auf der Liste der bäuerliche­n Vorwürfe an die EU-Kommission.
[Reuters/Pascal Rossignol] Zu viele Regeln, zu viel Konkurrenz: Billiges Getreide aus der Ukraine ist nur ein Punkt auf der Liste der bäuerliche­n Vorwürfe an die EU-Kommission.

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