Erntedankfest für Europas Bauern
EU-Agrarpolitik. Die Kommission plant weitere Zugeständnisse an die Landwirte, um vor der Europawahl im Juni die Wogen zu glätten.
Keine Woche ohne neue Bescherung aus Brüssel: Durch Proteste in mehreren Mitgliedstaaten der EU aufgeschreckt, setzt die Europäische Kommission alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ein, um die europäische Bauernschaft zu besänftigen – denn schließlich steht Anfang Juni eine Europawahl an, bei der Rechtspopulisten auf hohe Mandatszugewinne hoffen können.
Am Freitag wird in der Brüsseler Behörde das nächste Erntedankfest öffentlichkeitswirksam zelebriert. Wie die „Financial Times“und das Onlineportal Euractiv berichtet haben, wird die Kommission heute Zugeständnisse bei der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) präsentieren, die in der EU-Budgetperiode 2021–2027 mit einem Volumen von knapp 380 Mrd. Euro (290 Mrd. Euro an Direktzahlungen und 88 Mrd. an Förderungen für die Entwicklung des ländlichen Raums ) ein gutes Drittel aller EU-Ausgaben ausmacht.
Freiwillig statt verpflichtend
Die Vorschläge zielen darauf ab, verpflichtende Vorgaben zum Umweltschutz und zur Erhaltung der Artenvielfalt auf eine freiwillige Basis umzustellen. Demnach wird die Kommission die Verpflichtung, einen Teil der landwirtschaftlichen Flächen brachliegen zu lassen, in eine Empfehlung umwandeln – es geht dabei um die Bekämpfung von Bodenerosion. Ebenfalls vorgesehen sind Erleichterungen bei der verpflichtenden Fruchtfolge, sprich der Rotation der auf einem Feld angebauten Pflanzen. Die Brüsseler Behörde macht keinen Hehl daraus, dass ihre Vorschläge tagespolitisch motiviert sind: Laut Euractiv wird in dem Kommissionsvorschlag festgehalten, dass die Behörde aufgrund der politischen Dringlichkeit nicht dazugekommen sei, eine Folgenabschätzung durchzuführen, da man nur eine Woche Zeit hatte, um die Maßnahmen auszuarbeiten.
Parteien wie die FPÖ oder Frankreichs Rassemblement National (RN), die sich laut Umfragen zur EU-Wahl ohnehin im Aufwind befinden, haben das Thema Landwirtschaft für sich entdeckt: So warf der FPÖ-Europaabgeordnete Roman Haider der Union zuletzt vor, einen „Vernichtungsfeldzug gegen die Bauern“zu führen, während RN-Gründerin und Galionsfigur Marine Le Pen bei der Pariser Landwirtschaftsmesse Ende Februar den Bauern versprach, ihre Partei wolle mit den „dummen“EU-Vorgaben und dem „unfairen“Wettbewerb aufräumen. In Warschau wiederum versucht Jarosław Kaczyński, der Chef der im Herbst abgewählten nationalpopulistischen Partei PiS, den Unmut der Bauern gegen billige Agrarimporte aus der Ukraine in die EU, die sich 2021 und 2022 nahezu verdoppelt haben, gegen die Koalitionsregierung von Premier Donald Tusk zu lenken.
Insofern verwundert es nicht, dass vergangene Woche 22 der 27 Mitgliedstaaten einen Brief an die Kommission unterzeichnet haben, in dem es heißt, den Landwirten müsse möglichst rasch Entgegenkommen signalisiert werden. Die Agrarpolitik steht auch auf der Agenda des nächstwöchigen Gipfels der EU-Staats- und Regierungschefs.
Lange Liste der Zugeständnisse
Die Liste der Zugeständnisse an die protestierenden Landwirte ist mittlerweile lang: So wurde etwa die im Rahmen des Reformprogramms zur Ökologisierung der EU (Grüner Deal) avisierte Halbierung des Pestizideinsatzes ebenso über Bord geworfen wie die Verpflichtung, den CO2-Ausstoß in der Landwirtschaft bis 2040 nachhaltig zu reduzieren. Auch bürokratische Verpflichtungen für den Bezug von EU-Agrarförderungen wurden gelockert. Und was die durch den russischen Überfall auf die Ukraine stark gestiegenen ukrainischen Agrarimporte anbelangt, hat das Europaparlament Mittwochabend für eine weitere Beschränkung der zollfreien Einfuhr ukrainischen Getreides gestimmt.
Ob dies reichen wird, bleibt abzuwarten. Copa-Cogeca, der Dachverband der Landwirte, hat grundsätzliche Probleme mit dem Grünen Deal: Er sei ein „regulatorischer Tsunami“, der ohne Konsultationen mit den Bauern und ohne Machbarkeitsstudien durchgepeitscht wurde, heißt es in einem an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen adressierten Brief.
Was im Zuge der politischen Ausweichmanöver unter die Räder zu geraten droht, ist die Umwelt – denn der Grüne Deal zielte ursprünglich darauf ab, die europäische Landwirtschaft durch Reformen klimafit zu machen. Wie die EU-Umweltagentur zu Wochenbeginn berichtet hat, ist Europa der vom Klimawandel am stärksten betroffene Kontinent.
‘‘ Der Grüne Deal ist ein regulatorischer Tsunami. Copa-Cogeca Verband europäischer Landwirte