Die Angst der Polen vor einem Überfall Russlands wächst
Wegen russischer Erfolge in der Ukraine und Trumps möglicher Wiederwahl wächst Verunsicherung. Heute trifft Tusk Macron und Scholz.
Beim US-Besuch Anfang dieser Woche begruben Polens liberalkonservativer Premier Donald Tusk und der rechtsnationale Präsident Andrzej Duda ihre Differenzen und setzten sich mit US-Präsident Joe Biden an einen Tisch. Der gab der polnischen Delegation am Ende des Staatsbesuchs Sicherheitsgarantien und einen Verteidigungskredit von mehr als zwei Milliarden Dollar mit. Im Blick hatte Biden die rund zehn Millionen USBürger mit polnischen Wurzeln.
In Polen hat dies die Unruhe über die russischen Erfolge in der Ukraine etwas beruhigt. Wobei Kommentatoren darauf hinwiesen, dass Südkorea weit mehr US-Kredite und Waffenhilfe bekomme. Denn die Angst wächst, seitdem in der Ukraine auch noch Awdijiwka gefallen ist. Immer mehr Polen denken an eine Flucht Richtung Westen. Grund sind Befürchtungen einer Invasion russischer Bodentruppen aus der Exklave Kaliningrad oder Belarus. Man fragt sich, ob Putin „nur“die einstigen zaristischen Teilungsgebiete von 1795 bis 1918 am Ostufer der Weichsel oder das ganze heutige Polen bis zur Oder-Neiße-Grenze erobern will.
„Schnelle Eingreiftruppe“
Verstärkt wird die Angst durch die tragischen Erfahrungen mit der UdSSR: Als die Rote Armee ab dem 17. September 1939, wie im HitlerStalin-Pakt vorgesehen, Ostpolen besetzte, kam es zu Massenvergewaltigungen. Diese brutale Form der russischen Kriegsführung, im Westen aus dem ukrainischen Butscha bekannt, wiederholte sich 1944/45 während der Befreiung Polens durch die Sowjetarmee.
„Die EU braucht eine schnelle Eingreiftruppe, die einsatzbereit ist, wenn die Amerikaner woanders gebunden sind“, forderte Außenminister Radosław Sikorski. Donald Trumps Drohung, jene Nato-Mitglieder im Falle einer russischen Invasion nicht zu verteidigen, die zu wenig für ihre Armeen ausgegeben hätten, schlug in Polen, das seit 2023 vier Prozent seines BIPs für
Verteidigung ausgibt, wie eine Bombe ein: Dies untergräbt das Vertrauen an die Nato-Abschreckungskraft und die USA.
Für Polen hat es deshalb oberste Priorität, Kiew zusammen mit der EU und Nato mit ausreichend Munition und Waffen für den Abwehrkampf gegen Russland auszustatten. Denn praktisch jedem Polen und nicht nur den meisten Politikern ist klar, dass der südöstliche Nachbar Ukraine seit dem 24. Februar 2022 Polen und ganz Europa gegen den russischen Imperialismus mit verteidigt.
Dabei wird die Ukraine in Polen dennoch nicht durch die rosarote Brille gesehen. Dies verhindert allein die tragische Geschichte beider Nationen, bei der es vor allem im 20. Jahrhundert zu ethnischen Säuberungen mit rund 100.000 Opfern gekommen ist. Warschau erwartet von Brüssel deshalb einen neuen Getreidedeal mit der Ukraine, der die eigenen Produzenten vor dem Preisverfall bewahrt.
Der Getreidetransfer auf dem Landweg in EU-Häfen zwischen Danzig, Hamburg und Rotterdam müsse kontrolliert ablaufen, sodass ukrainisches Getreide nicht mehr unter polnisches gemischt und dann zu Schleuderpreisen verkauft wird. In Polen ist man überzeugt: Nur wenn die eigene Bevölkerung überhaupt keine Angst vor der Ukraine hat, ist sie stark gegen Russland. „Die Zeiten sind ernst“, sagt Tusk.
Der Premier kündigte noch in den USA für diesen Freitag ein Treffen in Berlin im Format des „Weimarer Dreiecks“an. Er wolle Olaf Scholz und Emmanuel Macron zeitnah von seinen Gesprächen mit Biden berichten, begründete Tusk. 2015–23 war das „Weimarer Dreieck“unter der PiS eingeschlafen.