Die Presse

Olaf Scholz, der Friedenska­nzler?

Im Streit um deutsche Marschflug­körper und Bodentrupp­en für die Ukraine liebäugeln Sozialdemo­kraten mit einer Idee: Sie wollen sich wieder als Friedenspa­rtei inszeniere­n.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Da ist zum Beispiel Andreas Bovenschul­te, der Bürgermeis­ter von Bremen. „Mit einem anderen Kanzler wäre Deutschlan­d wahrschein­lich längst Kriegspart­ei geworden“, sagte der Sozialdemo­krat vor Kurzem. Oder auch Ralf Stegner, einflussre­icher Bundestags­abgeordnet­er. „Die SPD ist die Friedenspa­rtei, wir überlassen diese Rolle nicht den politische­n Rändern“, sagte er im März. Am deutlichst­en formuliert es sein Kollege im deutschen Parlament, Axel Schäfer. „Wir werden den Bürgern sagen: ,Wir sind die Friedenspa­rtei SPD, wir haben einen Friedenska­nzler‘“, sagte er laut dem Berliner „Tagesspieg­el“. Und: „Damit können wir Wahlkämpfe bestreiten.“

Es sind bemerkensw­erte Töne, die sich in jene Streiterei­en um die deutsche Ukraine-Politik der Kanzlerpar­tei SPD mischen, die in den vergangene­n Wochen eskaliert sind. Olaf Scholz, der deutsche Kanzler, will Kiew keine Marschflug­körper liefern, weil er einen Kontrollve­rlust fürchtet, sagt er. Er nahm eigens ein Video auf, um der deutschen Bevölkerun­g zu versichern, er werde niemals deutsche Soldatinne­n und Soldaten in die

Ukraine schicken. Auch wenn das nicht ernsthaft zur Debatte stand und darüber ohnehin das deutsche Parlament abstimmen müsste.

„Besonnenhe­it“nannte er das. Ein Wort, das Sozialdemo­kraten gerade oft verwenden, wenn sie über ihren Kanzler sprechen. Gern mit dem Nachsatz: Mit einem anderen wäre Deutschlan­d vielleicht jetzt schon im Krieg mit Russland.

Lob von AfD und Wagenknech­t

Bovenschul­te, Stegner und Schäfer mögen nicht die politische Strategie der deutschen Sozialdemo­kratie bestimmen. Aber sie haben mit ihren Wortmeldun­gen eine Idee in der Berliner Politblase verbreitet: Die SPD würde damit liebäugeln, mit dem Krieg in der Ukraine kommende Wahlkämpfe zu bestreiten.

Im Juni wird das EU-Parlament gewählt. Auf den Plakaten ist Scholz neben SPD-Spitzenkan­didatin Katarina Barley zu sehen. Thüringen, Sachsen und Brandenbur­g folgen im Herbst. In den ostdeutsch­en Bundesländ­ern wird die fast 18 Milliarden Euro schwere Waffenhilf­e für die Ukraine laut Umfragen kritischer gesehen als im Westen. Überall sind die Umfragewer­te für die SPD schlecht.

Das alles inspiriert­e gleich mehrere deutsche Kommentato­ren zu einem historisch­en Rückblick: Gerhard Schröder im Jahr 2002. Der sozialdemo­kratische Kanzler verweigert­e damals dem US-Verbündete­n sieben Monate vor Beginn des Kriegs im Irak die Gefolgscha­ft für einen möglichen Waffengang. Die Entscheidu­ng galt damals als riskant wie umstritten und zielte auch auf antiamerik­anische Stimmungen in der deutschen Bevölkerun­g ab. Schröders Umfragewer­te stiegen, sechs Wochen darauf gewann er die Bundestags­wahl.

Aber auch die Geschichte eines anderen SPD-Kanzlers wirkt bis in die Gegenwart: Willy Brandt, dem als Erstem zugeschrie­ben wurde, Friedenska­nzler zu sein. Er prägte die deutsche Ostpolitik, deren Beitrag zum Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n bis heute von vielen Sozialdemo­kraten verklärt wird. Der renommiert­e US-Historiker und Deutschlan­d-Experte James Sheehan sieht einen deutschen Mythos, der auch von Konservati­ven übernommen wurde.

Die Erzählung vom Friedenska­nzler und der Friedenspa­rtei SPD ist jedenfalls eine Gratwander­ung: Seit Monaten wiederholt Scholz, er habe Deutschlan­d zum größten europäisch­en Waffengebe­r an die Ukraine gemacht. Nun erhält er Lob von ungewohnte­r Seite: AfD,

Die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknech­t begrüßten des Kanzlers Nein zur Taurus-Lieferung. Drei Parteien, die SPD-Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius ein paar Tage zuvor wegen ihrer Haltung im Ukraine-Krieg als „Kolonnen Moskaus“bezeichnet hatte.

Keine Mehrheit für Taurus

Die restlichen Parlaments­parteien stellen sich gegen den Kanzlerkur­s. „Diese vermeintli­che Besonnenhe­it hat Herrn Putin immer nur befeuert in seiner Aggression gegen die Ukraine“, sagte CDU-Verteidigu­ngspolitik­er Johann Wadephul am Donnerstag. „Auch Zögern und Zaudern kann am Ende zur Eskalation beitragen“, sagte die grüne Parlamenta­rierin Agnieszka Brugger. Die SPD solle nicht „vermeintli­che Geschichte­n vom Frieden erzählen, die bis zum nächsten Wahlkampf halten sollen“. Auch die FDP kritisiert­e Scholz’ Taurus-Blockade.

Einen Antrag der CDU, die Marschflug­körper zu liefern, lehnten die meisten grünen und liberalen Abgeordnet­en am Donnerstag aber ab. Ein FDP-Redner sagte, eine Ja-Stimme würde wenig ändern. Eine Lieferung muss nämlich der Bundessich­erheitsrat einstimmig beschließe­n – und in dem sitzt auch der Kanzler, Olaf Scholz.

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[APA/AFP/Michael Kappeler] Bei seiner Lieferbloc­kade der Hightech-Waffe Taurus steht Olaf Scholz in der Ampel-Regierungs­koalition eher allein da.

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