Olaf Scholz, der Friedenskanzler?
Im Streit um deutsche Marschflugkörper und Bodentruppen für die Ukraine liebäugeln Sozialdemokraten mit einer Idee: Sie wollen sich wieder als Friedenspartei inszenieren.
Da ist zum Beispiel Andreas Bovenschulte, der Bürgermeister von Bremen. „Mit einem anderen Kanzler wäre Deutschland wahrscheinlich längst Kriegspartei geworden“, sagte der Sozialdemokrat vor Kurzem. Oder auch Ralf Stegner, einflussreicher Bundestagsabgeordneter. „Die SPD ist die Friedenspartei, wir überlassen diese Rolle nicht den politischen Rändern“, sagte er im März. Am deutlichsten formuliert es sein Kollege im deutschen Parlament, Axel Schäfer. „Wir werden den Bürgern sagen: ,Wir sind die Friedenspartei SPD, wir haben einen Friedenskanzler‘“, sagte er laut dem Berliner „Tagesspiegel“. Und: „Damit können wir Wahlkämpfe bestreiten.“
Es sind bemerkenswerte Töne, die sich in jene Streitereien um die deutsche Ukraine-Politik der Kanzlerpartei SPD mischen, die in den vergangenen Wochen eskaliert sind. Olaf Scholz, der deutsche Kanzler, will Kiew keine Marschflugkörper liefern, weil er einen Kontrollverlust fürchtet, sagt er. Er nahm eigens ein Video auf, um der deutschen Bevölkerung zu versichern, er werde niemals deutsche Soldatinnen und Soldaten in die
Ukraine schicken. Auch wenn das nicht ernsthaft zur Debatte stand und darüber ohnehin das deutsche Parlament abstimmen müsste.
„Besonnenheit“nannte er das. Ein Wort, das Sozialdemokraten gerade oft verwenden, wenn sie über ihren Kanzler sprechen. Gern mit dem Nachsatz: Mit einem anderen wäre Deutschland vielleicht jetzt schon im Krieg mit Russland.
Lob von AfD und Wagenknecht
Bovenschulte, Stegner und Schäfer mögen nicht die politische Strategie der deutschen Sozialdemokratie bestimmen. Aber sie haben mit ihren Wortmeldungen eine Idee in der Berliner Politblase verbreitet: Die SPD würde damit liebäugeln, mit dem Krieg in der Ukraine kommende Wahlkämpfe zu bestreiten.
Im Juni wird das EU-Parlament gewählt. Auf den Plakaten ist Scholz neben SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley zu sehen. Thüringen, Sachsen und Brandenburg folgen im Herbst. In den ostdeutschen Bundesländern wird die fast 18 Milliarden Euro schwere Waffenhilfe für die Ukraine laut Umfragen kritischer gesehen als im Westen. Überall sind die Umfragewerte für die SPD schlecht.
Das alles inspirierte gleich mehrere deutsche Kommentatoren zu einem historischen Rückblick: Gerhard Schröder im Jahr 2002. Der sozialdemokratische Kanzler verweigerte damals dem US-Verbündeten sieben Monate vor Beginn des Kriegs im Irak die Gefolgschaft für einen möglichen Waffengang. Die Entscheidung galt damals als riskant wie umstritten und zielte auch auf antiamerikanische Stimmungen in der deutschen Bevölkerung ab. Schröders Umfragewerte stiegen, sechs Wochen darauf gewann er die Bundestagswahl.
Aber auch die Geschichte eines anderen SPD-Kanzlers wirkt bis in die Gegenwart: Willy Brandt, dem als Erstem zugeschrieben wurde, Friedenskanzler zu sein. Er prägte die deutsche Ostpolitik, deren Beitrag zum Zusammenbruch der Sowjetunion bis heute von vielen Sozialdemokraten verklärt wird. Der renommierte US-Historiker und Deutschland-Experte James Sheehan sieht einen deutschen Mythos, der auch von Konservativen übernommen wurde.
Die Erzählung vom Friedenskanzler und der Friedenspartei SPD ist jedenfalls eine Gratwanderung: Seit Monaten wiederholt Scholz, er habe Deutschland zum größten europäischen Waffengeber an die Ukraine gemacht. Nun erhält er Lob von ungewohnter Seite: AfD,
Die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht begrüßten des Kanzlers Nein zur Taurus-Lieferung. Drei Parteien, die SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius ein paar Tage zuvor wegen ihrer Haltung im Ukraine-Krieg als „Kolonnen Moskaus“bezeichnet hatte.
Keine Mehrheit für Taurus
Die restlichen Parlamentsparteien stellen sich gegen den Kanzlerkurs. „Diese vermeintliche Besonnenheit hat Herrn Putin immer nur befeuert in seiner Aggression gegen die Ukraine“, sagte CDU-Verteidigungspolitiker Johann Wadephul am Donnerstag. „Auch Zögern und Zaudern kann am Ende zur Eskalation beitragen“, sagte die grüne Parlamentarierin Agnieszka Brugger. Die SPD solle nicht „vermeintliche Geschichten vom Frieden erzählen, die bis zum nächsten Wahlkampf halten sollen“. Auch die FDP kritisierte Scholz’ Taurus-Blockade.
Einen Antrag der CDU, die Marschflugkörper zu liefern, lehnten die meisten grünen und liberalen Abgeordneten am Donnerstag aber ab. Ein FDP-Redner sagte, eine Ja-Stimme würde wenig ändern. Eine Lieferung muss nämlich der Bundessicherheitsrat einstimmig beschließen – und in dem sitzt auch der Kanzler, Olaf Scholz.