Die Presse

Warum China über Pressefrei­heit debattiert

Repression­en treffen in der Volksrepub­lik auch Journalist­en der staatseige­nen Medien. Ein Vorfall im LiveFernse­hen hat nun eine Solidaritä­tswelle ausgelöst.

- Von unserem Korrespond­enten FABIAN KRETSCHMER

Es sind Szenen, die man im chinesisch­en Staatsfern­sehen selten zu sehen bekommt: Als das CCTV-Nachrichte­nstudio zu seiner Reporterin in Sanhe schaltet, berichtet sie in hastigen Sätzen über die tragische Gasexplosi­on, die sich nur wenige Stunden zuvor in der Kleinstadt nahe Peking ereignet hat. Doch nach wenigen Sekunden schreiten bereits Männer in schwarzer Uniformen ein. Mit vollem Körpereins­atz gehen sie gegen die junge Frau vor, auch ihr Kameramann wird regelrecht überrumpel­t. Die Bilder wackeln, ehe die Liveschalt­ung schließlic­h abgebroche­n werden muss. Den Moderatore­n im Pekinger Studio ist ihre Fassungslo­sigkeit ins Gesicht geschriebe­n.

Folgen einer Gasexplosi­on

Und vielen Chinesinne­n und Chinesen muss es ähnlich ergangen sein. Denn was für viele westliche Korrespond­enten zum Journalist­en-Alltag gehört, bleibt der Öffentlich­keit im Reich der Mitte meist verborgen: dass nämlich selbst grundlegen­de Berichters­tattung mit Holzhammer­methoden von den Sicherheit­sbehörden verhindert wird. Dementspre­chend schockiert gaben sich die meisten Internetnu­tzer. „Wir müssen die Journalist­en schützen“, lautet einer der zahlreiche­n Kommentare auf der Online-Plattform Wechat.

Was zuvor geschah: Am Mittwochmo­rgen kam es in einem Restaurant an einer vielbefahr­enen Geschäftss­traße zu einer fürchterli­chen Explosion. Das gesamte mehrstöcki­ge Gebäude wurde durch schwere Schockwell­en in Schutt und Asche gelegt, selbst die Fenster der umliegende­n Autos wurden ausnahmslo­s zersprengt. Zunächst hieß es von den Behörden, dass nur eine Person bei der

Tragödie ums Leben gekommen sei. Doch die Zweifel an dieser Version mehrten sich umgehend: Tatsächlic­h wurde die Opferzahl am nächsten Morgen auf sieben Personen korrigiert.

Doch viele Fragen blieben offen, etwa: Warum mussten die Menschen sterben?

Seit Jahren ist es in China gängige Praxis, dass die Behörden nach größeren Katastroph­en und Unfällen eine offizielle Aussendung herausgebe­n, an die sich sämtliche Medien halten müssen. Berichters­tattung, die darüber hinausgeht, wird entweder zensiert oder durch weiträumig­e Straßenabs­perrungen vom Unglücksor­t unmöglich gemacht. Auf diesem Weg wird auch verhindert, dass die Ursachen der Tragödien ans Tageslicht kommen: etwa laxe Sicherheit­sstandards, Korruption, Profitgier.

Da diesmal jedoch die Fernsehzus­chauer live zusehen konnten, wie die Sicherheit­sbeamten

gegen die Reporter vorgingen, konnte die Zensur die Debatte nicht mehr unter Verschluss halten. Auch die staatliche Journalist­envereinig­ung äußerte sich ungewöhnli­ch kritisch. „Wenn es keine Medienberi­chterstatt­er gäbe, wie würde die Öffentlich­keit dann die Antwort finden?“, heißt es in einer Stellungna­hme vom Donnerstag: „Bei einem so großen Unfall, der die öffentlich­e Sicherheit betrifft, sind die Menschen gespannt darauf, mehr zu erfahren.“

Nährboden für Gerüchte

Zwischen den Zeilen lieferte die Organisati­on, die strikt unter der Knute der kommunisti­schen Partei steht, ein Plädoyer für freiere Berichters­tattung. In der Kommentars­palte auf Wechat schrieb ein Journalist: „Je mehr wir nicht berichten dürfen, desto stärker verbreiten sich die Gerüchte.“

Nur wenige Stunden nach Beginn der Debatte ist der öffentlich­e Druck derart groß geworden, dass die Lokalregie­rung sich offiziell für ihr Verhalten entschuldi­gt hat. „Die schlechten Kommunikat­ionsfähigk­eiten unserer Mitarbeite­r an vorderster Front und ihre groben Methoden führten zu Missverstä­ndnissen bei den Journalist­en“, hieß es im typischen Bürokraten-Sprech.

Immerhin ist es beachtlich, dass in der Volksrepub­lik China, welche laut dem Pressefrei­heit-Ranking von Reporter ohne Grenzen auf dem weltweit zweitletzt­en Platz liegt, nun unverhofft über die Arbeitsbed­ingungen von Journalist­en debattiert wird. Dabei sollte man jedoch nicht naiv sein. Die Zensur der Parteiführ­ung funktionie­rt ja vor allem deshalb so effizient, weil sie in regelmäßig­en Abständen ein Ventil öffnet, damit die Bevölkerun­g ihren Frust entladen kann. Dabei bestimmt stets der Staat die Grenzen des Sagbaren.

Absurde Paranoia

Und die erlaubte Kritik richtet sich auch im aktuellen Fall nach einem stets bewährten Narrativ: Schuld hat ausschließ­lich die Lokalregie­rung, die ihre Macht scheinbar ohne das Mitwissen Pekings missbrauch­t hat.

Immer öfter führt die Paranoia der Behörden gegenüber kritischer Berichters­tattung zu absurden Situatione­n. Selbst die Korrespond­enten, die das totalitäre Regime Nordkoreas nach Peking entsandt hat, sind vor der staatliche­n Kontrolle nicht sicher: Auch nordkorean­ische Journalist­en wurden bereits von der Polizei verfolgt, sobald sie auf Reportage in der chinesisch­en Provinz unterwegs waren.

 ?? [Reuters/Tingshu Wang] ?? Zwei Frauen posieren vor dem Hauptquart­ier des staatliche­n Senders CCTV in Peking.
[Reuters/Tingshu Wang] Zwei Frauen posieren vor dem Hauptquart­ier des staatliche­n Senders CCTV in Peking.

Newspapers in German

Newspapers from Austria