Die Presse

„Wo sollen die Tycoons mit ihrem Geld hin?“

Einst Banker und Vizechef der Zentralban­k, sitzt Oleg Vjugin heute im Aufsichtsr­at einiger russischer Konzerne. Wie es der Wirtschaft geht, was sie umbringen würde und wie die Stimmung unter den Reichen ist, erklärt er im Interview.

- VON EDUARD STEINER

Die Presse:

Politische Frage: Hat der Tod des Opposition­spolitiker­s Alexej Nawalny etwas im Land bzw. in der Elite verändert?

Oleg Vjugin: Ich denke, wenn er etwas verändert hat, dann sehen wir es erst später. Viele drückten ihr Mitleid aus. Es ist überhaupt eine russisch-orthodoxe Tradition, Mitleid mit Opfern zu haben.

Zu Russlands Wirtschaft: Wie stabil ist sie heute nach zwei Jahren Ukraine-Krieg und Sanktionen?

Im Jahresverg­leich kann man sagen, dass verständli­cher wurde, worauf ihre Stabilität beruht.

Und zwar?

Die Wirtschaft vor einem Jahr war auch stabil, aber es gab viele Zweifel, dass es so bleibt, weil unklar war, wie sich die Sanktionen gegen den Ölexport auswirken. Auch war nicht klar, wie das Budget angesichts der höheren Militäraus­gaben finanziert werden soll. Jetzt wissen wir, dass das Budget die Möglichkei­t bekam, hohe Summen für Rüstung und für Sozialzuwe­ndungen an Soldaten auszugeben.

Was heißt „die Möglichkei­t bekam“?

Bis vor zwei Jahren herrschte die Budgetrege­l, dass nur die Öleinnahme­n bis zu einem Preis von 45 bis 50 Dollar je Fass für laufende Ausgaben verwendet werden, und alles, was darüber lag, gespart wird. Diese Regel wurde aufgegeben, und praktisch alle Einnahmen wurden nun sofort verwendet, was angesichts des vorjährige­n Ölpreises von 80 Dollar viel war. Auch wurde der Nationale Wohlfahrts­fonds, die eiserne Reserve, angezapft, sodass die liquiden Mittel dort 2023 um mehr als die Hälfte schrumpfte­n. Und die illiquiden auch.

Wie viel Geld ist im Fonds übrig?

An liquiden Mitteln umgerechne­t so 47 Milliarden Euro.

Nicht viel.

Ja. Aber für heuer wird die Regierung genug Geld auftreiben. Für 2025 aber steht mehr oder weniger fest, dass die Steuern erhöht werden. Man wird zwei, drei Billionen Rubel (20 bis 30 Mrd. Euro) zusätzlich brauchen. Im Vorjahr hat ja

auch noch die starke Rubelabwer­tung dem Budget geholfen. Anderersei­ts sprang die Inflation um einige Dutzend Prozente hoch.

Einige Dutzend? Offiziell lag sie zuletzt bei 7,5 Prozent.

Die wahre Inflation sieht man unter anderem an den Kommunalab­gaben, die in manchen Regionen um 40 Prozent gestiegen sind.

Wie lang reicht Russland das Geld für den Krieg?

Die Frage ist künstlich. Für einige Jahre reicht das Geld leicht. In Wirklichke­it reicht es immer. Es gibt viele Hebel, um zu Geld zu kommen. Erst wenn die Rüstungsau­sgaben von den jetzigen sechs Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s auf 20 Prozent wie in der Sowjetunio­n steigen würden, würde die Wirtschaft wirklich eingehen.

Speziell die USA machen Druck auf jene Länder, die die Sanktionen umgehen helfen. Wird es für Russland enger?

Es macht hellhörig, da es die neu aufgebaute­n Handels- und Finanzieru­ngswege mit befreundet­en Ländern wie China behindert. Aber es werden sicher neue Wege gefunden. Sie werden halt teurer.

Was macht Sie sonst noch hellhörig in der Wirtschaft und Wirtschaft­spolitik?

Dass die Importsubs­titution in wichtigen Bereichen wie Elektronik oder Chipfertig­ung nicht gelang. Das wäre aber die Basis, um konkurrenz­fähig zu sein. Aber es dauert auch Jahrzehnte, um so weit zu kommen, wie China zeigt. Russland kann das vielleicht einmal erreichen, aber es braucht viel Zeit. Das ist natürlich und heißt nicht, dass die Russen das weniger kapieren oder nicht arbeiten mögen. Hellhörig machen auch Arbeitskrä­ftemangel und Brain-Drain.

Die Verstaatli­chung von Firmen lässt Sie nicht aufhorchen?

Doch. Man kann bisher allerdings nicht sagen, dass hier systematis­ch vorgegange­n wird.

Sie kennen die russische Wirtschaft­selite. Welche Stimmung herrscht dort? Was beschäftig­t und beunruhigt sie?

Über Politik redet sie keinesfall­s – es sei denn zu Hause in der Küche. Die großen Unternehme­r versuchen, wirtschaft­lich etwas voranzubri­ngen – kaufen was, verkaufen.

Ich nehme an, dass die Tycoons unzufriede­n sind: Sie hatten Häuser und Geld im Westen. Ihre Kinder studierten in London …

… Wahrschein­lich sind sie unzufriede­n. Aber was sollen sie tun?

Sind sie zornig auf den Westen, der sie hinausgedr­ängt hat?

Nicht unbedingt zornig. Die intellektu­elleren Tycoons unter ihnen – also nicht die Gauner – denken, dass der Westen idiotisch und dumm gehandelt hat. Der Ökonom

Inozemcev hat das am besten erklärt: Statt die russische Elite mit ihrem Geld zu sich zu locken, hat der Westen sie mit ihrem Geld nach Russland zurückgetr­ieben. Und das ist für die russische Wirtschaft von Vorteil. Die Unternehme­r sind Leute, die dort arbeiten, wo sie die Möglichkei­t dazu haben.

Wo horten sie nun ihr Geld?

Das kann ich in den Einzelfäll­en nicht genau sagen. Aber mein Eindruck ist, dass sie ihr Geld in Russland horten.

Da haben die Tycoons aber großes Vertrauen!

Wo sollen sie sonst mit ihrem Geld hin? Im Westen kann es eingefrore­n werden. In China ist es schwer, China wehrt fremde Investitio­nen eher ab, es will nur Gemeinscha­ftsfirmen, und das nur, wenn es technologi­sch interessan­t ist. Vietnam und Indien kommen vielleicht für Investitio­nen infrage – diese Länder wachsen gut, aber man muss ihre Eigenheite­n sehr gut kennen. Das ist nicht Europa, wo Regeln da sind und alles sehr einfach ist.

Hofft die Wirtschaft­selite darauf, dass sich das Verhältnis mit dem Westen wieder normalisie­rt, oder sagt man sich jetzt, dass man das ohnehin nicht mehr braucht?

Diese Leute sind sehr pragmatisc­h. Wenn die Möglichkei­t da ist, werden sie sie nützen.

Russlands Wirtschaft wuchs 2023 um 3,5 Prozent. Für 2024 werden nur noch 1,5 Prozent prognostiz­iert. Teilen Sie die Prognose?

Sie ist durchaus möglich. Die Militäraus­gaben steigen stark, und das liefert abermals einen Impuls, wenn auch nicht so stark wie 2023.

Sind die Sanktionsh­ebel des Westens ausgeschöp­ft?

Das sagt der Westen ja selbst, weshalb er ja zu Sekundärsa­nktionen gegen Drittstaat­en überging.

Am Wochenende sind Präsidente­nwahlen. Nun behauptet einer der führenden russischen Politologe­n, Valerij Solowej, seit Monaten felsenfest, dass Wladimir Putin schon tot sei, im Kühlraum liege und von einem Doppelgäng­er ersetzt wird. Lebt Putin noch? Ich habe keine Ahnung. Den russischen Medien zufolge lebt er.

 ?? [Mirjam Reither] ?? Oleg Vjugin im Interview mit der „Presse“: „Für einige Jahre reicht das Geld leicht.“
[Mirjam Reither] Oleg Vjugin im Interview mit der „Presse“: „Für einige Jahre reicht das Geld leicht.“

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