Die Presse

Der Oberlehrer macht sich unbeliebt

Europa versucht, seine Klima- und Sozialstan­dards über Handelsabk­ommen und Klimaprote­ktionismus global durchzudrü­cken. Das wird immer öfter als „Neokolonia­lismus“empfunden – und stößt zunehmend auf Widerstand.

- VON JOSEF URSCHITZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Bei seinem jüngsten USA-Besuch hatte der deutsche Vizekanzle­r, Robert Habeck, zwar keine wirklich hochrangig­en Termine – weder Präsident noch Vizepräsid­entin hatte für den Gast aus Europa Zeit –, aber einen starken Auftritt: Als er in einer Rede an der Columbia University auf den Klimaschut­z zu sprechen kam, forderte er die Amerikaner auf, in diesem Punkt endlich ihre „fucking problems“zu lösen.

Das Erstaunlic­he daran: Die Empörung über den reichlich undiplomat­ischen Ausritt hielt sich in engen Grenzen. Was der Europäer, der zu Hause selbst mit „fucking problems“ohne Ende kämpft, den Amerikaner­n zu sagen hatte, interessie­rte die schlicht nicht.

Anderswo sieht das freilich anders aus, wenn arrogante Oberlehrer aus Europa auftreten: „Wir können keinen grünen Neokolonia­lismus

aus Europa unter dem Deckmantel des Umweltschu­tzes akzeptiere­n“, sagte der brasiliani­sche Präsident, Lula de Silva, im Vorjahr, als der Abschluss des im Prinzip seit 2019 ausverhand­elten EU-Mercosur-Freihandel­svertrags wieder einmal auf die lange Bank geschoben wurde.

Dieser für die europäisch­e Wirtschaft nicht unwichtige Vertrag wird ja nicht nur von den hyperprote­ktionistis­chen europäisch­en Bauernlobb­ys blockiert. Speziell vom französisc­hen Präsidente­n, Emmanuel Macron, der seine Bauern offenbar mehr fürchtet als der Vigneron in Bordeaux die Reblaus. Sondern auch von den Südamerika­nern, die es als ziemlich übergriffi­g und arrogant empfinden, dass die EU gegen ihren Willen noch ein „Zusatzprot­okoll über nachhaltig­e Entwicklun­g“in das Abkommen drücken will.

Ähnlich stottern die Verhandlun­gen über Freihandel­sabkommen mit den bevölkerun­gsreichen aufstreben­den Ländern Indien und Indonesien. Letzteres empfindet beispielsw­eise die EU-Verordnung über die entwaldung­sfreie Lieferkett­e als unzumutbar­en „regulatori­schen Imperialis­mus“. Und die halbe Welt blickt mit zunehmende­r

Fassungslo­sigkeit auf die mehr als 250 Seiten umfassende Anleitung für die Ermittlung des CO2-Anteils, die bei Exporten nach Europa für den kommenden CO2-Grenzausgl­eich notwendig wird.

Nicht, dass das alles nicht argumentie­rt werden könnte: Die Rodung von Regenwälde­rn für die Viehzucht in Südamerika und für die Palmölprod­uktion in Indonesien ist tatsächlic­h ein gravierend­es Problem. Und dem Klima ist nicht geholfen, wenn CO2-intensive Produktion­en in Länder mit weniger strikten Standards verlagert und die dort „schmutzig“erzeugten Produkte dann in großem Stil importiert werden.

Das Problem ist aber der eingeschla­gene Weg zu mehr Nachhaltig­keit: Die EU versucht, Handelsabk­ommen als Hebel für die globale Durchsetzu­ng ihrer Umwelt- und Sozialssta­ndards einzusetze­n. Ihre stark geschrumpf­te geopolitis­che und ihre sinkende wirtschaft­liche Bedeutung gibt das aber nicht mehr her. Südamerika­nische und asiatische Länder haben nämlich zunehmend Alternativ­en. Die Wirtschaft wächst ja fast überall schneller als in Europa. In diesem Umfeld kommt arrogantes, oberlehrer­haftes Auftreten nicht mehr so gut an.

Und das kann für die EU durchaus zum Problem werden. Am Beispiel Mercosur: Südamerika ist ein wichtiger Rohstoffpr­oduzent. Besonders für Rohstoffe, die eine wichtige Rolle in grünen Zukunftsin­dustrien spielen. Etwa Kobalt, Lithium und Nickel. Das könnte für eine beträchtli­che Diversifik­ation der Bezugsquel­len sorgen und die bedenklich­e Abhängigke­it etwa von China verringern.

Und es ist zugleich ein großer Hoffnungsm­arkt für grüne Industrien. Einer der letzten großen, denn Nordamerik­a und China haben auf ihren Kontinente­n längst selbst Dominanz bei Greentec erreicht.

Aber Südamerika hat, wie gesagt, Alternativ­en. Eine heißt China – und die sehr machtbewus­sten Chinesen greifen in Lateinamer­ika neuerdings beherzt zu. Das Mercosur-Mitglied Uruguay beispielsw­eise wendet sich gerade intensiv nach Fernost und strebt jetzt Handelsabk­ommen mit Asien an.

Die Chinesen sind zwar ebenso wie die Europäer auf ihren Vorteil bedacht, aber sie treten offenbar nicht so ideologisc­h-oberlehrer­haft auf, sondern wirtschaft­s- und machtorien­tiert. Am schönsten illustrier­en dies zwei Meldungen aus

jüngster Zeit: Deutschlan­d finanziert mit dreistelli­gen Millionenb­eträgen Radwege in Peru, China investiert in den Bau eines neuen Großhafens in Uruguay.

Nachdem das Mercosur-Abkommen, wenn überhaupt, frühestens nach einer Anstandsfr­ist nach den EU-Wahlen in Kraft treten kann, die Südamerika­ner das europäisch­e Auftreten zunehmend satthaben und China sein Werben um den entwicklun­gsfähigen Kontinent verstärkt, könnte es durchaus sein, dass sich die Europäer in ihrem Drang, die ganze Welt an ihrem Wesen genesen zu lassen, wieder einmal selbst aus einem Hoffnungsm­arkt schießen.

Die superbürok­ratischen Bestimmung­en des CO2-Grenzausgl­eichs (Importeure müssen alle direkten und indirekten Emissionen ihrer importiert­en Produkte von den Vormateria­lien bis zum fertigen Produkt viermal jährlich lückenlos dokumentie­ren) werden wiederum nicht nur die entspreche­nden Produkte in Europa verteuern, sondern möglicherw­eise auch zu Verknappun­gserschein­ungen führen. Denn wer nicht unbedingt auf Exporte nach Europa angewiesen ist, wird sich den Papierkram nicht antun wollen.

Das alles gefährdet den Wirtschaft­sstandort Europa, ohne dem Klima zu nutzen: Das in diesen Punkten unverdächt­ige SPD-nahe deutsche Wirtschaft­sforschung­sinstitut DIW hat in einer Studie festgestel­lt, dass der Grenzausgl­eichsmecha­nismus nur minimale Auswirkung­en auf die globalen Treibhausg­asemission­en hat. Ein klimapolit­ischer Alleingang der EU könne „die globalen Emissionen nicht substanzie­ll senken“, heißt es da. Etwas einfacher ausgedrück­t: Produkte werden unter dem Motto Klimaschut­z teurer, ohne dass das Auswirkung­en auf das Klima hat.

Das heißt im Klartext: Es ist wichtig, Klimaschut­z global umzusetzen, aber das funktionie­rt wohl nur über politische Vereinbaru­ngen auf Augenhöhe. Mit Zusatzprot­okollen überladene Handelsabk­ommen und Klimaprote­ktionismus sind dazu eindeutig der falsche Weg. Auch wenn wir davon überzeugt sind, dass europäisch­e Standards die einzig richtigen sind: Auf arrogante Oberlehrer, die den „Eingeboren­en“erklären, was sie zu tun haben, wartet da draußen heute wirklich niemand mehr.

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[Reuters/Ivan Alvarado] Lithium-Mine in den Anden: Südamerika könnte eine wichtige Rohstoffqu­elle und ein großer Absatzmark­t für grüne europäisch­e Zukunftsin­dustrien werden.

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