Der Oberlehrer macht sich unbeliebt
Europa versucht, seine Klima- und Sozialstandards über Handelsabkommen und Klimaprotektionismus global durchzudrücken. Das wird immer öfter als „Neokolonialismus“empfunden – und stößt zunehmend auf Widerstand.
Bei seinem jüngsten USA-Besuch hatte der deutsche Vizekanzler, Robert Habeck, zwar keine wirklich hochrangigen Termine – weder Präsident noch Vizepräsidentin hatte für den Gast aus Europa Zeit –, aber einen starken Auftritt: Als er in einer Rede an der Columbia University auf den Klimaschutz zu sprechen kam, forderte er die Amerikaner auf, in diesem Punkt endlich ihre „fucking problems“zu lösen.
Das Erstaunliche daran: Die Empörung über den reichlich undiplomatischen Ausritt hielt sich in engen Grenzen. Was der Europäer, der zu Hause selbst mit „fucking problems“ohne Ende kämpft, den Amerikanern zu sagen hatte, interessierte die schlicht nicht.
Anderswo sieht das freilich anders aus, wenn arrogante Oberlehrer aus Europa auftreten: „Wir können keinen grünen Neokolonialismus
aus Europa unter dem Deckmantel des Umweltschutzes akzeptieren“, sagte der brasilianische Präsident, Lula de Silva, im Vorjahr, als der Abschluss des im Prinzip seit 2019 ausverhandelten EU-Mercosur-Freihandelsvertrags wieder einmal auf die lange Bank geschoben wurde.
Dieser für die europäische Wirtschaft nicht unwichtige Vertrag wird ja nicht nur von den hyperprotektionistischen europäischen Bauernlobbys blockiert. Speziell vom französischen Präsidenten, Emmanuel Macron, der seine Bauern offenbar mehr fürchtet als der Vigneron in Bordeaux die Reblaus. Sondern auch von den Südamerikanern, die es als ziemlich übergriffig und arrogant empfinden, dass die EU gegen ihren Willen noch ein „Zusatzprotokoll über nachhaltige Entwicklung“in das Abkommen drücken will.
Ähnlich stottern die Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit den bevölkerungsreichen aufstrebenden Ländern Indien und Indonesien. Letzteres empfindet beispielsweise die EU-Verordnung über die entwaldungsfreie Lieferkette als unzumutbaren „regulatorischen Imperialismus“. Und die halbe Welt blickt mit zunehmender
Fassungslosigkeit auf die mehr als 250 Seiten umfassende Anleitung für die Ermittlung des CO2-Anteils, die bei Exporten nach Europa für den kommenden CO2-Grenzausgleich notwendig wird.
Nicht, dass das alles nicht argumentiert werden könnte: Die Rodung von Regenwäldern für die Viehzucht in Südamerika und für die Palmölproduktion in Indonesien ist tatsächlich ein gravierendes Problem. Und dem Klima ist nicht geholfen, wenn CO2-intensive Produktionen in Länder mit weniger strikten Standards verlagert und die dort „schmutzig“erzeugten Produkte dann in großem Stil importiert werden.
Das Problem ist aber der eingeschlagene Weg zu mehr Nachhaltigkeit: Die EU versucht, Handelsabkommen als Hebel für die globale Durchsetzung ihrer Umwelt- und Sozialsstandards einzusetzen. Ihre stark geschrumpfte geopolitische und ihre sinkende wirtschaftliche Bedeutung gibt das aber nicht mehr her. Südamerikanische und asiatische Länder haben nämlich zunehmend Alternativen. Die Wirtschaft wächst ja fast überall schneller als in Europa. In diesem Umfeld kommt arrogantes, oberlehrerhaftes Auftreten nicht mehr so gut an.
Und das kann für die EU durchaus zum Problem werden. Am Beispiel Mercosur: Südamerika ist ein wichtiger Rohstoffproduzent. Besonders für Rohstoffe, die eine wichtige Rolle in grünen Zukunftsindustrien spielen. Etwa Kobalt, Lithium und Nickel. Das könnte für eine beträchtliche Diversifikation der Bezugsquellen sorgen und die bedenkliche Abhängigkeit etwa von China verringern.
Und es ist zugleich ein großer Hoffnungsmarkt für grüne Industrien. Einer der letzten großen, denn Nordamerika und China haben auf ihren Kontinenten längst selbst Dominanz bei Greentec erreicht.
Aber Südamerika hat, wie gesagt, Alternativen. Eine heißt China – und die sehr machtbewussten Chinesen greifen in Lateinamerika neuerdings beherzt zu. Das Mercosur-Mitglied Uruguay beispielsweise wendet sich gerade intensiv nach Fernost und strebt jetzt Handelsabkommen mit Asien an.
Die Chinesen sind zwar ebenso wie die Europäer auf ihren Vorteil bedacht, aber sie treten offenbar nicht so ideologisch-oberlehrerhaft auf, sondern wirtschafts- und machtorientiert. Am schönsten illustrieren dies zwei Meldungen aus
jüngster Zeit: Deutschland finanziert mit dreistelligen Millionenbeträgen Radwege in Peru, China investiert in den Bau eines neuen Großhafens in Uruguay.
Nachdem das Mercosur-Abkommen, wenn überhaupt, frühestens nach einer Anstandsfrist nach den EU-Wahlen in Kraft treten kann, die Südamerikaner das europäische Auftreten zunehmend satthaben und China sein Werben um den entwicklungsfähigen Kontinent verstärkt, könnte es durchaus sein, dass sich die Europäer in ihrem Drang, die ganze Welt an ihrem Wesen genesen zu lassen, wieder einmal selbst aus einem Hoffnungsmarkt schießen.
Die superbürokratischen Bestimmungen des CO2-Grenzausgleichs (Importeure müssen alle direkten und indirekten Emissionen ihrer importierten Produkte von den Vormaterialien bis zum fertigen Produkt viermal jährlich lückenlos dokumentieren) werden wiederum nicht nur die entsprechenden Produkte in Europa verteuern, sondern möglicherweise auch zu Verknappungserscheinungen führen. Denn wer nicht unbedingt auf Exporte nach Europa angewiesen ist, wird sich den Papierkram nicht antun wollen.
Das alles gefährdet den Wirtschaftsstandort Europa, ohne dem Klima zu nutzen: Das in diesen Punkten unverdächtige SPD-nahe deutsche Wirtschaftsforschungsinstitut DIW hat in einer Studie festgestellt, dass der Grenzausgleichsmechanismus nur minimale Auswirkungen auf die globalen Treibhausgasemissionen hat. Ein klimapolitischer Alleingang der EU könne „die globalen Emissionen nicht substanziell senken“, heißt es da. Etwas einfacher ausgedrückt: Produkte werden unter dem Motto Klimaschutz teurer, ohne dass das Auswirkungen auf das Klima hat.
Das heißt im Klartext: Es ist wichtig, Klimaschutz global umzusetzen, aber das funktioniert wohl nur über politische Vereinbarungen auf Augenhöhe. Mit Zusatzprotokollen überladene Handelsabkommen und Klimaprotektionismus sind dazu eindeutig der falsche Weg. Auch wenn wir davon überzeugt sind, dass europäische Standards die einzig richtigen sind: Auf arrogante Oberlehrer, die den „Eingeborenen“erklären, was sie zu tun haben, wartet da draußen heute wirklich niemand mehr.