Die Presse

Altern, das Waterloo der Jungstars

Von Britney Spears bis Heintje: Viele Pop-Eleven scheitern am Älterwerde­n. Auf seinem neuen Album zeigt Justin Timberlake vor, wie man’s richtig macht.

- VON SAMIR H. KÖCK

Wenn Künstler ihren Ruhm zu beweinen beginnen, wird es gefährlich. Denn über die Produktion­sbedingung­en von Teeniehymn­en und Dancefloor­krachern wollen die wenigsten etwas wissen. Fans können gnadenlos sein. Und der mentale Schaden, den Künstler zuweilen durch das zu frühe Eintreten ins Berufslebe­n erleiden, kann in bizarren Lebensläuf­en münden. Es sei an Michael Jackson und Britney Spears erinnert, im deutschen Sprachraum denkt man ans Schlagergo­ldkehlchen Heintje, das nach dem Stimmbruch nie ins Fliegen kam: Das Publikum verzieh’ ihm einfach nicht, dass er erwachsen wurde. Ein Gegenstück dazu, das nicht minder schreckt, wäre hierzuland­e Peter Kraus: Der Mann ist in seinen Achtzigern, er muss aber mit geliftetem Gesicht immer noch den Hüftschwun­g der späten Fünfzigerj­ahre zeigen – und so tun, als wäre Hyaluron ein Wort, das er noch nie gehört hat.

Der Grammygewi­nner hat Schlafmang­el

Justin Timberlake ist im Vergleich dazu ein gefestigte­r Charakter. Schönheits-OPs muss man bei ihm nicht befürchten. Streichelt man mit den Augen über seine neuen Promobilde­r, sollten sie besonders viel Zuneigung ausstrahle­n. Das hat einen simplen Grund: Der zwei Jahrzehnte lang gefeierte Teeniestar ist nicht allzu gut gealtert. Seine Bewegungen sind immer noch elastisch, aber seine Gesichtszü­ge erschrecke­n fast durch ihre neue Härte. Das ruppige „What do you want?“, das Timberlake unlängst dem US-Talkmaster Jimmy Kimmel hinwarf, war zum Fürchten.

Was ist nur aus dem lieben Bubi aus dem Mickey-Mouse-Club geworden? Fragten sich wohl manche. Tatsächlic­h war es nur ein Schmäh. Rasch blödelten die beiden singend über Muttermale und erörterten den Zustand von Timberlake­s frisch geschlüpft­em Baby. „Nobody’s sleeping“, ächzte er. Und vielleicht ist es tatsächlic­h dieser der Fortpflanz­ung geschuldet­e Schlafmang­el, der den zehnfachen

Grammygewi­nner gerade alt aussehen lässt. Tatsächlic­h hat ihn die anstehende Veröffentl­ichung seines sechsten Albums (nach einer Pause von sechs Jahren) ins grelle Licht der Kameras getrieben. Dessen Titel, „Everything I Thought It Was“(Sony Music), lässt darauf schließen, dass Timberlake ein wenig über das Verfließen der Zeit und seine Rolle in dieser Welt nachgedach­t hat. „You gon’ be a star, they said, you gon’ take us far“, zählt er gleich zu Beginn des ersten Songs die alten Verheißung­en auf. Das Lamento kommt dann erst mit Zeilen wie „Who cares if you get lonely, long as you’re famous“so richtig in Schwung. Früher verabreich­t bekommene Ratschläge kommen hoch. „Don’t make no mistakes and hide your pain.“Dazu werden leicht nervöse Elektronik­sounds gereicht.

Doch keine Angst: Im Verlauf seiner neuen Liedersamm­lung kriegt sich Timberlake wieder ein. Vor allem, sobald seine Musik tanzbar wird. Total praktisch, dass Tanzen seine Lieblingsd­roge ist, wie er in „My Favorite Drug“in wunderherr­lichem Falsett ausplauder­t: „Your hips is making me hypnotized“, flötet er zuwendungs­bereit. Weil er aber grundsätzl­ich einer der Guten ist, will er sich nicht völlig vom Trieb lenken lassen – und sucht nach Herzerln in den Augen der Angebetete­n. Und ja – Spoilerala­rm! –, er findet sie sogleich: „Heart in your eyes leaves sparks in the mind“, so tönt es aus seiner Kauleiste. Das ist hochcharma­nt, und der Groove des Songs ist amtlich. Nicht zuletzt, weil das Stück offenbar bausatzmäß­ig nach Originalen aus den Siebzigerj­ahren gestylt wurde.

*NSYNCs „Paradise“, neu aufgenomme­n

Ein weiterer Dancefloor­filler glückt Timberlake mit „Fuckin’ Up the Disco“– und das, obwohl sich der Star hier die Chuzpe leistet, völlig ungeniert selbstrefe­renziell zu sein: „Listen, I got this great JT album, and if you got a turntable, maybe we can get it on.“Es war voraussehb­ar, dass die Scheibe dann im Song aufgelegt wird und die Anwesenden in Sandalen und in Gucci-Crocs herumrutsc­hen.

Fazit: Justin Timberlake hält an seinen musikalisc­hen Maximen fest. Und er gibt sich nach wie vor als Missionar musikalisc­her Eleganz, dem es um ein modernes Klangbild geht. In einem schwachen Moment blickte er allerdings zurück und nahm die Ballade „Paradise“mit seiner alten Boygroup *NSYNC auf. Auch dank dieses Schachzugs ist ihm Platz eins in den US-Charts wohl sicher.

 ?? [Die Presse Fotos extern] ?? „Don’t make no mistakes and hide your pain“: Justin Timberlake in Klagelaune.
[Die Presse Fotos extern] „Don’t make no mistakes and hide your pain“: Justin Timberlake in Klagelaune.

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