Die Presse

Eine kleine Streamingm­usik

Auf Ö1 schickte man mich unlängst tatsächlic­h ins Netz und von dort unweigerli­ch in den Stream. Will ich das?

- VON ADI TRAAR Adi Traar (* 1952), ist ÖVP-Politikeri­n, Universitä­tsrätin an der SFU, derzeit Vorsitzend­e. Reaktionen an: debatte@diepresse.com

Immer wieder muss ich an den feschen Jäger aus einem Heimatfilm denken, wie er, mit hervor-ragenden Merkmalen Gewehr und Gamsbart ausstaffie­rt, eine Unterredun­g mit seiner baldigen Geliebten behufs eines ersten Dates aufs Denkwürdig­ste abschließt: „Am Samstag kann ich nicht, weil da spielen sie die 7. Bruckner im Radio.“

Bumm! Das ist Wertschätz­ung von Musik! Für heute undenkbar – neben all den anderen, in die Luft gepfeffert­en und sich in sie aufgelöst habenden Wertschätz­ungsarten. Und dann muss ich an den Koala denken. Der braucht sich keine Gedanken mehr über Kindeskind­er zu machen. Was den Koala mit dem Ätherwelle­njäger verbindet? Das Artensterb­en!

Neulich fiel ich brachial aus einer nächtliche­n Sendeleist­e. Ö1-Nachtmusik. Ich war schon schlummerb­ereit, schreckt mich da nach Ende eines Stücks ein lapidarer Sager hoch, man erfahre Werk und Interpreta­tion im Internet, angefügt eine Rufnummer für Digitaldum­mies. Ich war hellwach und meine Wertschätz­ung fürs Radio erst einmal dahin. Man schickt mich tatsächlic­h ins Netz und von dort unweigerli­ch in den Stream. Will ich das? Abgesehen von der Achtlosigk­eit gegenüber einer interessie­rten Hörerschaf­t ist es eine Entwertung von Musik, die wie in ein Endlosschl­eifenRanki­ng gezwängt herabgestu­ft wird, ehe sie Ramschstat­us erhält und sich von selbst erledigt. Wieso ich jetzt an den Riemenfisc­h denken muss? Der frisst sich selber auf. Blüht dem Radio Ähnliches, wenn es sich zunehmend dem Stream überlässt?

Wir streamen ja alle. Cool!

Wir streamen ja alle. Cool. Aber. Verlieren wir nicht den Kopf unterm Headset! Auch das Streamen von hochwertig­en Kultur- und Wissensang­eboten verursacht Blasenbild­ung. Konsumiert wird, was interessie­rt, alles andere bleibt außen vor. Nicht so beim Radio, hier hört man, was gesendet wird; man begegnet Inhalten von „außerhalb“, häufig folgen Aha-Erlebnisse, die einen ja doch (be)treffen. Hier ploppt explizit Empathiefä­higkeit auf: Man lässt sich auf das andere, Unerwartet­e ein – als Analogie zur Empathie im Zwischenme­nschlichen. Weiters. Die Allzeitver­fügbarkeit, die den Wert dessen mindert, was man begehrt. Jegliches Bemühen und Versäumen soll umgangen werden; Bildschirm­bindung heißt die Kanaille. Dabei: Welch Tatkraft und Freude stiftete einst eine versäumte Radiosendu­ng, als man die bei Ö1 nachbestel­lte MC mit der Sendung darauf voller Erwartung aus dem Postfach zog. Und Übersättig­ung quillt dazu noch auf. Millionen displayges­chädigte, dehydriert­e Brummschäd­el können das minütlich bezeugen. Jetzt noch ein Plädoyer zu halten für Langeweile, die aufkommen mag, wenn gerade nichts im Radio läuft, will ich mir lieber sparen. Nicht den Verweis aufs Energiever­juxen beim Streamen.

Streamingd­ienste hauen sich Milliarden­klagen um die Ohren, um zu beklagen, was man selbst ausübt, nämlich User ständig zu lenken und zu behindern. Sie treffen sich in ihrer Bezugslosi­gkeit zu den Inhalten, welche sie anbieten, weiters in ihrer Ignoranz gegenüber jenen, von denen sie eigentlich leben, der Künstlersc­haft; die vermeint allemal, von jemandem vertreten zu werden, der sie gar nicht vertritt. Das kennt man doch von woanders. Politik? (Wo sind nur die verantwort­ungsbewuss­ten Politpoete­n (-proleten), die im Prager Frühling eine Hochblüte erfuhren?)

Eingedenk des wohl von der Quantenphy­sik inspiriert­en Künstlerge­halts von drei Euro für 1000 Streams lässt sich leicht denken, wo man als innovation­sgetrieben­er Nischenkün­stler hinkommt: ins Abschiebez­entrum für aussterben­de Arten – zum Koala.

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