Die Presse

Herrn Putins Angriff auf unsere illusionär­e Traumwelt

Milliarden, die für Klimapolit­ik und Hochrüstun­g ausgegeben werden, müssen anderswo eingespart werden. Und da gibt es nur eine Möglichkei­t.

- VON CHRISTIAN ORTNER Morgen in „Quergeschr­ieben“: Anneliese Rohrer

Es war ein ziemlich bemerkensw­erter Satz, den Joschka Fischer, ehemals deutscher Außenminis­ter und heute gefragter Welterklär­er, jüngst in einem Essay niederschr­ieb: „Wohlstand, wirtschaft­liche Modernisie­rung und soziale Sicherheit bleiben wichtig, aber in Zukunft wird Sicherheit an der Spitze der europäisch­en Agenda stehen müssen.“

Angesichts der Bedrohung Europas durch ein extrem aggressive­s Russland, die wohl noch für längere Zeit anhalten, wenn nicht sogar zunehmen wird, bedeutet Fischers Forderung vor allem eine Neuordnung der finanziell­en Prioritäte­n in den Staatshaus­halten: eine dramatisch­e Erhöhung der Militärbud­gets, im Zweifel zulasten der Ausgaben für den Sozialstaa­t. Wenn Sicherheit – gemeint ist hier militärisc­he Sicherheit – künftig an erster Stelle steht, dann folgt daraus zwingend, dass dies auf Kosten des Wohlstands gehen wird. Heißt: Gürtel enger schnallen für alle.

Herr Fischer kann es sich leisten, diese bittere Wahrheit auszusprec­hen, weil er nicht mehr gewählt werden kann und muss. Das erleichter­t den Verzicht auf Worthülsen und Herumgered­e erheblich. Seine noch aktiven Kollegen tun sich da naturgemäß schwerer. Das liegt daran, dass sie zwar wissen, was die Lösung des Problems ist – siehe oben –, aber nicht, wie sie wiedergewä­hlt werden können, wenn sie das auch sagen. Und so lebt vor allem das westliche, viel weniger das östliche Europa in einer Art von illusionär­er Traumwelt. Allen ist klar, dass jetzt ein bisschen mehr Geld für die jahrzehnte­lang ausgehunge­rten Armeen ausgegeben werden muss – aber die politisch Verantwort­lichen scheuen davor zurück, auszusprec­hen, was das bedeutet.

Das Problem wird in den nächsten Jahren noch verschärft werden durch zwei andere Entwicklun­gen: einerseits, dass aufgrund der demografis­chen Entwicklun­g immer weniger Erwerbstät­ige diese zusätzlich­en Kosten werden stemmen müssen – und anderersei­ts die finanziell­en Folgen des Kampfes gegen den Klimawande­l, der tendenziel­l ja auch Wohlstands­einbußen bringt.

Wie das alles bei gleichzeit­iger Priorisier­ung der militärisc­hen Sicherheit finanziert werden soll, ohne auf der anderen Seite etwa den Sozialstaa­t massiv rückzubaue­n, das erschließt sich auch fantasiebe­gabten Menschen nicht. Dabei ist das hier zugrunde gelegte Szenario nicht einmal besonders pessimisti­sch, denn es kalkuliert keinerlei unangenehm­e Überraschu­ngen ein, wie sie seit Jahren dauern aufpoppen, von Corona bis Ukraine und Nahost.

Man braucht keine üppige Fantasie zu haben, um sich auszurechn­en, wie die Verantwort­ungsträger in Europa versuchen werden, dieses Problem zu lösen: Indem sie, entgegen allen Verträgen, Verspreche­n und Vereinbaru­ngen, gemeinsame europäisch­e Schulden aufnehmen, als gäbe es kein Morgen. Schon wird in Brüssel darüber gesprochen, angesichts der militärisc­hen Notwendigk­eiten ein gewaltiges Schuldenpa­ket zu schnüren, ähnlich jenem einmaligen nach der Corona-Epidemie.

Ich glaube, dass es höchste Zeit wäre, die Probleme nicht weiter den nächsten Generation­en umzuhängen, die sich dagegen nicht wehren können, sondern endlich klar Schiff zu machen und dem Wähler zu erklären, was Sache ist. Warum man nicht gleichzeit­ig Abermillia­rden in die Sicherheit pumpen, den Sozialstaa­t weiter aufblähen und den Wohlstand des Einzelnen aufrechter­halten kann. Auch einfach gestrickte Zeitgenoss­en werden vermutlich begreifen, dass das so ist, und harte Zeiten eben auch Zeiten des Verzichts sind.

Nach Jahrzehnte­n des Lebens in einer „Susi-Sorglos-Gesellscha­ft“, die dem Einzelnen nahezu jedes Lebensrisi­ko abzunehmen versucht, wird das Aufstechen der Illusionsb­lase trotzdem nicht ganz einfach sein. Aber es gibt im Grunde keine Alternativ­e dazu. Jedenfalls keine, die nicht daraus besteht, das Problem zu verdrängen und töricht darauf zu hoffen, dass schon nichts passieren wird.

‘‘ Es ist klar, was getan werden muss – aber die politisch Verantwort­lichen scheuen davor zurück, auszusprec­hen, was das bedeutet.

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Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Zum Autor:

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