Frischer Wind für Warschau, Paris und Berlin
Zuletzt widersprachen sich die europäischen Großmächte. Nun wollen sie Einigkeit im Weimarer Dreieck zeigen.
Bevor Emmanuel Macron in das Flugzeug nach Berlin stieg, hatte er noch einmal nachgelegt. In einem Fernsehinterview wurde der französische Präsident am Donnerstagabend im Élysée-Palast gefragt, ob er wirklich darüber nachdenke, einmal westliche Bodentruppen in die Ukraine zu schicken, wie er das vor mehr als zwei Wochen zum Schrecken des deutschen Kanzlers in den Raum gestellt hatte. „Um Frieden in der Ukraine zu haben, dürfen wir nicht schwach sein“, sagte Macron daraufhin. „Wenn wir uns entscheiden, schwach zu sein, wenn wir angesichts von jemandem, der keine Grenzen kennt, angesichts von jemandem, der alle Grenzen überschritten hat, naiv sagen: ‚Ich gehe nicht weiter als bis zu diesem oder jenem.‘ In dem Moment entscheiden wir uns nicht für den Frieden. Wir entscheiden uns bereits für die Niederlage.“Diese Worte konnten nur einem gelten: Olaf Scholz, dem deutschen Kanzler, der ihn am Freitagmittag in Berlin empfing.
Dass der französische Präsident und der deutsche Kanzler sich nicht gut verstehen, ist kein Geheimnis. Was sich zuletzt an Widersprüchen zwischen den europäischen Großmächten aufgetan hat, ist allerdings bemerkenswert. Da ist Macron, der keine Optionen vom Tisch nehmen und strategisch schwer berechenbar bleiben will. Und da ist Olaf Scholz, der dem russischen Präsidenten, Wladimir
Putin, gern darlegt, was er alles nicht tun wird: keine deutschen Bodentruppen in der Ukraine, kein Marschflugkörper Taurus.
Tusk belebt Dreieck wieder
Das Treffen am Freitag sollte europäische Einigkeit signalisieren. Das sagte Scholz am Mittwoch im deutschen Parlament. „Emmanuel und ich werden uns am Freitag wieder in Berlin treffen“, erklärte der Kanzler, als er zu Berichten über die schlechte Beziehung zum Nachbarn gefragt wurde. „Das ist vielleicht ein Ausdruck dafür, dass alles, was Sie hier unterstellt haben, gar nicht stimmt.“
Und auch ein dritter Staatsmann reiste an: der polnische Ministerpräsident Donald Tusk. Er traf zwei Stunden nach Macron ein und machte damit ein diplomatisches Format der drei Länder komplett, das Weimarer Dreieck genannt wird. Unter der rechtskonservativen PiS-Regierung erkaltete vor allem die Beziehung zu Deutschland, im Wahlkampf versuchte diese, mit antideutscher Stimmungsmache zu gewinnen. Mit Tusk soll die Achse Warschau– Berlin–Paris wieder aufleben.
Zu besprechen gab es jedenfalls viel: Der polnische Außenminister, Radosław Sikorski, hatte Macrons Vorstoß begrüßt und Nato-Truppen in der Ukraine als „nicht undenkbar“bezeichnet. Die in Deutschland auch von der Kanzlerpartei SPD immer wieder aufgebrachte Debatte um einen möglichen russischen Atomschlag nannte er eine „Selbstabschreckung“. An der deutschen SkyShield-Initiative (an der auch Österreich teilnimmt) beteiligt sich Polen genauso wenig wie Frankreich. Andererseits registrierte Paris mit Missfallen, dass die Polen ihr Militär überwiegend mit USKriegsmaterial aufrüsten – und nicht mit europäischen oder gar französischen Waffen.
Der deutsche Kanzler wiederum wünscht sich von Frankreich mehr Masse an Kriegsmaterial für die Ukraine. Die französische Politelite versteht dafür nicht, wieso die Deutschen ständig über einzelne Waffensysteme diskutieren und so oft die Atombombe ins Spiel bringen. „Wenn Putin hustet, sucht Scholz sofort nach einem Bunker“, zitieren internationale Zeitungen einen nicht namentlich genannten Berater aus dem Élysée-Palast.
Mehr Waffen vom „Weltmarkt“
Am Freitagnachmittag traten die drei vor die Kameras. „Ein ganz wichtiges Zeichen unserer Geschlossenheit“, nannte Scholz das Treffen. Er zählte fünf Punkte auf: Man wolle Waffen und Munition für die Ukraine auf dem „Weltmarkt“kaufen (die Idee stammt aus Tschechien). Es solle mehr produziert, in der US-Basis Ramstein über Raketenartillerie gesprochen und die EU-Friedensfaszilität mit fünf Mrd. Euro ausgestattet werden. Die Zinsen von in der EU eingefrorenem Oligarchenvermögen sollen für den Waffenkauf für die Ukraine verwendet werden. Macron hob die Unterstützung für Moldau hervor, Bodentruppen sprach er nicht an. Tusk bezeichnete Berichte über Streitereien als „Gerüchte“und lud zu einem Treffen in Polen im Sommer ein. Am Ende nahmen sie Scholz in ihre Mitte und hielten sich an den Händen. Fragen durften die anwesenden Journalisten nicht stellen.