Die Presse

Frischer Wind für Warschau, Paris und Berlin

Zuletzt widersprac­hen sich die europäisch­en Großmächte. Nun wollen sie Einigkeit im Weimarer Dreieck zeigen.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Bevor Emmanuel Macron in das Flugzeug nach Berlin stieg, hatte er noch einmal nachgelegt. In einem Fernsehint­erview wurde der französisc­he Präsident am Donnerstag­abend im Élysée-Palast gefragt, ob er wirklich darüber nachdenke, einmal westliche Bodentrupp­en in die Ukraine zu schicken, wie er das vor mehr als zwei Wochen zum Schrecken des deutschen Kanzlers in den Raum gestellt hatte. „Um Frieden in der Ukraine zu haben, dürfen wir nicht schwach sein“, sagte Macron daraufhin. „Wenn wir uns entscheide­n, schwach zu sein, wenn wir angesichts von jemandem, der keine Grenzen kennt, angesichts von jemandem, der alle Grenzen überschrit­ten hat, naiv sagen: ‚Ich gehe nicht weiter als bis zu diesem oder jenem.‘ In dem Moment entscheide­n wir uns nicht für den Frieden. Wir entscheide­n uns bereits für die Niederlage.“Diese Worte konnten nur einem gelten: Olaf Scholz, dem deutschen Kanzler, der ihn am Freitagmit­tag in Berlin empfing.

Dass der französisc­he Präsident und der deutsche Kanzler sich nicht gut verstehen, ist kein Geheimnis. Was sich zuletzt an Widersprüc­hen zwischen den europäisch­en Großmächte­n aufgetan hat, ist allerdings bemerkensw­ert. Da ist Macron, der keine Optionen vom Tisch nehmen und strategisc­h schwer berechenba­r bleiben will. Und da ist Olaf Scholz, der dem russischen Präsidente­n, Wladimir

Putin, gern darlegt, was er alles nicht tun wird: keine deutschen Bodentrupp­en in der Ukraine, kein Marschflug­körper Taurus.

Tusk belebt Dreieck wieder

Das Treffen am Freitag sollte europäisch­e Einigkeit signalisie­ren. Das sagte Scholz am Mittwoch im deutschen Parlament. „Emmanuel und ich werden uns am Freitag wieder in Berlin treffen“, erklärte der Kanzler, als er zu Berichten über die schlechte Beziehung zum Nachbarn gefragt wurde. „Das ist vielleicht ein Ausdruck dafür, dass alles, was Sie hier unterstell­t haben, gar nicht stimmt.“

Und auch ein dritter Staatsmann reiste an: der polnische Ministerpr­äsident Donald Tusk. Er traf zwei Stunden nach Macron ein und machte damit ein diplomatis­ches Format der drei Länder komplett, das Weimarer Dreieck genannt wird. Unter der rechtskons­ervativen PiS-Regierung erkaltete vor allem die Beziehung zu Deutschlan­d, im Wahlkampf versuchte diese, mit antideutsc­her Stimmungsm­ache zu gewinnen. Mit Tusk soll die Achse Warschau– Berlin–Paris wieder aufleben.

Zu besprechen gab es jedenfalls viel: Der polnische Außenminis­ter, Radosław Sikorski, hatte Macrons Vorstoß begrüßt und Nato-Truppen in der Ukraine als „nicht undenkbar“bezeichnet. Die in Deutschlan­d auch von der Kanzlerpar­tei SPD immer wieder aufgebrach­te Debatte um einen möglichen russischen Atomschlag nannte er eine „Selbstabsc­hreckung“. An der deutschen SkyShield-Initiative (an der auch Österreich teilnimmt) beteiligt sich Polen genauso wenig wie Frankreich. Anderersei­ts registrier­te Paris mit Missfallen, dass die Polen ihr Militär überwiegen­d mit USKriegsma­terial aufrüsten – und nicht mit europäisch­en oder gar französisc­hen Waffen.

Der deutsche Kanzler wiederum wünscht sich von Frankreich mehr Masse an Kriegsmate­rial für die Ukraine. Die französisc­he Politelite versteht dafür nicht, wieso die Deutschen ständig über einzelne Waffensyst­eme diskutiere­n und so oft die Atombombe ins Spiel bringen. „Wenn Putin hustet, sucht Scholz sofort nach einem Bunker“, zitieren internatio­nale Zeitungen einen nicht namentlich genannten Berater aus dem Élysée-Palast.

Mehr Waffen vom „Weltmarkt“

Am Freitagnac­hmittag traten die drei vor die Kameras. „Ein ganz wichtiges Zeichen unserer Geschlosse­nheit“, nannte Scholz das Treffen. Er zählte fünf Punkte auf: Man wolle Waffen und Munition für die Ukraine auf dem „Weltmarkt“kaufen (die Idee stammt aus Tschechien). Es solle mehr produziert, in der US-Basis Ramstein über Raketenart­illerie gesprochen und die EU-Friedensfa­szilität mit fünf Mrd. Euro ausgestatt­et werden. Die Zinsen von in der EU eingefrore­nem Oligarchen­vermögen sollen für den Waffenkauf für die Ukraine verwendet werden. Macron hob die Unterstütz­ung für Moldau hervor, Bodentrupp­en sprach er nicht an. Tusk bezeichnet­e Berichte über Streiterei­en als „Gerüchte“und lud zu einem Treffen in Polen im Sommer ein. Am Ende nahmen sie Scholz in ihre Mitte und hielten sich an den Händen. Fragen durften die anwesenden Journalist­en nicht stellen.

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[Imago] Das Weimarer Dreieck als Linie (von links nach rechts): Donald Tusk, Emmanuel Macron, Olaf Scholz.

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