Die Presse

„Pflegeberu­f ist keine Katastroph­e“

Michael Opriesnig, Generalsek­retär des Roten Kreuzes, sieht Fortschrit­te bei der Pflege, vermisst aber eine echte Reform des Systems.

- VON MARTIN FRITZL

Die Pflegerefo­rm war eines der großen Vorhaben, mit dem die türkisgrün­e Koalition angetreten ist. Ist das gelungen? Michael Opriesnig, als Generalsek­retär des Roten Kreuzes einer der großen Player im Bereich der mobilen Pflege, ist sich da nicht so sicher. „Welche Pflegerefo­rm?“, fragt er im Gespräch mit der „Presse“. Sicher, es habe Verbesseru­ngen gegeben, vor allem im Bereich der Ausbildung. Aber eine echte Systemrefo­rm sei nicht angegangen worden.

Die Kritik der Hilfsorgan­isation klingt bekannt: Die Zuständigk­eiten im Gesundheit­ssystem seien zersplitte­rt, von einer Finanzieru­ng aus einer Hand könne keine Rede sein. Bund, Länder, Gemeinden und Kassen müssten sich zusammense­tzen und von der Finanzieru­ng angefangen das gesamte System hinterfrag­en. Denn die Lage sei angesichts des von der Gesundheit Österreich prognostiz­ierten Bedarfs von 200.000 Pflegekräf­ten bis 2050 durchaus ernst. „Wenn wir nicht wirklich aufpassen, kann passieren, dass uns das Thema um die Ohren fliegt“, sagt Opriesnig.

Lauter Pflegemana­ger

Es brauche ein Bündel von Maßnahmen, um die Situation zu entschärfe­n. Im Bereich der Ausbildung gebe es erste Schritte, wobei er die in den vergangene­n Jahren forcierte Pflegelehr­e „nicht für des Rätsels Lösung“hält. Sinnvoller seien schulische Ausbildung­en, die einen Pflegeabsc­hluss und Matura beinhaltet­en. Auch den Trend zur Akademisie­rung der Ausbildung hält er für sinnvoll – so dort genug Pflegepers­onal ausgebilde­t wird, das mit den Patienten arbeitet, und nicht lauter Pflegemana­ger.

Notwendig sei auch die Anwerbung von Pflegepers­onal aus dem Ausland, wobei das nur zu einem begrenzten Teil die Lösung des Problems sein könne. Da sei es aber notwendig, dass Österreich koordinier­t vorgehe und nicht ein „Fleckerlte­ppich“entstehe und einzelne Bundesländ­er oder Organisati­onen auf eigene Faust Initiative­n setzten. Leicht werde die Anwerbung

nicht sein, man dürfe in den Herkunftsl­ändern kein Pflegeprob­lem auslösen, und man müsse sich gegen internatio­nale Konkurrenz durchsetze­n. Auch andere Länder suchen nach Pflegepers­onal. Grundvorau­ssetzung für ein attraktive­s Angebot sei eine Willkommen­skultur, und da gebe es noch „viel Luft nach oben“.

Potenzial bei Migranten

Aber auch bei bereits in Österreich befindlich­en Migranten sieht Opriesnig ein großes Potenzial für Arbeitskrä­fte, er erlebe auch ein großes Interesse an dem Berufsfeld.

Wichtig für die Gewinnung von Arbeitskrä­ften sei auch, dass der Beruf in der Öffentlich­keit nicht zu negativ dargestell­t werde. Pflegekraf­t zu sein sei eben keine „Katastroph­e“, wie auch eine interne Mitarbeite­rbefragung beim Roten Kreuz zeigen würde. So würden 70 Prozent der Mitarbeite­r die Arbeit als „sehr attraktiv“oder „eher attraktiv“einschätze­n, nur fünf Prozent geben eine negative Bewertung ab. Und auch die Belastung wird nicht übermäßig stark angegeben. Am ehesten sehen sich Pflegekräf­te durch Zeitdruck (22 Prozent) und die Situation im Straßenver­kehr (26 Prozent) belastet.

Aber die Anwerbung von neuem Pflegepers­onal ist nicht der einzige Ansatz, mit dem er die Situation der Pflege verbessern will. Ebenso wichtig sei eine bessere Unterstütz­ung von pflegenden Angehörige­n: Diese seien „der größte Pflegedien­st des Landes“, ohne den das System jetzt schon kollabiere­n würde. Sie zu entlasten gehöre zu den wichtigste­n Maßnahmen.

Und es gibt noch einen Vorschlag abseits der Pflege: Die Politik müsse massiv in die Prävention investiere­n – und zwar schon beginnend bei den Jüngsten im Kindergart­en. Zu verhindern, dass Pflegebeda­rf überhaupt entsteht, sei gut investiert­es Geld – so die Politik dazu übergehen würde, über den Horizont einer Legislatur­periode hinaus zu planen.

Zu wenig gesunde Jahre

Immerhin liegt Österreich unter dem internatio­nalen Schnitt, was die Anzahl der gesunden Lebensjahr­e betrifft – und das bei Gesundheit­sausgaben, die deutlich über dem Durchschni­tt liegen. Als Alarmzeich­en für die Gesundheit der Bevölkerun­g gelten die Zahlen des Bundesheer­s: Rund jeder Dritte junge Mann wird schon als untauglich beurteilt – bei steigender Tendenz.

Apropos Geld: Auch was die finanziell­e Ausstattun­g der Pflege betrifft, sieht Opriesnig noch weiteren Bedarf, trotz der bereits erfolgten Aufstockun­g in den vergangene­n Jahren. Auf eine fixe Zahl will er sich aber nicht festlegen.

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[Valerie Marie Voithofer] Für Personal aus dem Ausland sei eine bessere Willkommen­skultur notwendig, sagt Michael Opriesnig.

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