EU-Länder einigen sich auf Lieferkettengesetz
Nach mehreren Anläufen fand ein entschärfter Vorschlag nun doch die erforderliche Mehrheit.
Die EU-Staaten erzielten nun doch eine Einigung über das Lieferkettengesetz. Das meldete der belgische Ratsvorsitz am Freitag zu Mittag. Eine qualifizierte Mehrheit von 15 Mitgliedstaaten, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen, stimmte der Vorlage zu. Die deutsche und die österreichische Regierung enthielten sich der Stimme. Das Europäische Parlament muss die Vorlage absegnen. Die Zustimmung gilt allerdings als sicher. Was kommt nun auf Unternehmen in der EU zu? Ein Überblick.
1 Worum geht es im Gesetz – und warum ist es so umstritten?
Eine Abstimmung unter den 27 Mitgliedsländern der EU war mehrmals verschoben worden. Mehrere Staaten, mit Deutschland als Speerspitze, hatten angekündigt, nicht zustimmen zu wollen. Die EU-Lieferkettenrichtlinie verpflichtet große Unternehmen in der EU, ihre Lieferanten und Geschäftspartner in Drittländern außerhalb der EU zu kontrollieren, um so insbesondere Kinder- und Zwangsarbeit einen Regel vorzuschieben. Dieses Ziel stellt niemand infrage. Befürchtet wurde aber, dass überbordende Dokumentationsvorschriften und unwägbare Haftungsrisken europäische Unternehmen aus dem Markt drängen könnten.
2 Wieso kam es nun doch zu einer Einigung auf das Lieferkettengesetz?
Die belgische Ratspräsidentschaft hatte zuletzt einen Kompromissvorschlag vorgelegt. Der ursprüngliche Entwurf war in einigen Punkten entschärft worden. Dem Letztstand zufolge sollten nur noch Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern (davor: 500) und mehr als 450 Mio. Euro Umsatz im Jahr (davor: 150 Mio. Euro) direkt von der Richtlinie betroffen sein.
3 Was stand noch in dem zuletzt vorgelegten Kompromissvorschlag?
Demnach soll es weiters keine gesonderten, strengeren Regeln mehr für Risikosektoren – etwa die Landwirtschaft – geben. „Neben dem eingeschränkten Adressatenkreis der betroffenen Unternehmen wurde auch die ,Aktivitätenkette‘ enger definiert“, sagt Rechtsanwalt Martin Eckel, Partner bei Taylor Wessing in Wien, zur „Presse“. „Die Prüfung indirekter Geschäftspartner ist herausgefallen“, damit sei ein Kritikpunkt an der praktischen Umsetzbarkeit der Richtlinie aufgegriffen worden. „Das wird Unternehmen die Prüfung der relevanten Geschäftspartner erleichtern“, sagt Eckel. „Zur besonders umstrittenen Frage der zivilrechtlichen Haftung im Fall von Verstößen wurde den Mitgliedstaaten außerdem mehr Spielraum bei der Umsetzung in nationales Recht eingeräumt.“
Deutlich länger sind nun auch die Übergangsfristen, gestaffelt je nach Unternehmensgröße und Umsatz sollen sie drei bis fünf Jahre betragen.
4 Wie bewerten Experten das EU-Lieferkettengesetz?
„Nicht ideal (…), ich hätte mir ein starkes Gesetz gewünscht, das bei den Lieferanten ansetzt, nicht bei den Lieferbeziehungen“, schrieb Gabriel Felbermayr, Direktor des Wifo, auf X. Die nun beschlossene Lösung sei „teuer und wenig effektiv“. Felbermayr hatte zuvor gemeinsam mit Peter Klimek, der das Lieferkettenforschungsinstitut ASCII leitet, eingebracht, dass man Lieferketten nicht isoliert betrachten könne. Daher sei es besser, Positivund Negativlisten für gute und schlechte Firmen zu erstellen, an die sich die europäischen Unternehmen halten können.
In eine andere Richtung geht die Kritik von Umweltorganisationen. „Die neuerliche Verwässerung, um das EU-Lieferkettengesetz zu retten, schmerzt“, so Stefan Grasgruber-Kerl von der Nichtregierungsorganisation Südwind. Bereits der im Zuge der Trilog-Verhandlungen erzielte Kompromiss vom Dezember 2023 habe zahlreiche Schlupflöcher enthalten.
5 Ist eine lückenlose Kontrolle von Lieferketten überhaupt möglich?
Das Ziel, Maßnahmen gegen Kinderarbeit und Ausbeutung zu setzen, sei natürlich zu unterstützen, sagt der Ökonom Harald Oberhofer von der WU Wien zur „Presse“. „Ob das Lieferkettengesetz dazu geeignet ist, da bin ich skeptisch.“Er erklärt das anhand der PrinzipalAgent-Theorie: Angenommen, ein großes Unternehmen in der EU beauftragt einen Zulieferer in China, sich an europäische Standards zu halten. Dann hat der Zulieferer einen Anreiz, Abweichungen von den EU-Standards zu verheimlichen – und das EU-Unternehmen mitunter gar keine Möglichkeit, das zu überprüfen. „Die Kosten dafür können sehr hoch werden.“Auch bezüglich der Umsatzgrenzen – die Lieferkettenrichtlinie gilt nur für größere Unternehmen – ist Oberhofer skeptisch. Denn die seien ein Anreiz für Unternehmen, sich in mehrere kleine Firmen aufzuspalten, um dem Gesetz zu entgehen.
Von den neuen Regeln gänzlich unberührt werden allerdings auch kleinere Firmen nicht bleiben. Als Zulieferer von Großunternehmen müssen sie von diesen dann ebenfalls in die Pflicht genommen werden.
6 Warum stimmte Österreich nicht für die Lieferkettenrichtlinie?
Österreich hat sich mit neun anderen Mitgliedsländern bei der Abstimmung am Freitag enthalten. Die Entscheidung nehme man zur Kenntnis, es gebe aber noch immer zu viele Vorbehalte, um zustimmen zu können, hieß es am Freitag aus dem ÖVP-geführten Arbeits- und Wirtschaftsministerium. Zuletzt hatte das Ministerium kritisiert, dass mit dem Gesetz die Verantwortung für Entwicklungs- und Außenpolitik auf Unternehmen überwälzt werde. Auf nationaler Ebene gehe es nun darum, eine umsichtige Umsetzung der Richtlinie sicherzustellen, um eine Überforderung heimischer Betriebe aufgrund überbordender bürokratischer Auflagen zu vermeiden. Die Grünen, die in der Koalition mit der ÖVP regieren, waren für das Gesetz.