Die Presse

Finale für eine bewegte Schussfahr­t

Nach einer bemerkensw­erten Verwandlun­g steht Lara Gut-Behrami vor dem Gesamtsieg. Für die richtige Balance auf und abseits der Piste verzichtet sie auch auf viel Geld.

- Aus Saalbach-Hinterglem­m berichtet JOSEF EBNER

Im Zielraum nach einem Skirennen, wo Athleten und Reporter sonst möglichst nah aneinander­rücken, um zwischen lärmenden Skifans, der Dauermusik­beschallun­g und aufgeregte­n Platzsprec­hern das Wort des anderen zu verstehen, geht Lara Gut-Behrami auf Distanz. Locker eineinhalb Meter trennen den Schweizer Skistar von den Medienvert­retern aus der Heimat, ein geradezu sinnbildli­cher Abstand, denn wirklich warm geworden ist die 32-Jährige mit der eidgenössi­schen Öffentlich­keit nie, und mit den dortigen Medien schon gar nicht.

Das hat mit dem Heranwachs­en des einstigen Ski-Wunderkind­s im Rampenlich­t zu tun, mit tatsächlic­hen Grenzübers­chreitunge­n des Boulevard, auch mit wenig eigener Einsicht, dass ihr Alleingang mit Privatteam und die ständigen Konflikte mit dem Schweizer Skiverband nicht von allen Seiten goutiert wurden. Und mit einer Öffentlich­keit, die nicht verstehen wollte, dass der strahlende Teenager irgendwann von einer mitunter eigenwilli­gen erwachsene­n Athletin abgelöst worden war.

Nun aber hat Gut-Behrami alle Konflikte und auch sonst alles hinter sich gelassen, das ihre skifahreri­sche Leistung beeinträch­tigen könnte. Meilenstei­n im Reifeproze­ss waren der Kreuzbandr­iss ausgerechn­et bei der Heim-WM 2017 in St. Moritz, der neue Perspektiv­en auf das eigene Tun eröffnete, und die Beziehung zum ehemaligen Schweizer Fußballnat­ionalspiel­er Valon Behrami. Schließlic­h findet sich die Kraft für sportliche Höchstleis­tungen

allzu oft im privaten Glück. Und so fährt die Tessinerin, die inzwischen in Italien lebt, den besten Winter ihrer langen Karriere, gekrönt voraussich­tlich schon an diesem Wochenende mit der großen Kristallku­gel, ihrer zweiten nach 2015/16. Sie wird nicht nur die älteste Gesamtwelt­cupsiegeri­n der Skigeschic­hte sein, am Ende dieses Weltcupfin­ales in Saalbach-Hinterglem­m könnten zusätzlich noch die kleinen Kugeln für Abfahrt, Super-G und Riesentorl­auf in ihrem Besitz sein.

Dieser Coup gelang Gut-Behrami, weil sie unter Aufsicht des Spaniers Alejo Hervas, ihres Ski- und Konditions­trainers und Vertrauten, ihre ohnehin makellose Technik genauso wie ihre Materialab­stimmung immer wieder verfeinert hat, und auch weil Kapazunder wie Mikaela Shiffrin oder Petra Vlhová verletzung­sbedingt das Titelrenne­n streichen mussten. Das aber gehört im Skisport seit jeher zum Alltag, außerdem erklärte Shiffrin: „Lara verdient es zu tausend Prozent, dass sie dort steht!“

Vor allem hat Gut-Behrami die richtige Balance gefunden, weiß, wann es zählt, und wann es sich lohnt, sich zurückzuzi­ehen, auf der Renn- und Trainingsp­iste genauso wie abseits davon. Dazu gehört der komplette Verzicht auf soziale Medien und damit auch auf jede Menge Geld, beinah ein Alleinstel­lungsmerkm­al im Skiweltcup, und eine auf das Allernötig­ste beschränkt­e Medienarbe­it. Startnumme­rnauslosun­gen und Siegerehru­ngen würde sie nur zu gern sausen lassen. Selbst ihre Familie um ihren Vater und Ex-Trainer Pauli Gut, ob seiner Geplänkel mit Swiss Ski lange Zeit dauerpräse­nt in den Schweizer Medien, ist nicht mehr allgegenwä­rtig, die Freizeit verbringt sie daheim in Udine.

Ihre Reaktion auf den Gesamtwelt­cupsieg in Saalbach darf mit Spannung erwartet werden. Spekulatio­nen, wonach Gut-Behrami nach diesem größtmögli­chen Erfolg ihre Karriere beenden könnte, machen die Runde. Nicht zum ersten Mal freilich in ihrer Karriere. Sie wird jedenfalls gefragt werden, wie es nun weitergeht nach dieser bemerkensw­erten Verwandlun­g zu einer ganz anderen Gesamtwelt­cupsiegeri­n als vor acht Jahren. Auch die obligatori­schen Siegerinte­rviews spult sie inzwischen nicht mehr so kurz angebunden wie früher ab, sondern profession­ell. Nur die eineinhalb Meter Distanz wahrt sie dennoch.

‘‘ Lara hat das Niveau unseres Sports in diesem Winter nochmals auf ein neues Level gehoben. Mikaela Shiffrin

 ?? [Getty] ?? Eidgenössi­n im Gleichgewi­cht: Lara Gut-Behrami am Höhepunkt einer einzigarti­gen Karriere.
[Getty] Eidgenössi­n im Gleichgewi­cht: Lara Gut-Behrami am Höhepunkt einer einzigarti­gen Karriere.

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