Finale für eine bewegte Schussfahrt
Nach einer bemerkenswerten Verwandlung steht Lara Gut-Behrami vor dem Gesamtsieg. Für die richtige Balance auf und abseits der Piste verzichtet sie auch auf viel Geld.
Im Zielraum nach einem Skirennen, wo Athleten und Reporter sonst möglichst nah aneinanderrücken, um zwischen lärmenden Skifans, der Dauermusikbeschallung und aufgeregten Platzsprechern das Wort des anderen zu verstehen, geht Lara Gut-Behrami auf Distanz. Locker eineinhalb Meter trennen den Schweizer Skistar von den Medienvertretern aus der Heimat, ein geradezu sinnbildlicher Abstand, denn wirklich warm geworden ist die 32-Jährige mit der eidgenössischen Öffentlichkeit nie, und mit den dortigen Medien schon gar nicht.
Das hat mit dem Heranwachsen des einstigen Ski-Wunderkinds im Rampenlicht zu tun, mit tatsächlichen Grenzüberschreitungen des Boulevard, auch mit wenig eigener Einsicht, dass ihr Alleingang mit Privatteam und die ständigen Konflikte mit dem Schweizer Skiverband nicht von allen Seiten goutiert wurden. Und mit einer Öffentlichkeit, die nicht verstehen wollte, dass der strahlende Teenager irgendwann von einer mitunter eigenwilligen erwachsenen Athletin abgelöst worden war.
Nun aber hat Gut-Behrami alle Konflikte und auch sonst alles hinter sich gelassen, das ihre skifahrerische Leistung beeinträchtigen könnte. Meilenstein im Reifeprozess waren der Kreuzbandriss ausgerechnet bei der Heim-WM 2017 in St. Moritz, der neue Perspektiven auf das eigene Tun eröffnete, und die Beziehung zum ehemaligen Schweizer Fußballnationalspieler Valon Behrami. Schließlich findet sich die Kraft für sportliche Höchstleistungen
allzu oft im privaten Glück. Und so fährt die Tessinerin, die inzwischen in Italien lebt, den besten Winter ihrer langen Karriere, gekrönt voraussichtlich schon an diesem Wochenende mit der großen Kristallkugel, ihrer zweiten nach 2015/16. Sie wird nicht nur die älteste Gesamtweltcupsiegerin der Skigeschichte sein, am Ende dieses Weltcupfinales in Saalbach-Hinterglemm könnten zusätzlich noch die kleinen Kugeln für Abfahrt, Super-G und Riesentorlauf in ihrem Besitz sein.
Dieser Coup gelang Gut-Behrami, weil sie unter Aufsicht des Spaniers Alejo Hervas, ihres Ski- und Konditionstrainers und Vertrauten, ihre ohnehin makellose Technik genauso wie ihre Materialabstimmung immer wieder verfeinert hat, und auch weil Kapazunder wie Mikaela Shiffrin oder Petra Vlhová verletzungsbedingt das Titelrennen streichen mussten. Das aber gehört im Skisport seit jeher zum Alltag, außerdem erklärte Shiffrin: „Lara verdient es zu tausend Prozent, dass sie dort steht!“
Vor allem hat Gut-Behrami die richtige Balance gefunden, weiß, wann es zählt, und wann es sich lohnt, sich zurückzuziehen, auf der Renn- und Trainingspiste genauso wie abseits davon. Dazu gehört der komplette Verzicht auf soziale Medien und damit auch auf jede Menge Geld, beinah ein Alleinstellungsmerkmal im Skiweltcup, und eine auf das Allernötigste beschränkte Medienarbeit. Startnummernauslosungen und Siegerehrungen würde sie nur zu gern sausen lassen. Selbst ihre Familie um ihren Vater und Ex-Trainer Pauli Gut, ob seiner Geplänkel mit Swiss Ski lange Zeit dauerpräsent in den Schweizer Medien, ist nicht mehr allgegenwärtig, die Freizeit verbringt sie daheim in Udine.
Ihre Reaktion auf den Gesamtweltcupsieg in Saalbach darf mit Spannung erwartet werden. Spekulationen, wonach Gut-Behrami nach diesem größtmöglichen Erfolg ihre Karriere beenden könnte, machen die Runde. Nicht zum ersten Mal freilich in ihrer Karriere. Sie wird jedenfalls gefragt werden, wie es nun weitergeht nach dieser bemerkenswerten Verwandlung zu einer ganz anderen Gesamtweltcupsiegerin als vor acht Jahren. Auch die obligatorischen Siegerinterviews spult sie inzwischen nicht mehr so kurz angebunden wie früher ab, sondern professionell. Nur die eineinhalb Meter Distanz wahrt sie dennoch.
‘‘ Lara hat das Niveau unseres Sports in diesem Winter nochmals auf ein neues Level gehoben. Mikaela Shiffrin