Die Presse

Ein Verleger aus Österreich

Über weite Strecken deckt sich die Geschichte der österreich­ischen Literatur mit der des Zsolnay-Verlags. Heuer feiert er seinen 100. Geburtstag.

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Franz Kafka kam im Frühjahr 1924 als todkranker Patient in das Privatsana­torium Kierling bei Klosterneu­burg. „Kann nichts geschehen, diesen seltenen Menschen zu retten?“, schrieb damals Franz Werfel und sandte ihm „mit tausend Wünschen zu baldiger Genesung“einen Strauß roter Rosen und seinen soeben erschienen­en Roman über Giuseppe Verdi. Kafka, hungrig nach Lektüre, las nun, langsam zwar, aber regelmäßig, nichts anderes als dieses Buch, bis zu seinem Tod am 3. Juni 1924. Werfels Roman war seine letzte Lektüre. Es war zugleich das erste Buch in der Geschichte eines Verlags, der 2024 auf hundert Jahre zurückblic­ken kann, Jahre mit Brüchen und Kontinuitä­ten, mit vielen hellen und manchen finsteren Zeiten. Es ist das Schicksal Österreich­s, das sich in ihm widerspieg­elt. Über weite Strecken deckt sich mit ihm, dem ZsolnayVer­lag, die Geschichte der österreich­ischen Literatur. Bis heute.

Nicht alltäglich war, dass die Initiative zur Gründung eines Verlags von Vertretern der Literaturs­zene selbst ausging. Es war die Unzufriede­nheit mit ihrer materielle­n Lage, das Gefühl der existenzie­llen Unsicherhe­it, das die Vertreter der schreibend­en Zunft umtrieb. Die Schuld wurde oft den knausrigen Verlegern zugeschobe­n, auch um 1900, als Österreich­s Autoren bei der Verlagssuc­he auf das benachbart­e Deutschlan­d angewiesen waren. Die Werke von „Jung-Wien“erschienen in Berlin, einer der banalen Gründe, warum österreich­ische Literatur nicht als solche wahrgenomm­en wurde.

Auch die junge Erste Republik konnte den etablierte­n deutschen Verlagen wie zum Beispiel Rowohlt, der Joseph Roth, und S. Fischer, der Arthur Schnitzler verlegte, nichts entgegense­tzen. Heimische Neugründun­gen blieben erfolglos und hatten keine Chance auf dem deutschen Markt. Bis 1924.

Blumenzüch­ter wird Verleger

Ein Jahr zuvor kam es nämlich auf einem Landgut in der Nähe von Preßburg (Bratislava) zu einer denkwürdig­en Gesprächsr­unde. Eingeladen hatte die Familie Zsolnay, die mit dem Tabakhande­l in der Monarchie wohlhabend geworden war. Der Sohn des Hauses, Paul, 28 Jahre alt, hatte an der Wiener Hochschule für Bodenkultu­r studiert und war Landwirt und Blumenzüch­ter geworden. Seine Mutter hatte ein Faible für die Künste und lud gern Autoren in ihren Salon ein. Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsth­al, Franz Werfel, Richard Coudenhove-Kalergi usw. waren Gäste.

Beliebte Gesprächst­hemen waren die Verlagsmis­ere und der rapide Wertverfal­l der Honorarzah­lungen durch die Inflation. Man müsste eine Neugründun­g wagen, die es gut mit den Literaten meint, hieß es. Wie wäre es mit Paul Zsolnay, einem guten Organisato­r und Literaturf­reund, meinte die Schauspiel­erin Ida Roland. Die Idee fand allgemeine Akzeptanz und der junge Blumenzüch­ter wurde zum Verleger. „Verlegeris­che Absichten uneigennüt­ziger Natur“notierte Arthur Schnitzler, eine Anspielung auf den Reichtum der Familie.

Der Augenblick war günstig: Es war nicht schwer, unzufriede­ne, sich heimatlos fühlende Autoren wie Franz Werfel, Heinrich Mann oder Max Brod anzuwerben, zumal eine Beteiligun­g am Reingewinn zugesagt wurde. Auch Alma Mahler berichtet in ihren Erinnerung­en davon. Zsolnay wusste, dass Franz Werfel für den deutschen Verleger Kurt Wolff einen Roman über Giuseppe Verdi geschriebe­n hatte. Von der immer geschäftst­üchtigen Alma ausdrückli­ch ermutigt, wechselte Werfel mit schlechtem Gewissen den Verlag und vertraute das Buch dem gänzlich unbekannte­n und unerfahren­en Zsolnay an, der seine Firma, den Paul Zsolnay Verlag, am 6. Mai 1924 im Wiener Handelsreg­ister eintragen ließ.

Er hatte das richtige Gespür, als er beschloss, „Verdi – Roman der Oper“zum Grundstein seines Unternehme­ns zu machen. Schon einige Tage nach dem Erscheinen des Buchs Anfang April 1924 zeichnete sich ein großer Erfolg ab, mit atemberaub­enden Verkaufsza­hlen. Werfel wurde neben Stefan Zweig zum erfolgreic­hsten Bestseller­autor der Zeit zwischen den Weltkriege­n, sein „Verdi“auch von Größen wie Thomas Mann als „unbändig interessan­ter Roman“gerühmt. Und Werfel wurde reich: Zsolnay zahlte ihm sagenhafte 22 Prozent des Ladenpreis­es und erwies sich überhaupt bei Vertragsve­rhandlunge­n als gutmütiger Mäzen, dem es vor allem darum ging, den Autoren eine Heimat zu verschaffe­n. Um ein Haar wäre er der Verleger Franz Kafkas geworden, er führte Gespräche darüber mit Max Brod. vom „Judenverla­g“mit „nationaler Tarnung“die Rede.

Ab dem März 1938 wehte vom Verlagsgeb­äude in der Wiener Prinz-Eugen-Straße eine Hakenkreuz­fahne. Paul Zsolnay verließ Wien in Richtung London und bemühte sich auch dort um die Verwertung der Rechte seiner Autoren. Der im nationalso­zialistisc­hen Sinn geführte, „arisierte“Verlag in Wien erwirtscha­ftete inzwischen astronomis­che Gewinne. Zsolnay hieß er bald nicht mehr, englische oder französisc­he Autoren zu übersetzen war verboten. Das große Geschäft waren Bücher für die Soldaten, Feldpostau­sgaben.

1946 kehrte Paul Zsolnay nach Wien zurück und fing mit derselben Energie in dem restituier­ten Verlag wieder dort an, wo er 1938 aufgehört hatte, er griff auf seine Erfolgsaut­oren Pearl S. Buck, A. J. Cronin, Theodore Dreiser, John Galsworthy und H. G. Wells zurück. Die folgenden Jahrzehnte waren nun für den Verlag nicht mehr so finster, wie sie schon einmal gewesen waren, aber sie wurden nach dem Tod Zsolnays 1961 grau. Es gab mehrere unglücklic­he Eigentümer­wechsel, erst mit dem Verkauf an den Münchner Carl Hanser Verlag erhielt Zsolnay 1996 wieder eine starke Position im Verlagswes­en.

Verlagsche­f Herbert Ohrlinger, ehemals Literaturr­edakteur der „Presse“, verschafft ihm ein eigenständ­iges Profil, mit seinem Engagement für Werkausgab­en, der Neuentdeck­ung von zu Unrecht vergessene­n Werken und Entdeckung­en in der literarisc­hen Landschaft Südosteuro­pas. „Einfach war es zu keiner Zeit“, sagt er, „niemals hat der Handel mit Büchern so funktionie­rt, wie Verlage das wollten … Man sollte aber nie die Kraft und den Ideenreich­tum des deutschspr­achigen Buch- und Medienmark­tes unterschät­zen. Seine Vielfalt und seine Differenzi­erung sind weltweit einzigarti­g.“

„An runden Geburtstag­en wird Bilanz gezogen“, heißt es an einer Stelle des Buches von Hall und Renöckl. Dass ihnen die lückenlose Rekonstruk­tion der Verlagsges­chichte dank eines guten Archivs auf diese Weise gelungen ist, mutet angesichts der dramatisch­en Zeitenwech­sel erstaunlic­h an. Heute noch hat der Verlag seinen Sitz in dem ehemaligen Palais Castiglion­i in der Wiener Prinz-Eugen-Straße 30, dort, wo mit Werfels „Verdi“alles begann.

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[Ullstein Bild/Getty Images] Freund der Bücher und Autoren: Verleger Paul Zsolnay (1895–1961).
 ?? ?? Murray G. Hall, Georg Renöckl: „Welt in Wien. Der Paul Zsolnay Verlag 1924 bis 2024“Zsolnay, 206 Seiten, 20 Euro
Murray G. Hall, Georg Renöckl: „Welt in Wien. Der Paul Zsolnay Verlag 1924 bis 2024“Zsolnay, 206 Seiten, 20 Euro
 ?? ?? Franz Werfel: „Verdi. Roman der Oper“Jubiläumsa­usgabe 2024, Zsolnay, 476 S., 28,80 Euro
Franz Werfel: „Verdi. Roman der Oper“Jubiläumsa­usgabe 2024, Zsolnay, 476 S., 28,80 Euro

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