Covid könnte doch im Labor entstanden sein
Sars-CoV-2, das Virus der Coronapandemie, sei von Tieren auf Menschen übertragen worden: Diese These dominiert heute. Doch australische Spezialisten für Risikoabschätzung hinterfragen sie nun aufs Neue.
Sieben Millionen Tote hat die CovidPandemie gebracht. So ist es von einigem Interesse, was sie ausgelöst hat. Im Grunde gibt es zwei Theorien dafür. Derzeit dominiert die Erklärung als Zoonose: Wie die meisten Virenerkrankungen von Pocken bis Aids sei Covid-19 von Tieren auf Menschen übergesprungen. Naheliegende Quelle: der mittlerweile legendäre „wet market“in Wuhan, wo mit lebenden, uns oft exotisch anmutenden Tieren gehandelt wurde. Einige der ersten Covid-Patienten arbeiteten dort.
Die zweite Erklärung klingt unangenehm reißerisch: Sars-CoV-2 entstamme einem Labor, sei dort absichtlich aus bereits existierenden Viren erzeugt worden, am ehesten in Gain-of-function-Experimenten. Bei solchen versucht man, die Virulenz (die Fähigkeit einer Erregers, eine Krankheit auszulösen) und/oder die Übertragbarkeit von Viren durch Veränderung ihres genetischen Materials zu erhöhen, um diese besser zu verstehen. Das ist sinnvoll, weil Mutationen, die dasselbe bewirken, jederzeit von selbst passieren können. Solche Experimente finden in vielen Instituten statt, auch am Wuhan Institute of Virology (WIV). Einschlägige Forschung dort wurde von den National Institutes of Health der USA gefördert. Diese Förderungen wurden inzwischen eingestellt, wohl wegen der Zwistigkeiten um die Aufarbeitung der Covid-Genese.
Wohlgemerkt: Die Theorie behauptet nicht, dass solche Experimente am WIV oder anderen chinesischen Instituten der gezielten Entwicklung gefährlicherer Viren dienen sollten, um irgendjemandem zu schaden, womöglich im Sinn biologischer Kriegsführung. Sie vermutet vielmehr, dass veränderte Viren durch Versehen oder einen Unfall aus dem Labor gekommen sein könnten. Das liegt im wörtlichen Sinn nahe: Das WIV ist zwar fast 13 Kilometer vom Markt entfernt. Doch ein zweites Institut, das Wuhan Center for Disease Control and Prevention, in dem ebenfalls an Coronaviren geforscht wurde, übersiedelte just am 2. Dezember 2019 in die direkte Nähe des Markts. Es scheint plausibel, dass bei einem solchen Umzug leichter etwas passieren kann.
Beeinflussbarer WHO-Manager
So wurde schon 2020 debattiert, ob wirklich der Markt oder doch ein Labor der Ausgangspunkt der Pandemie seien. Die Laborthese kam in ein schiefes Licht, als US-Präsident Trump im Mai 2020 behauptete, er habe starke Indizien für sie, dürfe diese aber nicht nennen. Im Februar 2021 sprach dann der dänische Lebensmittelchemiker Peter Ben Embarek, damals Programmmanager der
Weltgesundheitsorganisation (WHO), ein Machtwort: Die Laborthese sei „extrem unwahrscheinlich“. Damit schien die Debatte beendet. Doch das täuschte. Kaum ein halbes Jahr später sagte Embarek, chinesische Beamte hätten ihn gedrängt, die LaborunfallVersion fallenzulassen. Und er erzählte im dänischen Fernsehen, die Laborthese zähle zu den „wahrscheinlichen Hypothesen“.
41 von 60 Punkten dafür
Nun rollen Forscher des auf übertragbare Krankheiten spezialisierten Kirby Institute in Australien den Fall neu auf. Und zwar in einer Publikation im renommierten Journal „Risk Analysis“, erarbeitet mit einer Standardmethode, die entwickelt wurde, um natürlich entstandene und künstlich erzeugte Epidemien zu unterscheiden, dem „Grunow-Finke assessment tool“(GFT).
Dabei beurteilen je vier Experten elf Kriterien, darunter Fragen wie: Wie ungewöhnlich ist die geografische Verteilung der Krankheit, die Art der Erreger, die Dynamik der Epidemie? Sie vergaben für jedes Kriterium Punkte, wobei die maximale Punktezahl jeweils vorgegeben war. Ergebnis: 41 Punkte von 60, also 68 Prozent. Eher wahrscheinlich also. Die Aussendung der Wissenschaftsplattform Eurekalert titelt mit Modalverb: „New Study Reveals Covid-19 May Have Originated in a Lab“.
Zwei Kriterien, die die australischen Forscher ganz erfüllt sehen, beziehen sich auf die Biologie des Sars-CoV-2-Virus. Speziell auf eine Stelle in seinem Spikeprotein, also dem Protein, mit dem es sich an die Wirtszellen heftet. Und zwar eine „Furin-Spaltstelle“, an der ein Enzym der Wirtszelle, das Furin, angreifen kann. Das kann das Virus infektiöser für das Lungengewebe machen. Eine solche Stelle kommt zwar bei etlichen Coronaviren vor, aber nicht in der Gruppe, zu der Sars-CoV-2 zählt. Wurde sie künstlich eingefügt? Dafür spricht ein Forschungsantrag einer Gruppe am WIV, der 2018 bei einer Behörde des US-Verteidigungsministeriums, der Defense Advanced Research Projects Agency, eingereicht wurde. Wichtig: Das ist kein Indiz für eine geplante kriegerische Verwendung. Das US-Verteidigungsministerium subventioniert viel Grundlagenforschung.
Es ist auch gut möglich, dass eine FurinSpaltstelle in einem Vorläufer von Sars-CoV-2 durch zufällige Mutationen natürlich entstanden ist. Doch für eine Genese bei Gainof-function-Versuchen spricht, dass am WIV mit RaTG13 gearbeitet wurde, einem Fledermaus-Virus, das Sars-CoV-2 sehr ähnlich ist. Und dass Sars-CoV-2 laut Modellrechnungen am besten an Menschen angepasst ist, besser als an Fledermäuse oder Schuppentiere. Diese wurden ja als potenzielle Zwischenwirte auf dem Weg des Virus von Fledermäusen zu Menschen erwogen. Doch die Suche nach solchen Zwischenwirten blieb bisher ergebnislos. Und genetische Befunde machen einen direkten Sprung von Fledermäusen zu Menschen unwahrscheinlich.
Spekulationen über Handyverkehr
Am wenigsten überzeugend wirken die Argumente im letzten Kriterium mit dem pauschalen Namen „Special Insights“. Hier heißt es etwa, dass das WIV im September 2019 – also vor dem mutmaßlichen Unfall – unter militärische Kontrolle gekommen sei oder dass im Oktober und November im Umfeld des WIV die Menge an Handysignalen abgenommen habe, was für einen „major event“im Institut spreche. Es wird sogar erwogen, dass die Förderung von Forschung am WIV durch US-Stellen bewirkt habe, dass die Debatte über einen Laborunfall auch in den USA „unterdrückt“worden sei.
Dass eine solche Debatte nun wieder begonnen hat, liegt freilich vor allem daran, dass die chinesischen Behörden sich nie bereit gezeigt haben, die Labors oder wenigstens die in diesen produzierten Daten für eine Untersuchung freizugeben. Dass die WHO nicht darauf gedrängt hat, sondern offenbar sogar ihre öffentlichen Aussagen an Wünsche chinesischer Behörden angepasst hat, spricht nicht für diese Weltorganisation.