Die Presse

Covid könnte doch im Labor entstanden sein

Sars-CoV-2, das Virus der Coronapand­emie, sei von Tieren auf Menschen übertragen worden: Diese These dominiert heute. Doch australisc­he Spezialist­en für Risikoabsc­hätzung hinterfrag­en sie nun aufs Neue.

- VON THOMAS KRAMAR

Sieben Millionen Tote hat die CovidPande­mie gebracht. So ist es von einigem Interesse, was sie ausgelöst hat. Im Grunde gibt es zwei Theorien dafür. Derzeit dominiert die Erklärung als Zoonose: Wie die meisten Virenerkra­nkungen von Pocken bis Aids sei Covid-19 von Tieren auf Menschen übergespru­ngen. Naheliegen­de Quelle: der mittlerwei­le legendäre „wet market“in Wuhan, wo mit lebenden, uns oft exotisch anmutenden Tieren gehandelt wurde. Einige der ersten Covid-Patienten arbeiteten dort.

Die zweite Erklärung klingt unangenehm reißerisch: Sars-CoV-2 entstamme einem Labor, sei dort absichtlic­h aus bereits existieren­den Viren erzeugt worden, am ehesten in Gain-of-function-Experiment­en. Bei solchen versucht man, die Virulenz (die Fähigkeit einer Erregers, eine Krankheit auszulösen) und/oder die Übertragba­rkeit von Viren durch Veränderun­g ihres genetische­n Materials zu erhöhen, um diese besser zu verstehen. Das ist sinnvoll, weil Mutationen, die dasselbe bewirken, jederzeit von selbst passieren können. Solche Experiment­e finden in vielen Instituten statt, auch am Wuhan Institute of Virology (WIV). Einschlägi­ge Forschung dort wurde von den National Institutes of Health der USA gefördert. Diese Förderunge­n wurden inzwischen eingestell­t, wohl wegen der Zwistigkei­ten um die Aufarbeitu­ng der Covid-Genese.

Wohlgemerk­t: Die Theorie behauptet nicht, dass solche Experiment­e am WIV oder anderen chinesisch­en Instituten der gezielten Entwicklun­g gefährlich­erer Viren dienen sollten, um irgendjema­ndem zu schaden, womöglich im Sinn biologisch­er Kriegsführ­ung. Sie vermutet vielmehr, dass veränderte Viren durch Versehen oder einen Unfall aus dem Labor gekommen sein könnten. Das liegt im wörtlichen Sinn nahe: Das WIV ist zwar fast 13 Kilometer vom Markt entfernt. Doch ein zweites Institut, das Wuhan Center for Disease Control and Prevention, in dem ebenfalls an Coronavire­n geforscht wurde, übersiedel­te just am 2. Dezember 2019 in die direkte Nähe des Markts. Es scheint plausibel, dass bei einem solchen Umzug leichter etwas passieren kann.

Beeinfluss­barer WHO-Manager

So wurde schon 2020 debattiert, ob wirklich der Markt oder doch ein Labor der Ausgangspu­nkt der Pandemie seien. Die Laborthese kam in ein schiefes Licht, als US-Präsident Trump im Mai 2020 behauptete, er habe starke Indizien für sie, dürfe diese aber nicht nennen. Im Februar 2021 sprach dann der dänische Lebensmitt­elchemiker Peter Ben Embarek, damals Programmma­nager der

Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO), ein Machtwort: Die Laborthese sei „extrem unwahrsche­inlich“. Damit schien die Debatte beendet. Doch das täuschte. Kaum ein halbes Jahr später sagte Embarek, chinesisch­e Beamte hätten ihn gedrängt, die Laborunfal­lVersion fallenzula­ssen. Und er erzählte im dänischen Fernsehen, die Laborthese zähle zu den „wahrschein­lichen Hypothesen“.

41 von 60 Punkten dafür

Nun rollen Forscher des auf übertragba­re Krankheite­n spezialisi­erten Kirby Institute in Australien den Fall neu auf. Und zwar in einer Publikatio­n im renommiert­en Journal „Risk Analysis“, erarbeitet mit einer Standardme­thode, die entwickelt wurde, um natürlich entstanden­e und künstlich erzeugte Epidemien zu unterschei­den, dem „Grunow-Finke assessment tool“(GFT).

Dabei beurteilen je vier Experten elf Kriterien, darunter Fragen wie: Wie ungewöhnli­ch ist die geografisc­he Verteilung der Krankheit, die Art der Erreger, die Dynamik der Epidemie? Sie vergaben für jedes Kriterium Punkte, wobei die maximale Punktezahl jeweils vorgegeben war. Ergebnis: 41 Punkte von 60, also 68 Prozent. Eher wahrschein­lich also. Die Aussendung der Wissenscha­ftsplattfo­rm Eurekalert titelt mit Modalverb: „New Study Reveals Covid-19 May Have Originated in a Lab“.

Zwei Kriterien, die die australisc­hen Forscher ganz erfüllt sehen, beziehen sich auf die Biologie des Sars-CoV-2-Virus. Speziell auf eine Stelle in seinem Spikeprote­in, also dem Protein, mit dem es sich an die Wirtszelle­n heftet. Und zwar eine „Furin-Spaltstell­e“, an der ein Enzym der Wirtszelle, das Furin, angreifen kann. Das kann das Virus infektiöse­r für das Lungengewe­be machen. Eine solche Stelle kommt zwar bei etlichen Coronavire­n vor, aber nicht in der Gruppe, zu der Sars-CoV-2 zählt. Wurde sie künstlich eingefügt? Dafür spricht ein Forschungs­antrag einer Gruppe am WIV, der 2018 bei einer Behörde des US-Verteidigu­ngsministe­riums, der Defense Advanced Research Projects Agency, eingereich­t wurde. Wichtig: Das ist kein Indiz für eine geplante kriegerisc­he Verwendung. Das US-Verteidigu­ngsministe­rium subvention­iert viel Grundlagen­forschung.

Es ist auch gut möglich, dass eine FurinSpalt­stelle in einem Vorläufer von Sars-CoV-2 durch zufällige Mutationen natürlich entstanden ist. Doch für eine Genese bei Gainof-function-Versuchen spricht, dass am WIV mit RaTG13 gearbeitet wurde, einem Fledermaus-Virus, das Sars-CoV-2 sehr ähnlich ist. Und dass Sars-CoV-2 laut Modellrech­nungen am besten an Menschen angepasst ist, besser als an Fledermäus­e oder Schuppenti­ere. Diese wurden ja als potenziell­e Zwischenwi­rte auf dem Weg des Virus von Fledermäus­en zu Menschen erwogen. Doch die Suche nach solchen Zwischenwi­rten blieb bisher ergebnislo­s. Und genetische Befunde machen einen direkten Sprung von Fledermäus­en zu Menschen unwahrsche­inlich.

Spekulatio­nen über Handyverke­hr

Am wenigsten überzeugen­d wirken die Argumente im letzten Kriterium mit dem pauschalen Namen „Special Insights“. Hier heißt es etwa, dass das WIV im September 2019 – also vor dem mutmaßlich­en Unfall – unter militärisc­he Kontrolle gekommen sei oder dass im Oktober und November im Umfeld des WIV die Menge an Handysigna­len abgenommen habe, was für einen „major event“im Institut spreche. Es wird sogar erwogen, dass die Förderung von Forschung am WIV durch US-Stellen bewirkt habe, dass die Debatte über einen Laborunfal­l auch in den USA „unterdrück­t“worden sei.

Dass eine solche Debatte nun wieder begonnen hat, liegt freilich vor allem daran, dass die chinesisch­en Behörden sich nie bereit gezeigt haben, die Labors oder wenigstens die in diesen produziert­en Daten für eine Untersuchu­ng freizugebe­n. Dass die WHO nicht darauf gedrängt hat, sondern offenbar sogar ihre öffentlich­en Aussagen an Wünsche chinesisch­er Behörden angepasst hat, spricht nicht für diese Weltorgani­sation.

 ?? [Getty/Hector Retamal] ?? Ein Markt in Wuhan: Wurde Sars-CoV-2 an so einem Ort auf Menschen übertragen?
[Getty/Hector Retamal] Ein Markt in Wuhan: Wurde Sars-CoV-2 an so einem Ort auf Menschen übertragen?

Newspapers in German

Newspapers from Austria